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Workation: Arbeiten, wo andere Urlaub machen

Ich gebe zu, ich hab’s ja auch gemacht: in Thailand in der Strandhütte arbeiten, in Kambodscha am Hotelpool. Die Idee, dort zu arbeiten, wo andere Urlaub machen, greift immer mehr um sich. Auf den ersten Blick scheint sie ja auch ganz attraktiv. Auf den zweiten nicht mehr so.

Fangen wir mit dem an, was ich mal psychischen Status nennen möchte: Bin ich auf der Arbeit oder im Urlaub? Im Urlaub bin ich schluffig drauf, lasse mir Zeit, genieße morgens erst mal Fruitshake und Banana Pancake (njam njam) und fange dann langsam an, mir Gedanken zu machen, was ich den Tag über so machen könnte. Oder ich springe direkt ins Meer.

Sich im Urlaubs-Mindset zum Arbeiten zu zwingen, ist gar nicht so einfach. Die Schluffigkeit, der entspannte Zustand, muss bewusst niedergerungen werden zugunsten der Arbeitsmoral. Denn seien wir mal ehrlich: Eigentlich will ich gar nicht da arbeiten, wo andere Urlaub machen. Ich will auch Urlaub machen, verdammt noch mal! Natürlich kann man aus der Hängematte arbeiten – aber ich gehe jede Wette ein, dass man das nicht lange durchhält. Irgendwann fallen einem die Augen zu, denn die Hängematte signalisiert dem Unterbewusstsein Entspannung.

Bei einer Workation muss man ständig umschalten: vom Arbeits- in den Urlaubsmodus, vom Spannungs- in den Entspannungszustand und wieder zurück. Ich weiß nicht, ob man das trainieren kann. Aber ich erinnere mich an eine Ayurveda-Kur in Sri Lanka in den Zeiten des größten Stresses. Da brauchte ich ganze zwei Wochen, um runterzukommen.

Wenn ich dort anfangs in den Pool sprang, zog ich frenetisch meine Bahnen, weil ich noch so unter Strom stand. Erst in der dritten und letzten Woche schaffte ich es, einfach im Wasser abzuhängen und die Affen auf den Bäumen zu beobachten. Umgekehrt brauche ich manchmal ein paar Tage, um nach dem Urlaub wieder zum Ernst des Lebens (*hust hust*) zurückzukommen.

Workation klingt erst mal toll, aber in der Praxis heißt das: Während um mich herum Kinder vergnügt in den Pool hüpfen, muss ich mich in die Mailing-Texte eines Kunden vertiefen. Na, schönen Dank auch! Noch schlimmer sind Telefonate oder Videocalls: Wie erkläre ich dem Auftraggeber die Urlaubslärmkulisse um mich herum?

Natürlich kann man sich in fast jedem Land der Welt in einen klimatisierten vollausgestatteten Co-Working Space einmieten – aber dann kann man auch gleich zu Hause bleiben, oder? Nachdem ich als Selbstständige einiges ausprobiert habe, kann ich sagen: Das einzige Modell von Workation, das für mich funktioniert, ist von vornherein einen halben Tag oder die Hälfte der Urlaubszeit zum Arbeiten einzuplanen und den Rest der Zeit Urlaub zu machen.

Workation kann man so sehen, dass die Arbeit aufgewertet wird. Arbeiten an einem pittoresken Ort, unter Palmen oder so. Man kann es aber auch umgekehrt sehen: Der Urlaub wird entwertet. Wo soll man denn noch Urlaub machen, wenn die Arbeit schon ein halber Urlaub ist? Und eben nur ein halber. Das Laptop weglegen und in den Pool springen ist nicht dasselbe wie ein echter Urlaub, wo man komplett abschalten kann. Bei der Workation springt der Kunde (oder Arbeitgeber) quasi mit rein. 😉

Trotzdem scheint der Workation-Trend ungebrochen: Selbstständige haben es vorgemacht, jetzt sind die Angestellten dran. Mittlerweile soll es ja Leute geben, die ihren Arbeitgebern gar nicht mehr mitteilen, von wo sie gerade arbeiten. Zum monatlichen Jour fixe erfinden sie entweder eine Ausrede oder fliegen dann mal eben aus Thailand nach London ein.

Abgesehen von der sinnlosen Fliegerei gibt es einige rechtliche Fallstricke, die gar nicht so ohne sind. In einigen Ländern drohen Bußgelder, Abschiebehaft und Einreiseverbote, wenn man nicht die erforderlichen Versicherungen und Genehmigungen vorweisen kann. Immer wieder mal liest man Schlagzeilen über Influencer, die aus Bali oder so abgeschoben wurden, weil sie dort ohne Arbeitserlaubnis tätig waren.

Workation im Co-Working Space

Ein Unternehmer hat in Italien ein komplettes Dorf gekauft und zu einem Co-Working-Dorf umgestaltet. Firmen sollen also ganze Teams, pardon „Tribes“, dorthin karren (oder einfliegen – crazy!), um zumindest teilweise dort das zu machen, was sie auch im heimischen Büro tun könnten: arbeiten.

Natürlich kann ein Ortswechsel mal ganz gut tun – und die Kolleg*innen nicht immer im Businessoutfit, sondern auch mal in Shorts und Sonnenhut zu sehen, kann die Beziehung fördern (oder auch nicht). 😛 Vielleicht kommt man ja auch wirklich auf neue Ideen, wenn man mal aus dem Mief des eigenen Hauptquartiers raus darf. Meiner Erfahrung nach mangelt es allerdings weniger an neuen Ideen, sondern an dem Willen, sich darauf einzulassen und sie auszuprobieren. Aber das nur am Rande.

Zurück ins italienische Dorf: Irgendwie hat es schon ein Geschmäckle, wenn man quasi gezwungen wird, mit den Kolleg*innen, mit denen man ohnehin schon viel mehr Zeit verbringt als mit Familie und Freundeskreis, auch noch Urlaub bzw. Workation zu machen. Vielleicht möchte man auch gar nicht den Jens-Uwe aus dem Vertrieb nach dem fünften Glas Chianti betrunken in seine casetta hochbringen müssen.

Wenn ich lese, wie ganze Dörfer von Wohn- zu Arbeitsquartieren werden, muss ich an Frithjof Bergmann denken, den Begründer von Neuer Arbeit, Neuer Kultur und seine Worte:

Wir haben keine Zeit mehr für unsere Freunde und auch nicht mehr viel Zeit für unsere Kinder. Unsere früheren zwischenmenschlichen Beziehungen sind dahin, aber sie hinterließen keinen leeren Raum. Unsere Arbeit hat, wie Wasser, jede Ecke und jeden Winkel ausgefüllt.

Jetzt darf man zwar in einem ehemaligen Dorf das vergangene Italien bestaunen, aber bitteschön mit den Kolleg*innen – für den Team Spirit. Der Arbeitsfetisch dringt wirklich in jede Ritze unseres Lebens. Alles, was schön und sinnvoll ist (wie Urlaub in Italien, Gesundheitskurse oder Meditation) wird instrumentalisiert, um noch mehr Geld aus den Menschen herauszuholen. Denn darum geht es ja am Ende immer: Wir stärken das Vertrauen und den Teamgeist, blabla – aber warum? Damit die Leute noch PRODUKTIVER werden, also noch mehr Geld in die Kasse bringen. Es muss halt auch wirtschaftlich Sinn machen.

Das ist doch pervers. Leute sehen einen wunderschönen Ort und das erste, was ihnen einfällt ist: „Mensch, hier kann man doch prima arbeiten. Lasst uns mal nen Co-Working Space draus machen.“

Die armen Urlauber*innen

Und wer denkt eigentlich an die echten Urlauber*innen? Stell dir vor, du sitzt abends im ristorante auf der piazza einer italienischen Kleinstadt. (Ja, eventuell bin ich urlaubsreif und habe mich gerade etwas an dem Gedanken an Italien festgefressen 😀 .) Und nebenan am Achtertisch sitzt nicht mehr die sizilianische Großfamilie, sondern es tagen die Marketingfuzzis von Unilever, die gerade ihre neuste Verkaufsförderungskampagne besprechen. Ich meine, wer will das denn?!

Oder du liegst am Strand, es duftet nach Sonnenmilch und gegrilltem Fisch – und in dein von der vielen Sonne ganz rammdösiges Hirn dringt vom benachbarten Handtuch der Satz: „Vielleicht sollten wir mal die Low-Prios auf den Backburner schieben, damit beim Weekly Call wenigstens die Top 5 Action Items abgehakt sind.“ Ich meine, da kommt einem doch der Aperol Spritz hoch! Zumal wenn man wie ich unter einer Business-Allergie leidet. 😀

Leute für 40 Stunden die Woche in hässliche Büros einzusperren, damit sie dort „kreativ“ sein können, kommt ja langsam aus der Mode – und das ist auch gut so. Aber bitte bevölkert nicht die Urlaubsorte dieser Welt. Niemand kann sich erholen, wenn nebenan Leute ackern.

Damals am Pool in Kambodscha hatte ich mir ja eingebildet, die anderen Touris seien neidisch auf mich, wie ich da auf der Sonnenliege lag und in mein Laptop hackte. Vielleicht waren sie einfach nur genervt. Vielleicht tat ich ihnen auch leid, weil ich sogar im Urlaub arbeiten musste.

 

Foto von Persnickety Prints auf Unsplash

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2 Kommentare

  1. Geiler Text! 😀
    Ich geb’s ja zu, ich habe hier eine Art Workation-Life am Meer, aber ehrlich gesagt, geht die Arbeits-Lust rund um die Uhr flöten, wenn ich stattdessen am Strand abhängen kann. Also versuche ich irgendwie eine Balance zu schaffen: Morgens ans Meer und Lesen, nachmittags arbeiten. Im Winter umgekehrt. Läuft ganz okay, aber ich arbeite auch nicht wirklich viel (und verdiene auch entsprechend wenig). Was gut funktioniert: einmal im Monat für ein paar Tage nach Berlin pendeln und dort arbeiten. Da ist ganz klar keine Urlaubsstimmung.

    Was den Arbeitssprech angeht. Wenn ich hier am Strand liege, sind es die reinen Urlaubs-Touristen, die nicht aufhören, über Arbeit zu sprechen. Ich habe schon viele Stories über Kolleg*innen und Chefs gehört, meist im sächsischen Dialekt vorgetragen.;)

    lg, Sarah

  2. Es gibt da ein paar Dinge, die ineinandergreifen und dennoch getrennt betrachtet werden sollten, glaube ich…

    Arbeitsmedizinisch ist es erwiesen, dass eine einzelne Woche Urlaub nicht zum Entspannen ausreicht. In unserer schnelllebigen Zeit hat sich jedoch solches Urlaubshüpfen zwischendurch als Standard etabliert. Mal eben für ein verlängertes Wochenende oder von Samstag bis Samstag in den Flieger hüpfen und irgendwohin entfliehen. Und sich dabei selbst etwas vormachen von wegen „Erholung“. Alle auf der Arbeit bewältigten Themen geistern noch im Kopf herum. Und auf der Arbeit selbst können die Kollegen auch einfach alles liegen lassen, denn der „Urlauber“ ist ja rechtzeitig zurück, um sich selbst darum kümmern zu können. Womit garantiert die vermeintliche Urlaubserholung am zweiten Tag nach der Rückkehr komplett wieder in der Tonne ist.

    Es gab mal Zeiten, da war die Fahrt zum Urlaubsort schon Teil der Erholung. Heute ist das meistens auch nur noch ein Rumhetzen in gleicher Qualität und Enge, wie man sich morgens zum Arbeitsplatz quält. Logischerweise auch auf der Rückfahrt.

    Noch ein bisschen weiter in der Vergangenheit zurückgehend (und da meine ich gerade mal die Zeit vor den Weltkriegen) waren Reisen nur etwas für äußerst betuchte Menschen oder aber sie waren grundsätzlich immer mit einem Arbeitshintergrund verbunden. In beiden Fällen handelte es sich im Regelfall um eine monate-, manchmal jahrelange Abwesenheit.

    Vielleicht ist es auch einfach nur ein etwas verrutschtes Verständnis von „Arbeit“. Überall, wo wir zum Urlaubmachen hinfahren, „arbeiten“ doch ohnehin auch Menschen. Nicht umsonst redet man heutzutage ja sogar schon von der „Tourismus-INDUSTRIE“. Aber auch ohne die Urlauber gibt es überall Handwerker, Bürokräfte und Pflegepersonal. Die halt eben genau dort wie selbstverständlich „arbeiten“, wo wir hinfahren, um uns zu „erholen“. Macht es wirklich einen solch großen Unterschied, wenn wir da stattdessen hinfahren, um eben auch zu „arbeiten“?

    Nachdem es mich im vergangenen Winter ein halbes Vermögen gekostet hat, mein Büro zu heizen, liebäugele ich tatsächlich aktuell damit, meinen Aufenthaltsort für ein Vierteljahr gen Süden zu verlegen. Sofern man die Möglichkeit hat, 99% der Arbeit per Remote zu erledigen, warum nicht den Winter an einem Ort verbringen, an dem man (fast) keine Heizung braucht? Sehe ich mich dann dort eher als Parasit? Sehen mich die Menschen dort als solchen?

    Lydia hat Dr. Frithjof Bergmann und sein echt lesenswertes Buch erwähnt. Darin deutet er das heute praktizierte Lohn-Arbeits-System als Kernübel aus. Ich denke, er hat damit durchaus Recht. Lange bevor wir den „Arbeitsort“ als Problem behandeln, ist vielleicht ein Überdenken des Verhältnisses zwischen Mensch und Arbeit ein genaueres Betrachten wert. Denn ich bin ziemlich sicher, dass ein Copywriter am Strand sitzend deutlich zufriedener seiner Tätigkeit nachgehen kann, als ein Bürohengst, der mit Arbeitslast prall gefülltem Hirn nur seinen Körper mal kurzzeitig in eine andere Umgebung verfrachtet.

    Ich denke daher, dass „Urlaub machen“ und „der Arbeit nachgehen“ nicht wirklich rein ortsgebundene Themen sein sollten.

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