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Stimmbandlähmung: Erfahrungen, Infos, Tipps & Tricks

Da ich auf meinen Artikel „Wie ich fast meine Stimme verlor“ regelmäßig zum Thema Stimmbandlähmung angeschrieben werde, habe ich beschlossen, hier eine Infosammlung für Betroffene bereitzustellen. Wenn Ihr nicht betroffen seid, könnt Ihr diesen Artikel einfach ignorieren. Wenn Ihr Leute kennt, die betroffen sind, dann leitet den Artikel gern weiter. Offenbar geht es vielen Patient*innen so, dass die Rekurrensparese von den Ärzt*innen nicht weiter ernstgenommen wird und sie mit einem aufmunternden Spruch nach Hause entlassen werden. Das ist wirklich ein Unding.

Ihr könnt mich natürlich bei Fragen trotzdem gern anschreiben, aber vielleicht hilft es Euch ja schon mal weiter. Ich freue mich auch, wenn Ihr Eure Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren teilt, und werde den Text regelmäßig updaten.

Also, hallo! 🙂 Ich habe für Euch mal zusammengetragen, was ich gern gewusst hätte vor und nach der OP. Alles ist subjektiv und ersetzt keine medizinische Beratung.

Vor der OP: Alternativen checken

In meinem Fall (Schilddrüsenüberfunktion) habe ich das sogar getan. Ich hätte alternativ meine Schilddrüse bestrahlen lassen können (Radiojodtherapie). Diese Behandlung ist seit Jahrzehnten erprobt und komplett ungefährlich. Sie hat den Nachteil, dass die Bestrahlung schwerer zu steuern ist und das „zerschossene“ Gewebe der Schilddrüse stärker vernarbt, sodass man danach nicht mehr gut operieren kann, falls es nötig sein sollte.

Aber wenn mir bewusst gewesen wäre, wie einschneidend die Stimmbandlähmung für mein Leben sein würde, hätte ich mich auf jeden Fall für die Bestrahlung entschieden. Ich hatte mir sogar das Krankenhaus angeschaut, in dem die Radiojodtherapie stattfindet, und hatte dabei ein besseres Gefühl. Habe aber nicht drauf gehört – verdammt. Von daher: Erkundigt Euch, ob es Alternativen zu der geplanten OP gibt.

Das Risiko einer Stimmbandlähmung

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Schilddrüsen-OP schiefgeht und der Stimmbandnerv verletzt wird, wird mit maximal 1 Prozent angegeben. Das ist alles schön und gut, aber wenn man am Ende zu diesen 1 Prozent gehört, hilft es einem auch nicht weiter. Meine Operateurin war eine erfahrene Spezialistin, hatte schon über 5.000 OPs hinter sich und ich wusste aus erster Hand (meine Nichte war OP-Assistentin und hatte ihr assistiert), dass sie sehr gut operiert. Und trotzdem ist es passiert.

Zu anderen OPs, die zu einer Rekurrensparese führen können, kann ich nichts sagen, aber bitte informiert Euch gründlich über die Risiken und die Erfahrung der Operateur*innen: Wie viele OPs haben sie durchgeführt? Wie viele davon sind misslungen? Wählt die Klinik vorher aus, schaut sie Euch persönlich an. Wie sieht die Statistik der Klinik aus? Lest den Aufklärungsbogen gründlich.

Was ist eine Stimmbandlähmung?

Auf Wikipedia wird gut erklärt, was eine Rekurrensparese ist, welche Ursachen und Symptome es gibt. Es ist wichtig, dass Ihr wisst, wie genau die Stimmbandlähmung bei Euch aussieht, also in welcher Stellung das Stimmband gelähmt wurde. Die Phoniater*in kann Euch bei der Kehlkopfspiegelung ein Video davon zeigen.

Nach der OP: Logopädie und Atemtherapie

Aus meiner Erfahrung kann ich Euch folgende Tipps geben: Fangt möglichst schon drei Wochen nach der OP mit Logopädie an. Später geht natürlich auch noch – Hauptsache, das verbliebene Stimmband wird ordentlich trainiert. Auch Atemtherapie ist sehr hilfreich. Einige Logopäd*innen bieten Atemtherapie auf Kasse an, sodass Ihr nicht extra zahlen müsst. In vielen Fällen kann Logopädie zu großen Verbesserungen führen. Es kann aber Monate, manchmal Jahre dauern. Ausdauer ist alles!

Reha nach Rekurrensparese

Macht eine Reha, um Euch mal mindestens drei Wochen mit der neuen Situation auseinanderzusetzen, andere Betroffene kennenzulernen und neue Techniken und Tricks für die Stimme zu lernen. Und natürlich, um Euch zu erholen. Den Antrag gibt es bei der Rentenversicherung, die Phoniater*in muss ihn ausfüllen. Ich kann Euch Bad Gögging empfehlen, besonders zur Spargelzeit. 😉

In Bad Oeynhausen fand ich das Gebäude ganz schlimm (alles in Rosa und Gold, keine Balkone) und dazu die schwerst angeschlagenen Mitpatient*innen aus der Abteilung Traumapsychologie. Die Behandlungen waren in beiden Kliniken ganz OK. Es wird auch eine psychologische Betreuung angeboten – sehr zu empfehlen.

In Bad Rappenau gibt es noch eine Stimmheilklinik, zu der ich aber nichts sagen kann, weil ich noch nicht dort war.

Psychologische Betreuung

Der Verlust oder die starke Veränderung der Stimme ist ein starker Einschnitt für die Lebensqualität, den Außenstehende meist nicht nachvollziehen können. Im Gegenteil, nach meiner Erfahrung werden die Auswirkungen gerade auf die Psyche extrem unterschätzt. Erst mal geht es darum, den Ist-Zustand zu akzeptieren, die neue Lebensrealität mit ihren Einschränkungen und die neue (leisere oder heisere) Persönlichkeit, die man plötzlich gezwungenermaßen ist.

Deshalb: Kümmert Euch um Eure Psyche, das ist alles ganz schön belastend. Sucht Euch eine psychologische Betreuung. Ich habe die psychologische Betreuung in der Reha mitgenommen und das war für mich ausreichend. Natürlich hilft es auch, mit Familie, Partner*in, Freund*innen und anderen Betroffenen darüber zu sprechen. Ganz wichtig ist, das Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen wiederherzustellen.

Stimmverstärker

Habt Ihr Bock, mal wieder ein bißchen rumzubrüllen? Dann holt Euch einen Stimmverstärker. Als ich den das erste Mal benutzt habe, habe ich sofort angefangen, Menschen am anderen Ende des Raumes Witze zuzurufen. Das hat so gut getan! 🙂 Es gibt günstige Stimmverstärker bei Amazon, die nicht viel schlechter sind als die teuren auf Rezept.

So ein Gerät kann in bestimmten Situationen hilfreich sein, z. B. wenn man lange sprechen muss oder vor größeren Gruppen. Ich habe mal eine Führung durch ein historisches Gebäude gemacht mit dem Gerät und nutze es auch bei Veranstaltungen, wenn es mal wieder heißt: „Ach was, der Raum ist so klein, da brauchen wir keine Mikrofonanlage.“ Also, ich schon! Vielleicht ist er auch nützlich, wenn Ihr mit Hund oder Kindern unterwegs seid. Gegen so einen voll aufgedrehten Lautsprecher kommt niemand an. Außerdem fühlt man sich wie so eine hippe Fitnesstrainer*in. 😉

Für Kinder oder Hund kann auch eine Trillerpfeife oder Hundepfeife nützlich sein.

Stimmband-Unterspritzung bei Stimmbandlähmung

Je nach Schwere der Stimmbandlähmung gibt es verschiedene Möglichkeiten, das Stimmband zu unterspritzen, damit der Stimmlippenschluss erreicht wird, z. B. mit Eigenfett oder Silikon. Hierzu kann ich keine Empfehlung abgeben, außer, dass ich mich vor Jahren mal bei der Phoniatrie der Charité vorgestellt habe. Die OP wäre bei mir möglich gewesen, ich habe mich aber aus einer Risiko-Nutzenabwägung heraus dagegen entschieden. Anders ausgedrückt: Ich möchte niemanden mehr an meine Stimmbänder ranlassen. Wichtig: Die Krankenkasse übernimmt die OP-Kosten, Ihr müsst dafür also nicht irgendeinen Privatarzt teuer bezahlen.

Wenn Ihr Euch dazu informieren wollt, macht am besten einen Termin in der Charité oder einer anderen Klinik und stellt Euch bei den Spezialist*innen vor.

Körpersprache

Ich selber bin eher schlecht darin und sollte da sicher mehr machen. Aber mit Körpersprache und gezielt eingesetzten nonverbalen Signalen kann man auch viel ausgleichen, gerade in Hinblick auf das Durchsetzungsvermögen. Einfach mal auf Youtube schauen. (Ergänze hier später mehr.)

Tipps & Tricks für den Alltag

In der Gruppe

  • im Sitzen: Füße auf den Boden
  • den Finger heben, wenn man etwas sagen will
  • aufstehen (wenn man sitzt), um zu zeigen, dass man etwas sagen will
  • sich strecken und „aufplustern“ (wenn man steht)
  • stärker gestikulieren
  • Blickkontakt suchen
  • bei längeren Telefonaten und Videocalls: zwischendurch Wasser trinken

Bei öffentlichen Auftritten

  • vorher: Stimmlockerungsübungen machen, z. B. mit einem Schlauch im Wasserglas gluckern, Bauchatmungsübungen
  • vorher: auf dem Klo oder in einer Ecke hüpfen, um alles zu lockern
  • fester Stand (leicht breitbeinig), Füße „saugen sich fest“
  • vorher und während des Auftritts viel Wasser trinken
  • Mikrofon oder Stimmverstärker (vorher testen)

Die laute Welt

Bei mir war es so, dass die Welt plötzlich sehr viel lauter geworden ist. Volle Restaurants, laute Musik, Kaffemühlen, Motorräder, Presslufthämmer, Menschenmassen – alles sehr unangenehm. Versucht, Euer Leben daran anzupassen.

Anfangs bin ich vorzugsweise in leere Restaurants gegangen (mag ich eh lieber). Ich passe auf, dass ich nicht unterm Lautsprecher oder neben der Kaffeemühle sitze. Wenn die Kaffeemühle läuft oder ein Motorrad vorbeikommt, höre ich auf zu sprechen – es hat eh keinen Zweck. Insgesamt gehe ich viel weniger aus und bin mehr zu Hause.

Das Autoradio bleibt aus, es sei denn ich fahre allein. Nebenbei plärrender Fernseher oder lautes Radio schalte ich ebenfalls aus, wenn ich irgendwo zu Besuch bin. Da müsse die Leute durch.

Ich treffe mich ungern in größeren Gruppen, sondern lieber mit 1-3 Leuten, das entspricht aber auch meiner introvertierten Persönlichkeit.

Wer in einer lauten Gegend wohnt, sollte überlegen, in eine ruhigere Ecke zu ziehen. Das entfernt den größten Stress aus dem Leben.

Wenn es nötig ist, wechselt den Job. Es muss nicht immer ein komplett neuer Beruf sein. Vielleicht findet Ihr auch einen Teilaspekt Eures Jobs, den Ihr gern macht und wo die Stimme nicht so gefragt ist. Zum Beispiel vom Front Office mit Kundenkontakt ins Back Office zur Vertragsprüfung. Ich persönlich war Pressesprecherin und bin jetzt Texterin und Autorin: vom Sprechen zum Schreiben.

Öffentliches Sprechen: Anfangs fiel es mir sehr schwer, da ich immer Angst hatte, dass meine Stimme versagt. Dann habe ich gemerkt, dass es viel wichtiger ist, WAS ich sage als WIE meine Stimme klingt. Mit einem Vortrag vor 1.500 Menschen hatte ich sogar einen Riesenerfolg (obwohl ich gefühlt alle 5 Sätze Wasser trinken musste 😉 ) und habe eine Zeit sogar lang als Keynote Speakerin Vorträge gehalten. Verrückt, oder? Irgendwann habe ich die Lust daran wieder verloren. Gelegentlich zwinge ich mich, mich auf Veranstaltunge zu Wort zu melden, einfach um zu üben.

Vorwarnen oder nicht?

Manchmal habe ich das Publikum/mein Gegenüber vorgewarnt, dass ich eine Stimmbandlähmung habe. Das war vor allem am Anfang der Fall, da meine Stimme schnell mal angeschmiert ist. Die Reaktionen waren immer gut, allerdings musste ich manchmal viel erklären. Später, als die Stimme besser wurde, hatte ich meistens keine Lust dazu. Probiert es einfach aus, was für Euch besser funktioniert.

Andere von einer Stimmbandlähmung Betroffene finden

Schaut mal, ob es eine Selbsthilfegruppe in Eurer Nähe gibt. Auf Facebook gibt es mehrere Gruppen, die sich zum Thema Stimmbandlähmung austauschen.

Kontakt

Falls Ihr nicht öffentlich kommentieren möchtet, könnt Ihr mir gern eine Mail schicken an lydia{at}bueronymus.de. Ich freu mich und antworte garantiert.

Ansonsten: Alles Gute und es gilt das Motto von Menderes Bağcı: Never give up!

 

Photo by Vish K on Unsplash