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Marktplatz der Eitelkeiten

Wir müssen über LinkedIn reden. Ich guck ja nur selten rein, aber jedesmal denke ich: Holla, was geht denn da ab? Nachdem Xing sich ja gekonnt in die Bedeutungslosigkeit manövriert hat, ist LinkedIn – von mir weitgehend unbemerkt, da ich ja auf Twitter und neuerdings Bluesky wohne – zu einer Art Business-Instagram auf Koks mutiert. Vor Kurzem hab ich wieder mal einen Blick riskiert und mich gefragt, ob ich es eigentlich noch mit meiner Würde vereinbaren kann, dort ein Profil zu haben.

Nun weiß ich nicht, was für ein Algorithmus da schon wieder am Werk ist, aber mir werden zu 95 % Leute mit Bullshitjobs angezeigt. Wenn das auch nur halbwegs repräsentativ ist für unsere Gesellschaft, dann wundert es mich nicht mehr, dass es keine Pfleger*innen und Handwerker*innen mehr gibt. Die Leute, die mir angezeigt werden, geben als Berufsbezeichnung an:

  • Veränderungsmeister
  • Agility Master
  • New Work Designerin
  • Ask yourself irgendwas
  • Wandel wagen
  • Scaling my knowledge and sharing what I learn along the way
  • Communicating irgendwas
  • Expertin für komplexe Entscheidungen
  • Wir befähigen Organisationen die digitale Transformation … [Schon keinen Bock mehr weiterzulesen und da fehlt ein Komma, Stefan.]
  • Ich begleite DEINE FÜHRUNGSKRÄFTE im Health-Bereich! (sic)
  • Shaping a beautiful future with unconventional ways of thinking

Da bin ich schon fast dankbar für diesen einen Ex-Werber, der eine Hummus-Bude aufgemacht hat. Wahrscheinlich hat er das alles auch nicht mehr ausgehalten. Wobei dessen Social-Media-Strategie darin besteht, auf LinkedIn immer wieder auf seine Hummus-Bude hinzuweisen. „Hier gibt’s den leckersten Hummus!!“ Ja, danke, wir haben’s jetzt alle geschnallt, Jens.

Ich verstehe ja, dass man sich irgendwie verkaufen muss. Oder glaubt, sich verkaufen zu müssen. Zumindest als Selbstständige. Was die ganzen Festangestellten dort treiben, ist mir ein Rätsel. Steht das in der Zielvereinbarung, dass man auf LinkedIn aktiv sein muss? Oder bringt man sich dort für den nächsten, noch geileren Job in Position?

Wenn ich da so durchscrolle, überfällt mich ein einziges, intensives Fremdschämen. Leute teilen ihre bahnbrechenden Erkenntnisse („Die Vier-Tage-Woche ist eine gute Sache“, „Carpe diem“, „Krise als Chance“) oder lassen sich für ihren neuen Job als Head of DACH feiern („I’m so happy for you!“).

In letzter Zeit taucht eine Menge Selbstbeweihräucherung auf, à la „Habe meinen alten Vater 10 Jahre lang gepflegt.“ (Gut für Dich, Gesine! Schon mal gehört von „Tue Gutes, aber rede nicht ständig darüber“?) Oder Dr. Doof: „Natürlich gebe ich meinem Patienten ein Bier – coole Sau, die ich bin.“ Hoffe, sein Klinikdirektor hat den Post gesehen.

Am peinlichsten sind die „Ich bin für den international renommierten Käse- und Quark-Award nominiert, bitte stimmt alle für mich ab!“-Beiträge. Um Stimmen betteln, wenn man nicht gerade eine NGO auf der Jagd nach mehr Budget ist oder ein*e Politiker*in im Wahlkampf, ist doch total würdelos.

Nein, ich korrigiere mich: Am peinlichsten sind haushoch privilegierte steinreiche Berater, die in ellenlangen Sülzbeiträgen herumprotzen, dass sie „dann arbeiten, wenn es in ihr Leben passt“ und sich ansonsten (oh wow!) um ihre eigenen Kinder kümmern – was ja verdammt noch mal ihre väterliche Pflicht ist.

Ich merke selber, wie man manchmal abheben kann ob der geilen Arbeitssituation, die man sich dank der eigenen Privilegien plus einer Portion Glück geschaffen hat. Ich gönne es jeder und jedem, so leben zu dürfen. Aber sollte man sich nicht dessen bewusst sein, dass diese Art von Selbstbestimmung bei der Arbeit für viele Menschen nicht machbar ist?

Hey Uwe, was wäre, wenn die Ärztin in der Notaufnahme dein beim Squash zermatschtes Knie nur dann behandelt, wenn es „in ihr Leben passt“? Oder wenn der Soldat dein Land nur verteidigt, wenn er gerade Bock drauf hat? Ist ja toll, dass du nur noch manchmal arbeiten musst und dir dann auch noch aussuchen kannst, wann und wo – aber muss man sich wirklich selber öffentlich dafür abfeiern? Schwanzvergleich nicht mehr mit Porsche, sondern mit Zeit?

Der Uwe postet Bilder von seiner stylishen Dachterrasse und kaut einem in einem langatmigen Beitrag ein Ohr ab, was für ein selbstreflektierter Held er doch ist. „Erfolg ist für mich übrigens nicht Geld oder Karriere, sondern eine glückliche Familie.“ Dieser Satz gehört in jedes LinkedIn-Banalitäten-Bingo. Ich meine, gratuliere zu der Erkenntnis – aber ist es nicht auch ein bisschen peinlich, wenn einem die erst als 60-Jährigem bei der dritten Frau und dem fünften Kind kommt? (Geraten, so gut kenne ich ihn nicht. :D)

Und damit ist Uwe repräsentativ für die Bullshit-Zone, die LinkedIn mittlerweile geworden ist. Aber jetzt kommt’s: Dieser peinliche Post, der eigentlich nur aus „ich“, „mein“ und „mich“ besteht, hat 1.481 Likes und 226 Kommentare. Darunter immerhin ein paar, die den Uwe höflich auf seine Privilegien hinweisen. Diese Nestbeschmutzer*innen bekommen aber nur ganz wenige Likes. Die haben offenbar nicht verstanden, wie das so läuft beim Ego-Pingpong. 😛 Heute schon geschleimt?

Wenn ich länger auf LinkedIn herumscrolle – es ist wie ein Unfall, man muss halt hinschauen – habe ich das Gefühl, in einer Scheinrealität zu landen, in der kaum jemand irgendetwas Nützliches zur Gesellschaft beiträgt, aber viele gekonnt Schaum schlagen.

Irgendwo habe ich mal ein Gleichnis zur Dienstleistungsgesellschaft gelesen: Schiffbrüchige stranden auf einer einsamen Insel, waschen sich gegenseitig die Wäsche und bezahlen einander dafür. Ist das dann eine Wirtschaft, auch wenn niemand etwas herstellt? Wenn Business-Darsteller*innen sich gegenseitig Bullshit verkaufen und einander dafür abfeiern, ist das dann ein Business-Netzwerk?

Ich hab wirklich Fragen: Spüren die Leute auf LinkedIn sich eigentlich noch? Hören die sich selbst überhaupt zu? Kriegen die mit, dass es da draußen eine echte Welt gibt mit Krieg und Klimakrise und so? Dass man die nicht mit einem Glückskeksspruch retten kann?

Wozu braucht man ein LinkedIn-Profil? Eigentlich bin ich ja der beste Beweis dafür, dass man auch ohne Netzwerk erfolgreich sein kann. 😛 Was sagt Ihr? Dichtmachen?

Foto von Anh Tuan To auf Unsplash

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6 Kommentare

  1. Sehr feiner Artikel, das! Deckt sich nahezu deckungsgleich mit meinen Erfahrungen auf dieser Illustren Plattform.

    Um mit dem doch sehr hart grassierenden Bullshit besser klarzukommen, empfehle ich ganz unbedingt das große LinkedIn-Trinkspiel:

    https://schallundstille.de/2021/12/08/das-grosse-linkedin-trinkspiel/

    Momentan noch in der 2021er Version, ich muss es bei Gelegenheit mal updaten und Web3 durch GPT ersetzen. Aber größtenteils funktioniert es noch.

  2. Mathias Wrede

    So gut kann ich es gar nicht in Worte gassen. Jedes Wort davon kann ich fett unterstreichen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Artikel zu teilen. 🙂

  3. Petra

    Liebe Lydia
    dichtmachen! Ich unterstütze das Bullshit-Job-Bingo auch schon lang nicht mehr. Komme mir da auch regelmässig „underdressed“ vor. Wozu soll das gut sein? Eine Firma, die nach solchen Luftpumpen sucht, kann mit mir eh nichts anfangen..
    LG und Danke!

  4. Du sprichst mir so aus der Seele!

    Zu deiner Frage zu den Profilen von Festangestellten: Mein Profil entstand, weil mein Arbeitgeber das so wollte (ich selbst fand das Portal von Anfang an nervig). Wir haben damit die eigenen Firmen-Beiträge geliked, damit sie mehr Aufmerksamkeit erhalten.

    Seitdem ich nicht mehr bei der Firma bin, bin ich auch nicht mehr auf LinkedIn aktiv. Auf Xing erhalte ich heute noch Angebote von Headhuntern, die realistisch sind, auf LinkedIn gab es nicht mal attraktive Angebote in der Jobbörse. Selbst die dort eingestellten Jobs sind zum Teil Fake zur Werbung für Unternehmen. Bewirbt man sich da, kommt man in den Bewerber-Pool der Firma oder der Personalvermittlungsfirma (ich schrieb häufiger über deren Machenschaften), um im Falle eines Falles angeschrieben zu werden, was dann nie passiert. Man ist nur Datenmüll für eine Provision eines jung, dynamisch, aufstrebenden Personalirgendwas….

    Meine Jobkontakte erhalte ich durch direkte Ansprache. Völlig oldschool per Telefon oder Mail 😀 Inzwischen sogar durch Mund zu Mund-Propaganda 🙂 Eigentlich könnte ich mittlerweile alle Jobportal-Profile löschen.

    Ich behalte die Profile eigentlich nur noch aus Nostalgiegründen und dafür, dass ich mir Profile ansehen kann, die für Außenstehende nicht freigeschaltet sind.

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