Zum Inhalt springen

Business-Allergie

Kennt Ihr das, wenn man eine ganze Weile kein Fernsehen geguckt hat (sondern nur noch Netflix oder Mediatheken, wie ja eigentlich fast jeder heutzutage)? Und dann schaltet man rein und sieht zum ersten mal seit Langem wieder Werbung? „Whoahaha, was für ein Scheiß!“, denkt man sich dann.

Auf einmal, weil man entwöhnt ist von dem ganzen Laberrhabarber, hört und sieht man nämlich genau hin. Und man fragt sich: Was zum Teufel machen die da? Und warum?

So geht es mir momentan mit der Geschäftswelt. Ich habe eine Business-Allergie. Gut, das lässt sich leicht sagen, wenn man gerade in Thailand in der Hängematte liegt, hehe. Aber es ist echt schlimm. Ich bin ja nun schon vier Jahre raus und habe es geschafft, nur noch für Textkunden und Medien zu schreiben, die in diese klassische Businesswelt nicht so reingehören.

Anders ginge es auch gar nicht, weil ich ständig lachen muss. Das ist mir manchmal richtig peinlich, aber ich kann nicht anders. Ich will ja niemanden auslachen für das, was er oder sie ist (oder sein will), aber ich sehe die Welt jetzt mit anderen Augen.

Erst mal sind alle so gehetzt. Meine Güte! Ich glaube ja, dass ist auch ein USP (haha!) von mir, dass ich so gechillt bin. Ich krieg nen Anruf und leier mich vom Sofa hoch und mit meinem noch ziemlich unten seienden Kreislauf hole ich erst mal die Kunden auf den Boden. Ich glaub, die mögen das ganz gerne.

Ich hab halt keine Lust mehr, mich stressen zu lassen. Wer stresst, fliegt raus. Ich kann mir Stress nicht mehr leisten, gesundheitlich, aber auch finanziell. Das hängt ja zusammen.

Da ich jetzt wieder öfter mal Bahn fahre, z. B. zu Vorträgen, komme ich nicht umhin, Businesskaspern zu begegnen. Erst mal die Klamotten. Ich muss immer wieder an das Interview mit Sarah Bansemer denken, wo sie darüber spricht, was es für ein Bombenvorteil ist, im Homeoffice Hausschuhe tragen zu können. Ja, Mann! Nicht nur das. Jogginghose, irgendwas, was nicht zwickt und knittert und sich wie ne Rüstung anfühlt.

Ich habe viel Mitgefühl mit Leuten, insbesondere Männern, die täglich Anzug tragen müssen. Meistens sind es ja auch keine tollen Anzüge, sondern irgendwas von C&A. Oder bei den älteren Semestern gern diese Kapitänsnummer mit den Goldknöpfen. Aye, aye, mein Käptn! Aber okay, selbstgewähltes Elend, wenn man so rumläuft.

Die Leute verstecken sich auch hinter ihren Rüstungen. Ich fand es bei unseren Führungs-Strategie-Auszeiten (bei denen es nie um eine Strategie ging) immer sehr erfrischend, wenn wir mal normale Klamotten anziehen durften. Mit nem Hoodie hatte der Kollege Abteilungsleiter nicht mehr einen ganz so langen Stock im Hintern.

Wir konnten dann auch normaler miteinander reden. (Noch normaler, weil menschlicher, wurde es abends in der Kneipe, wenn die großartigen Saufstorys von damals aus der Ausbildungszeit rausgeholt wurden. Aber pscht, Diskretion ist natürlich Ehrensache.) 😉

Jaja, die Sprache. Ich hab immer sehr drunter gelitten, unter diesem Business Bullshit. Das ist ja nicht nur ganz übles Deutsch. Noch schlimmer finde ich diese devote Art, dieses innere Hacken-Zusammenschlagen, z. B. mitfahrender Businesskasper am Handy: „Jawoll, Herr Meier! Da gebe ich Ihnen zeitnah eine Rückmeldung! Heute noch! Absolut!“ Seht mich, wie ich aus dem Bahnfenster breche.

Und diese schreckliche Sprache diffundiert immer mehr in unseren Alltag hinein. Das mit der „zeitnahen Rückmeldung“ habe ich erst heute im Interview mit einer (sonst eigentlich ganz fitten) Bloggerin gelesen. Sie freut sich, dass sie von ihren Leser*innen „zeitnah eine Rückmeldung“ bekommt. Per Kommentar auf ihrem privaten Blog. Wieder drängt sich die Frage auf: Was macht Ihr da? Warum redet Ihr so?

Warum braucht Ihr das? Warum brauchte ich das? Denn offensichtlich hatte ich ja auch mal das Bedürfnis, mich in einen Anzug zu schmeißen und einen Haufen Dinge zu tun, die mir keinen Spaß gemacht haben. Klare Kompensation, würde ich aus heutiger Sicht sagen. Man glaubt, man braucht das, um sich aufzuwerten.

Es wird einem auch von vielen Seiten suggeriert, dass das normal ist. „Karriere“ halt. Ich denke, den Leuten fehlt es an Vorbildern, dass ein Arbeitsleben auch anders aussehen kann. Ein guter Job ist gleichbedeutend mit Büro. Selbst hier in Thailand wird das propagiert, auf Plakaten mit so schnieken Anzugträgern drauf.

Wenn ich früher per Bahn gependelt bin, habe ich manchmal sogar den Schaffner beneidet (und das muss man erst mal hinkriegen), weil der sein eigener Herr ist und ihm niemand reinredet. Und weil er sich bewegen kann und nicht den ganzen Tag in einem Kämmerchen sitzen muss – wie so ein Knacki.

Auf mich wirkt diese ganze Business-Welt mittlerweile nicht nur absurd, sondern geradezu außerplanetarisch. Das ist ganz weit weg von mir und ich bin echt froh darüber. Ich will dieses Kasperltheater nicht in meinem Leben haben.

Wenn mir das nächste Mal so ein Anzugfuzzi mit Handy, Tunnelblick und zusammengekniffenen Arschbacken begegnet, werde ich einfach sagen: „Entschuldigung, können Sie bitte woanders telefonieren? Ich bin allergisch. Danke.“

Photo by rawpixel on Unsplash

Bitte folgen Sie mir unauffällig!

Auf Twitter und Facebook.

8 Kommentare

  1. Danke Lydia, für diesen Standpunkt.
    Kann man so sehen – oder auch anders.

    Die Nadja Petranovskaja hat gestern das hier auf LinkedIn geteilt:
    https://corporate-rebels.com/the-art-of-business

    Das entspricht dann schon eher meiner Sicht auf die Dinge.

    Wo liegt die Gemeinsamkeit?
    Sei Du selbst und sorge Dich um das was und wie Du es tust.
    Wenn das wirklich und ehrlich ist, dann ist es großartig und nicht nur das seelenlose Nachahmen von Theater zur Belustigung anderer.

    Durch diesen, Deinen Artikel ist mir aufgefallen, wie wenigen es gelingt, hinter einer fremdbestimmten Fassade sie selbst zu sein.

    Danke für diese weitere Bereicherung.

  2. Moin,

    geht mir ähnlich, ich arbeite auch im Home Office und habe kein normales Fernsehen mehr.

    Zu allem kann ich ja sagen!!!

    100 Prozent Zustimmung und danke für den herzhaften Lacher! 🙂

    Liebe Grüße aus dem Home Office,

    Katrin

  3. Hi Lydia,

    a bisserl off-topic, aber trotzdem:
    Vielleicht übersehe ich da was, aber ich würde deine Beiträge gern twittern. Aber ich sehe nie Buttons dafür. Falls das wege nDSGVO ist, gibt es hier ein datenschutzkonformes Plugin für WordPress: https://de.wordpress.org/plugins/shariff/

    Weil ich will doch deine coolen Artikel unter die Leute bringen! 🙂

    LG, Markus

    • Moin Markus,

      einfach die Überschrift kopieren und die Url und bei Twitter in einen neuen Tweet einfügen. Hashtag hinzufügen und auf senden klicken. Geht auch ohne Button, sozusagen Old School ?

      Viele Grüße,

      Katrin

  4. Mira

    „Ich lasse mir nicht vorwerfen, die Entscheidung monokausal gefällt zu haben. Blablabla…“ Immer morgens, wenn die Anzugträger die Flughafen-S-Bahn fluten.

    Damals in meinem alten Beraterleben war ich gaaanz anders. Oder doch nicht :-)?

    Spotify! Maximale Lautstärke!

    • Mira

      Ach was – nicht monokausal, sondern monokriteriell war‘s… macht‘s aber auch nicht besser.

  5. Das habe ich schon häufiger in den „Ruhe-„Abteilen der Bahn erlebt, dass dort diese Businesstypen ihres Platzes verwiesen wurden.

    Ich war/bin immer neidisch auf Postboten 😉 Allerdings werden die (wie die Bahnmitarbeiter) von den Kunden zugelabert und erhalten von denen die Forderungen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert