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Meditieren fürs Bruttosozialprodukt

Neulich war Achtsamkeit mal wieder Thema bei arte. In der Doku ging es um Meditation in der Grundschule, Achtsamkeitskurse in Unternehmen wie Bosch – und ein bisschen Entschleunigung mit niedlichen Eseln <3 in den Abruzzen war auch noch dabei. Toll, oder? Äh, nein.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ein Unternehmen oder eine Schule MIT Meditation ist mir lieber als OHNE. Ich finde es gut, dass sich auch im Westen die Idee verbreitet, neben den Muckis auch den Geist zu trainieren. Dennoch gibt es einige Punkte in diesem Film, wo sich mir die Zehnägel hochrollen. Als jemand, der schon ziemlich lange meditiert (ehrlicherweise: mal mehr, mal weniger) muss ich hier mal einen Rant loslassen. [Alle Zitate in diesem Beitrag stammen aus dem Film, entweder aus dem Off-Text oder von Interviewpartnern. Hervorhebungen von mir.]

Wahnsinn, da wird in einem Unternehmen meditiert. Ach nee, es wird in die Meditation „investiert“. Denn schließlich muss auch was dabei herauskommen. Ein Unternehmen tut nie etwas aus Menschenliebe. „Es geht nicht um Nettsein“, wie die Führungskraft von Bosch (man achte übrigens auf den extremen Männerüberschuss im Workshop) sagt. Ich will jetzt nicht pingelig sein, aber wer wirklich achtsam ist, haut nicht solche Sätze raus.

Aber das ist immer noch state of the art und völlig OK, so etwas als Vertreter eines deutschen Unternehmens öffentlich zu sagen. (Dass es eigentlich total ums Nettsein geht, beschreibt Edoardo auf unserem Wissenschaftsblog The Org Project. Und Google hat das auch durch intensive Forschung herausgefunden.)

Jedenfalls sind alle Führungskräfte nun ganz entspannt und haben mehr Zeit („die Rüstzeiten werden eingespart“), die sie natürlich zum Wohle des Unternehmens reinvestieren. Denn hey, so gut durchmeditiert zu sein, sei doch „ein Wettbewerbsvorteil.“ Da wird die Gehmediation uminterpretiert in:

Schritt für Schritt zum ERFOLG

„Durch Meditation zu noch mehr Leistung oder zu besserer Leistung – das hat auch die Industrie erkannt“, erzählt die Off-Stimme im Film ganz schamlos. Es gehe ums „Energietanken“, um den „Neustart fürs Managergehirn“. Metaphern aus der Mensch-Maschine-Mottenkiste. So etwas passiert, wenn man sich selbst beim Texten nicht zuhört.

Aber letztlich ist das, was beschrieben wird, immer noch die gängige Haltung in vielen deutschen Firmen, nach dem Motto: Die Leute sind so gestresst und psychisch angeschlagen. Bevor die uns alle umkippen, versuchen wir mal was Neues. Achtsamkeit soll im Trend liegen…

Psychische Gesundheitsprobleme kosten DIE WELTWIRTSCHAFT jährlich 850 Milliarden Euro.

Und dann nimmt das Unternehmen (gerade HORGs) etwas Großartiges, Schönes, Wahres und macht daraus etwas, was in sein System passt, die Anpassung der Mitarbeiter fördert und natürlich die Produktivität steigert.
Man muss dem Film zugute halten, dass ein Wissenschaftler im O-Ton genau dieses Dilemma anspricht: „Ist da nicht die Gefahr, dass wir etwas funktionalisieren, wie eine Pille anwenden, einwerfen gegen Stress oder was auch immer, was eigentlich genau nicht funktionalisiert werden sollte?“

Meditation als Mittel zum Zweck einzusetzen, ist absurd. Aus dieser Zweckfokussierung herauszukommen, ist ja genau der Sinn des Meditierens. Nicht aber bei Bosch. Da knallt die Fantasie der Fernsehmacher durch angesichts des wirtschaftlichen Potenzials der Achtsamkeitskurse:

Die innere Einkehr soll helfen, Ordnung in den Kopf UND DIE UNTERNEHMENSSTRUKTUR zu bringen.

Im Übrigen kommt nur die Führungsriege von Bosch in den Genuss des Achtsamkeitstrainings, das muss reichen. Von denen aus tropft dann die Achtsamkeit (minus Nettigkeit) runter zum Plebs. Denn:

Das ist ein echtes TOP-DOWN-THEMA.

Was mich manchmal an diesen TV-Beiträgen verzweifeln lässt, ist: Die Leute sind so verwurzelt in ihrem Leistungsdenken und ihrem Arbeitswahn, dass sie die Chancen, die Meditation bietet, gar nicht erkennen können. Es geht nämlich gar nicht um Entspannung und Konzentration – das sind coole Nebeneffekte, die man vielleicht auch beim Golfen erzielen könnte. Und nur das zu lernen, kann im Übrigen nach hinten losgehen. Auch ein Scharfschütze kann Achtsamkeit, Entspannung und Konzentration gut gebrauchen.

Gebündelte AUFMERKSAMKEITSRESSOURCEN kommen der Produktivität zugute.

Insofern ist es ganz wichtig, neben der reinen Achtsamkeit auch Tugenden zu trainieren. An erster Stelle nenne ich da Empathie („nett sein!“) und Selbstliebe. Verbundenheit mit allem, anderen Menschen, Tieren, der Natur. Gerade im durch Selbsthass, Leistungs-/Konkurrenzdenken und Arbeitsfetisch geprägten Westen ist das so wichtig.

[Mein Geist] ist bei Aufgaben, Prioritäten, To-dos.

Beim Meditieren geht es darum aufzuwachen, zu erkennen, wie das Leben wirklich ist (im Unterschied dazu, wie wir es gern hätten) und wie alles mit allem zusammenhängt. Es geht um mentale Hygiene, das Aushalten von Gefühlen, die Unabhängigkeit von aufgezwungenen Mustern. Wir können lernen, uns das Leben unseren Bedürfnissen entsprechend einzurichten, statt ausgelatschten Wegen zu folgen. Man muss nämlich gar nicht das machen, was alle machen. Das sieht man an Judith Holofernes, die genau das im Film schildert. <3

Eigentlich müsste an jedem Meditationskurs ein Warnhinweis kleben: „Achtung, kann Ihr Leben auf den Kopf stellen.“ In meinem Fall hat Meditation dazu geführt, dass ich erkannt habe, was meine wahren Bedürfnisse sind (nämlich nicht Karriere), das jede Kleinigkeit, die ich tue, Konsequenzen hat (Umwelt!) und noch viel mehr. Daraufhin habe ich mein Leben mehrmals komplett umgebaut. Und ich bin noch nicht fertig, Leute…

Früher wäre so ein Film auch einfach an mir vorbeigerauscht und ich hätte wahrscheinlich gedacht: „Ach wie cool, die meditieren bei Bosch.“ Aber da ich achtsamer zuhöre und zuschaue, erkenne ich das, was diese Doku wirklich aussagt. Oder immerhin komme ich dem näher.

Wenn Unternehmen das wahre Potenzial von Meditation und Achtsamkeit erkennen würden, würden sie wohl einen großen Bogen darum machen.

Insofern: Alles gut, weitermeditieren. 😉


PS: Wenn Ihr Euch für Meditation interessiert, empfehle ich Euch den Film „Stopping“, in dem verschiedene Methoden vorgestellt werden.

Foto: Lydia Krüger

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10 Kommentare

  1. Danke für diesen Rant. 🙂 Meditation, Achtsamkeit, Awareness oder was auch immer werden aus ihrem Kontext gerissen und für die westlichen Mensch-Maschine-Systeme instrumentalisiert und pervertiert. So etwas sehe ich auch ganz oft in Unternehmen. Aber das ist wie ein blinder Fleck, das sehen die nicht. Weil die nicht rauskommen aus ihrem Dogma des ökonomischen Imperativs.
    Anderes Beispiel: Gerade hat der Guardian einen seeeehr langen Artikel gelauncht zum Thema „post-work society“. Alles gut und interessant, aber von Anfang an läuft „Arbeit“ unter BEZAHLTER Arbeit. Von dieser falschen Prämisse ausgehend, läuft jede Argumentation ins Leere. Diese Verwechslung von Arbeit als Menschsein und BEZAHLER Arbeit im kapitalistischen System hat bereits F. Bergmann mit seinem „New Work“ in den 1980ern thematisiert und aufgelöst. Bezeichnenderweise wird New Work und Bergmann nirgendwo erwähnt. Damit hätte sich der Autor einige Verrenkungen erspart.

  2. Sehr guter Artikel zum Nachdenken. Ich persönlich sehe auch, dass Menschen einfach nicht unterscheiden können zwischen einer Methode – wie Effectuation, Scrum, Kanban oder was auch immer. Und einer inneren Haltung, worum es bei derAchtsamkeit geht.
    Dabei ist es eben nicht so wichtig, was Du tust (Leistungsdenken) sondern was Du bist (Empathisch, Wertschätzend, aufmerksam…) Das ist aber für mich der entscheidende Unterschied! Und dieses Sein ist das was ich im Augenblick denke, fühle und wahrnehme. Die Frage ist für mich, wie wird diese Achtsamkeit den Menschen nahe gebracht? Wenn man nämlich auf genau diesen Unterschied eingeht, dann macht es in den Menschen klick und sie verstehen, was daran anders ist.
    Das muss man erfahren, sonst bleibt man auf der Ebene des Verstandes hängen.
    Ich arbeite selbst mit der HeartMath Methode, die stark auf die Rolle der Gefühle ausgerichtet ist. Das wichtigste dabei ist, dass ich darauf achte, dass die Menschen ihr subjektives Erleben wirklich spüren und zum Ausdruck bringen und auf die Wirkung achten. Erst dann können sie einen Unterschied wahrnehmen – wie es ist unter Druck zu handeln oder eben aus einem angenehmen, offenen Geist heraus.
    Das alles ist für uns so neu und ungewohnt, dass den meisten (ich würde eigentlich sagen allen, die sich noch nie damit beschäftigt und vor allem neue Erfahrungen gemacht haben) diese Wahrnehmung fehlt. Ich hatte sie ja auch vorher nicht. Es ist wie ein riesengroßer blinder Fleck. Ich hoffe, dass diese Aktionen dazu beitragen, dass bei einigen zumindest diese Wahrnehmung geweckt wird – die aus Gefühl/Herz und Denken/Verstand entsteht.
    Danke Dir sehr für diesen WERTvollen Beitrag, liebe Lydia!

  3. Danke für die zwei Doku-Tipps. Wenn Esel vorkommen, halte ich auch Bosch aus 😉
    „Achtsamkeit“ ist gerade das neue Key-Word um gut zu verkaufen etc. Man denke nur an all die Ausmal-Bücher (aber schön den Kunstunterricht in den Schulen streiche, damit man sich als Erwachsener wieder mühevoll Kreativität antrainiert).
    Und langsam entsteht der Druck, achtsam zu sein, ruhig, glücklich und zufrieden plus gesund. Das ist weitentfernt von der Ursprungsidee.
    Außerdem wäre jeder Manager oder Mitarbeiter zufriedener, wenn er nicht meditieren MÜSSTE, sondern Arbeitsbedingungen herrschen, die die Menschen nicht ausbrennen.

  4. In den Unternehmen gibt es wenig Ahnung, um was es bei der Achtsamkeitsmeditaion geht. Eine der wichtigsten Grundlagen ist hier die Mahásatipatthána Sutta (http://www.palikanon.com/digha/d22.htm – Dígha Nikáya, DN 22), also schwerer Stoff nicht nur für Grundschüler und Büromenschen.

  5. Hallo Lydia, großartiger Text – ich hab schon beim Titel ganz wackelig genickt.
    Vor einigen Jahren habe ich mal einen MBSR-Kurs gemacht, das war anstrengend! Und immer wieder geht sie mir verloren, die Achtsamkeit und das Meditieren. Habe den Verdacht, dass man da kontinuiierlich dran arbeiten muss. ;o)
    Wenn ich mir nun vorstelle, wir würden das im Büro aus Effizienzgründen („Aufmerksamkeitsressourcen“, ich kann nicht mehr!) tun, am besten zwischen zwei Meetings… das ist klingt erst einmal absurd. Wenn ich mir aber vorstelle, das im Unternehmen gut einzubetten in Themen wie Fokussieren, Weglassen, Weniger-ist-mehr – das fände ich schon gut.

  6. Hi Lydia, beim Ansehen der Arte-Doku kamen mir ähnliche Gedanken wie dir. Danke, dass du deine so prägnant und bissig mit uns teilst! Ja, bei Bosch & Co wird eine jahrtausendealte Praktik der Selbstklärung und Lebenshilfe in eine Pille für mehr Profit gepresst. „Im Übrigen kommt nur die Führungsriege von Bosch in den Genuss des Achtsamkeitstrainings, das muss reichen. Von denen aus tropft dann die Achtsamkeit (minus Nettigkeit) runter zum Plebs.“ Huhu – so genau wollten die Top-Down-Verfechter sich nun doch nicht verstanden wissen. Für mich ist Achtsamkeit zutiefst subversiv – sie ermächtigt Menschen, sich der Fremdsteuerung zu entziehen. Chapeau für diesen Artikel!

  7. Sandra

    Danke! Dieser furchtbare Optimierungswahn, der sich auf Menschen als stabile Wirtschaftswachstumsressource ausbreitet, missfällt mir immer mehr. Mensch wird hier zur Maschine degradiert.
    Ich meditiere auch regelmäßig und mag Yoga. Aber dies nur für meine eigene Gesundheit, meine eigene innere Ruhe und Stabilität, damit ich selbst nicht verrückt werde. Es hilft mir die Depression und Ängste zu reduzieren. Lebensqualität für mich und nicht für Andere.

  8. irgendeine Userin

    Danke für diesen Artikel. 🙂

    • Gerne doch! Ich hab wohl einfach einen Sättigungsgrad erreicht bei bestimmten Themen. Das muss das Alter sein – es wird immer schlimmer! 😁

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