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Ein Hang zu Qualität

Bei der Arbeit stoße ich immer wieder auf die gleichen Probleme. Z. B. kann ich nicht mit unterirdischer Qualität umgehen. Ich meine damit nicht, dass mal irgendwo ein Fehler auftaucht. Da ist meine Toleranz enorm gestiegen seit meinem großen Fuckup, hehe. Fehler machen ist okay, wenn man bereit ist zu lernen und nicht den gleichen Fehler immer wieder begeht. Was mich fertig macht, ist wenn etwas wirklich GROTTENSCHLECHT ist und dann auf meinem Tisch landet.

Machen wir uns nichts vor: Man kann einen schlechten Text reparieren. Noch besser tritt man ihn mit Schwung in die Tonne und fängt ganz neu an. Aber was, wenn die Person, die das Ding verzapft hat, nicht die leiseste Ahnung hat, wie grottig ihr Text ist. Ich hab Jahre gebraucht, bis ich kapiert habe, dass manche Leute gute Qualität wirklich nicht von schlechter unterscheiden können.

Ich glaube ja, Qualitätsbewusstsein wird gelernt. Im Kapitalismus ist das ja auch äußerst wichtig für die Karriere als Konsument*in. Es gilt, die verschiedenen Stufen des Wohlstandes zu erklimmen. Als Studentin hab ich von Tütensuppen und Spaghetti mit Ketchup gelebt, habe mich dann von Lidl über Rewe zu Biocompany und nem eigenen Bauern hochgearbeitet. Nach oben ist die Qualitätsskala offen. Die ganz Reichen beschäftigen eigenes Personal, das täglich frisch für sie kocht. (Ein Traum!)

Wer noch nie Gelegenheit hatte, seinen Gaumen an Gourmet-Gerichten zu schulen, der ist halt mit der Tiefkühl-Pizza von Aldi zufrieden. Wer immer nur Schundromane gelesen hat, der wird den Sprung zu hochwertiger Literatur irgendwann nicht mehr hinbekommen. Ein Beweis für meine These ist, dass es im Osten ja keine Schundromane gab. Deshalb lasen alle – gezwungenermaßen – gute Bücher. Die Mutter einer Freundin war Verkäuferin und zog sich ganz selbstverständlich Dostojewski und Tolstoi rein. Auf anderen Gebieten gab es diese Schulung aber nicht.

Ein Berliner Szene-Gastronom erzählte mal in einem Interview, wie sein alter Vater aus Vietnam weiße Plastikstühle aus dem Baumarkt anschleppte: „Du hast doch nicht genug Platz für deine Gäste.“ Er verstand nicht, dass diese Stühle nicht in ein Szenelokal passten. Ein Stuhl war für ihn ein Stuhl. Ich glaube, viele Ost-Eltern ticken auch so. 😀

Und dann gibt es noch die Leute, die eine schlechte Produktqualität nicht nur tolerieren – die finden das toll! Ab und zu verirrt sich ein sogenannter Youtuber auf meinen Bildschirm – und oh, boy! Als Ex-Fernsehautorin wird mir schon nach ein paar Sekunden übel. Da ist einfach alles lächerlich schlecht: mieser Bildaufbau, grottiger Ton, hanebüchene Schnitte, der Inhalt (welcher Inhalt?!), eine simple Sprache, schlimme Musik druntergelegt. Aber die Kids finden es geil, die kennen es wohl nicht anders.

Ein paarmal wurde ich angefragt, um megahässliche Flyer zu texten. („Megahässlich sagt man nicht, das ist aber hart.“ DOOOCH, das muss man sagen! Die waren ganz schlimm.) So Flyer, die auf dem Bürgeramt rumliegen und wo man sich fragt: Hat die ein Kind mit geschlossenen Augen und auf LSD designt? Wer macht sowas? Zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass das keine Versehen sind und auch keine selbstgebastelten günstigen Notlösungen, sondern dass es Leute gibt, die das genau so haben wollen. Und die dafür Geld bezahlen. Wow!

Noch überraschter war ich, als ich feststellen musste, dass passend zum fiesen Design richtig schlechter Text von mir erwartet wurde. Also voller aufgeblähter Phrasen und Wiederholungen. Denn so war man es dort gewohnt. Das hat natürlich nicht funktioniert – das ist genau das Gegenteil von dem, wofür ich stehe.

Ich habe ja auch viele Jahre für einen Laden gearbeitet, wo ich mich komplett fürs Marketing geschämt habe. Schon beim Logo fragten mich Leute, die sich auskannten, grinsend, wer denn diesen schlecht ausgeschnittenen Eierkuchen entworfen hatte. Aber jeder Versuch meinerseits, die mangelhafte Qualität von eigentlich allem, was nach draußen ging, intern anzusprechen, scheiterte. Niemand außer mir sah das Problem.

Was für Leute machen so etwas? Und verteidigen das dann auch noch wie wild? So ziemlich das einzig Nützliche, was ich aus meinen old school Führungsseminaren mitgenommen hatte, war das Reifegradmodell des Situativen Führens, von mir liebevoll Willig-Fähig-Matrix genannt. Die ist nicht nur super, um einen Führungsstil zu finden, sondern auch für die Auswahl von Menschen, mit denen man zusammenarbeitet. Jedenfalls habe ich mir erlaubt, sie dafür umzufunktionieren.

Willig-Fähig-MatrixDenn klar ist ja wohl, dass Leute, die sowohl willig als auch fähig sind, die idealen Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen oder Kund*innen sind. Die wissen, was sie tun. Auch die Kommunikation ist oft einfacher. Stichwort: Einmal mit Profis arbeiten.

Umgekehrt dürfte die Arbeit mit Menschen, die weder Bock noch Ahnung haben, eher weniger vergnügungssteuerpflichtig sein. Am besten also einen großen Bogen drum machen. Dann gibt es noch die, die fähig sind, aber irgendwie verschnarcht oder frustriert. Da muss man den Knopf finden, der sie aus ihrem Standby-Modus rausholt.

Aber die Leute, die mich total fertigmachen, sind die links oben auf der Willig-Fähig-Matrix. Die haben es nicht drauf, sind aber wahnsinnig produktiv. Die wissen nicht, was Qualität ist, machen aber einfach mal. Um mal wieder auf die Texte zurückzukommen: Die verstehen gar nicht, dass es sowas wie eine Sprach- und Erzählkompetenz gibt. „Schreiben kann doch jede*r“, ist das Motto.

Oder: „Das ist doch Geschmackssache.“ Nein, es gibt klare Gütekriterien für Verständlichkeit und Stil – wissenschaftlich untersucht. Es gibt gute Texte und es gibt schlechte Texte. Wenn man möchte, dass Texte gelesen werden, sollten sie möglichst gut sein. Grafiker*innen können auch ein Lied davon singen. Bestimmte Dinge sind eben nicht Geschmackssache, sondern Basics. Eine weiße Schrift auf hellblauem Grund ist selten eine gute Idee, genau wie 10 Zeilen Text auf einem Plakat.

Wie man auf der Matrix erkennen kann, müsste man diese Leute qualifizieren, aber das geht natürlich schwer als Außenstehende. Ich unterrichte ja sogar Texten und Storytelling, aber es ist halt schwierig, als freie Lektorin plötzlich seine Kund*innen ins Textseminar einzuladen.

Vielleicht hab ich auch ein Problem, Kritik so anzubringen, dass sie angenommen wird. „Entschuldigung, Ihr Produkt ist absolut unterirdisch, aber ich hätte da ein paar Ideen, wie man das ändern könnte“ – sowas kommt nur im Film gut an. In der echten Welt sind die Leute dann beleidigt. Ich gebe zu, ich verachte Pfusch und eventuell kann ich das ein bisschen schlecht verbergen.

Die Alternative ist, vorsichtige Andeutungen zu machen, dass das Produkt vielleicht verbesserungswürdig ist. Das ist oft zu subtil – das checkt dann wieder keiner.

Der Astronom Aleks Scholz hat mal gesagt:

Wenn etwas völlig dysfunktional ist, muss man sich immer fragen, ob es nicht eine völlig andere Funktion hat.

Damit habe ich immer Probleme, einfach weil ich so naiv bin zu glauben, dass z. B. Broschüren dafür gemacht werden, gelesen zu werden und Informationen zu transportieren. Dabei können sie so viele andere Zwecke erfüllen: Selbstbeweihräucherung des Vorstands, Existenzberechtigungsnachweis der Marketingabteilung – oder es muss einfach noch Budget weg.

Ich denk halt immer, wenn man so viel Zeit und Geld und Herzblut in etwas steckt, dann sollte doch auch was Tolles dabei herauskommen. Qualität! Und es juckt mich in den Fingern, etwas Gutes daraus zu machen. Es wäre mir ein Leichtes und es würde die Welt ein bisschen perfekter machen. Aber oft müsste ich dafür das ganze Projekt an mich reißen – und ich habe mich ja als Freelancer für weniger Verantwortung entschieden. Ich will ja gerade den ganzen anstrengenden Tanz nicht mehr, einfach nur meinen Teil zuliefern und gut ist.

Nach meinem letzten Burnout ging es mir wie Kevin Spacey, der am Ende von „American Beauty“ bei Burger King im Drive-In steht und sagt: „Ich suche einen Job mit möglichst wenig Verantwortung.“

Mir war einfach alles zu viel – diese ständige Abstimmerei und Taktiererei und all die Befindlichkeiten, die Emotionsarbeit. Dabei steht die Zulieferei meinem Charakter eigentlich entgegen. Ich mag Verantwortung und wenn irgendwo welche rumliegt, lade ich sie mir auf. Aber es ist besser für meine Nerven, wie ich erkennen musste, wenn ich mir das nicht antue.

Also halte ich den Mund und kassiere weiter mein Honorar dafür, aus schlecht ein bisschen weniger schlecht zu machen.

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3 Kommentare

  1. PJ

    Liebe Lydia,
    am Besten gefällt mir, sich zu überlegen, was EIGENTLICH die „Funktion des Produktes“ ist – wie im Zitat geschrieben. Welche „andere Funktion“ verbirgt sich hinter dem Schund. Die „hidden Agenda“ hinter schlechter Qualität (wenn’s nicht Unfähigkeit ist – aber man soll ja immer mehrere Hypothesen bilden… gell)

    Vielleicht – wenn es um Texte geht:
    Klarheit vermeiden statt Dinge sagen zu müssen.

    Das Wichtigste an einem Auftrag ist ja immer die sogenannte „Auftragsklärung“ – dieses lästige Nachgefrage „wozu soll’s denn gut sein“ oder „was soll nachher anders sein?“ (in Deinem Beispiel vielleicht: „Nachher sollen sehr hässliche Flyer rumliegen, die dafür sorgen, dass diese unnötige Flyerdruckerei bei uns endlich mal ein Ende hat“ ;-))
    Vielleicht sollte man die „verdeckte Funktion“ einfach mal plakativ aufdecken und DEUTLICH HERZEIGEN „Guck mal, wenn ich Deinen ‚Qualitäts’gedanken konsequent weiterspinne, dann müssen aber auch ein paar böse Grammatikfehler rein“
    (Und DA dann nicht zynisch werden … auweia)
    😉
    Alles Liebe,
    PJ

  2. Danke Dir, Lydia.

    Kommunikation und Organisation sind zwei sehr faszinierende Blickwinkel auf menschliches Verhalten.

    Organisation dient dazu, Wirkung zu verstärken und dadurch das Erwünschte wahrscheinlicher zu machen.

    Kommunikation dient dem Ausgleich und ist daher in seiner Anwendung sehr verräterisch.
    Der Sender verrät mit seiner Nachricht immer ein Ungleichgewicht nach seiner/ihrer Wahrnehmung.

    Jetzt könnte man annehmen, der Sender einer Nachricht wolle verstanden werden und eine Änderung in der Außenwelt erreichen. Das wäre ja auch die Grundannahme jeder Sprachwissenschaft, Methoden wie GfK (Giraffensprache, nicht Einschaltquote!) und allem anderen, was mit Beziehungsgestaltung zu tun hat …

    Ein guter Freund, der kürzlich aus der Schweiz nach Berlin gezogen ist, sagte am Wochenende:
    „8 Millionen Deutsche arbeiten, der Rest ist beschäftigt …“

    Das mit der Verantwortung ist dabei eine perfide Falle für die Willigen und Fähigen.
    Wofür trage ich Verantwortung? Für das Produkt (das Arbeitsergebnis) oder für die Beschäftigten … 😉

  3. Eine Leserin

    Dieser Beitrag hat eine Saite sehr heftig zum Schwingen gebracht, ich musste mir die wundervolle Matrix noch einmal ansehen. Leute, die ohne Anspruch an Sinn irgendwas produzieren*, stufe ich, nach einigem Rumknabbern, als Unfähig-Unwillig ein, wenn sie sich selber nicht verbessern wollen und jede Qualifizierung von sich weisen. Sie scheinen nur willig. Also Finger weg, keine Energie verschwenden. Ein gerade sehr hilfreicher Impuls, Danke!

    *die Broschüreritis zB hat was von Cargo-Kult…

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