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Bitte folgen Sie den Anweisungen

Nach meinem anfangs frustrierenden, letztlich aber sehr erfüllenden Erlebnis mit der Rosengitter-Montage sagte jemand zu mir: „Mach doch mal nen Tischler-Workshop, gibt’s bei der Volkshochschule.“ Mensch, dachte ich mir, eine Riesenidee! Endlich mal wieder was mit den Händen machen. Und so fuhr ich drei Tage lang zur Handwerkskammer und tauchte ein in die Welt der Menschen, die echte Dinge zum Anfassen bauen.

Voller Bewunderung betrachtete ich die im Flur ausgestellten Meisterstücke: Intarsien, kunstvolle Zinkenverbindungen – und erinnerte mich an den aus schief gefeilten Holzlatten geklebten Untersetzer, den ich in der dritten Klasse eher beschämt nach Hause gebracht hatte und den meine Mutter heute noch verwendet.

Beschämt deshalb, weil es im Haushalt bereits einen baugleichen, allerdings perfekt wie aus dem Laden hergestellten Untersetzer gab – gefertigt von meiner älteren Schwester. Ich erwartete also nicht viel von meinen Handwerkskünsten und hatte mir ein simples Projekt vorgenommen: ein schmales Regal mit wenigen geraden Zinken. Die anderen Workshop-Teilnehmer*innen waren da weitaus ehrgeiziger. Einige brachten riesige dicke Bretter mit und trauten sich sogar an schräge Zinken mit runden Ecken heran.

Mein erster Aha-Effekt war mal wieder das Werkzeug: Wie einfach das Leben doch ist, wenn man gutes Werkzeug hat! Mit Winkel, Dozuki-Säge und Stechbeiteln verschiedener Breite machten wir uns ans Werk. Die Tischlermeisterin war die Ruhe selbst und erklärte uns, wie wir die Zinken ausarbeiten. Dabei fiel mir auf, dass ich nicht besonders gut darin bin, Anweisungen zu folgen. Meine Versuche, eine eigene überlegene Stechtechnik zu erfinden, scheiterten kläglich und ließen das Holz einreißen. Verdammt! Was hab ich mir nur dabei gedacht?

Anders als bei geistigen Arbeiten, wo es ja oft darum geht, eine neue, bessere oder schnellere Lösung für ein Problem zu finden, kann man sich beim Handwerk darauf verlassen, dass seit Jahrhunderten angewandte Techniken wohl ihren Grund haben. Die körperliche Beherrschung solcher Techniken ist eine Frage von oft jahrelanger Übung.

Das wurde noch mal deutlich, als einer der Ausbilder vorbeischaute. Er präsentierte uns stolz eine antike Gestellsäge und zeigte, wie man mit dem richtigen Griff, dem richtigen Winkel und dem richtigen Schwung perfekte, glatte Schnitte hinbekommt. Das war fast wie Ballett, wirklich schön anzusehen.

Natürlich waren wir – insbesondere ich – weit von solcher Meisterschaft entfernt. Ich war zwar als erste mit meinem Regal fertig, zahlte dafür aber auch einen hohen Preis, nämlich ein paar ausgerissene Zinken. Das Werkstück hat mir also Feedback gegeben: nämlich, dass ich mir doch besser etwas mehr Zeit gelassen und die ganze Sache mit mehr Geduld (und vielleicht auch mit ein paar mehr Nachfragen Richtung Meisterin) hätte angehen sollen.

Ein solches Feedback gibt ein Text nicht. Im Gegenteil, er lässt mir sehr viel Freiheit, mein eigenes Ding zu machen, solange ich mich an die Regeln von Grammatik und Rechtschreibung halte.

Apropos Rechtschreibung: Ich erlebe immer wieder, wie Kund*innen anfangen, ihre eigenen Rechtschreibregeln festzulegen. Nach dem Motto „Das sieht aber doof aus, wir schreiben das lieber so.“ Oder mein Favorit: „Wir haben das in allen Publikationen falschgeschrieben, also machen wir so weiter.“ Ist ja nicht so, als könnte man Fehler korrigieren, nech.

Nun hat ja die Rechtschreibreform 2006 nicht nur große Teile der schreibenden Bevölkerung nachhaltig verunsichert, sondern auch noch die Deutungshoheit des Dudens aufgehoben. Stattdessen gibt das Wörtverzeichnis des Rechtschreibrates. Das benutzt aber niemand, soweit ich weiß. Der Duden hat nach wie vor eine große Autorität, glänzt aber an vielen Stellen durch lasche Kann-Bestimmungen. Das macht dann wieder den Eindruck, man könne tun, was man wolle.

Manchmal frage ich mich, ob der historisch einmalig hohe Freiheitsgrad, den wir in unserem privilegierten westlichen Leben genießen, nicht manchmal auch Nachteile hat. Überall wird suggeriert, das wir absolute Herr*innen unseres Schicksals, unserer Lebensgestaltung sind. Die ganze Welt dreht sich nur um uns. Sechs Jahre lang warb die Postbank mit dem unsäglichen Slogan: „Unterm Strich zähl‘ ich“. Offensichtlich war man dann dort nicht mehr so glücklich damit.

Als Selbstständige genieße ich ja eine fast grenzenlose Freiheit, kann meine Zeit frei einteilen und bestimmen, mit wem ich zusammenarbeite. Mir kann keena wat, wa! Da kann man auch mal den Boden unter den Füßen verlieren. 😛 Manchmal sticht mich halt der Hafer.

Habe mich sogar schon dabei ertappt, wie ich mit Fahrradpolizist*innen rumdiskutiere, die mich wegen Fehlverhaltens gestoppt haben. (Und gleichzeitig murmelt meine innere Stimme der Vernunft: „Scheißidee, du redest dich um Kopf und Kragen, halt lieber die Klappe!“) Hab einfach keine Lust mehr, mir von irgendwem was sagen zu lassen. Das wird immer schlimmer, hasse es selber.

Vielleicht ist dieser übersteigerte Freiheitsdrang auch der Grund, warum viele Menschen sich so schwer tun, in Geschäften, Restaurants und im ÖPNV Masken zu tragen. Die haben einfach keine Lust, behördliche Anordnungen zu befolgen. Anders kann ich es mir nicht erklären. Denn wie es in diesem Tweet so schön heißt:

Ich trage eine Maske, denn wenn die Expert*innen Recht haben, könnte ich verhindern, dass sich jemand ansteckt und stirbt. Wenn die Expert*innen falsch liegen, hab ich eben ein unbequemes Stück Stoff im Gesicht getragen.

Ich rufe hier keineswegs zu blindem Gehorsam auf, im Gegenteil, aber man sollte schon wissen, wann es sich lohnt, sich über Anweisungen hinwegzusetzen – und wann es einfach nur gefährlich und dumm ist.

Photo by Mark Duffel on Unsplash

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3 Kommentare

  1. Schwarzes_Einhorn

    Übersteigerter Freiheitsdrang? Blödsinn. Mit der Maske vor dem Gesicht schaffe ich Treppen nicht, weil mir die Luft wegbleibt. Ich schwitze wie ein Pferd – auch an Stellen, wo die Maske gar nicht ist. Und der Sommer kommt erst… Im Bereich, wo die Maske aufliegt, juckt es enervierend, ich könnte kratzen, bis Blut kommt. Dazu die permanent beschlagene Brille plus Heuschnupfen und Wechseljahre – da macht das Tragen der Maske echt Spaß.

    Danke für den Link zum Rechtschreibrat. Ich korrigiere öfter freie eBooks, die von alten Büchern gescannt wurden – oft kommt der Scanner wegen Frakturschrift durcheinander (ff und ss) – da kommen schnell mal Fehler im vierstelligen Bereich zustande.

    • Unterschreibe ich so alles. Aber „andere und sich selbst nicht anstecken und am Leben bleiben“ erscheint mir der gewichtigere Grund. Vielleicht wäre ja ein urbandoo.net eine Alternative für Dich?

      • Schwarzes_Einhorn

        Schau ich mir an. Anfangs habe ich einen Schal genommen, aber der war immer da, wo er nicht sein sollte.
        Aber zugegeben bleibe ich die meiste Zeit zu Hause. Da ich ja coronabedingt auch noch gekündigt wurde, ist meine Laune – diplomatisch gesagt – unterirdisch und mein Geduldsfaden eine Lunte. Da muß ich nicht auch noch anderen Genervten auf den Zeiger gehen.

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