Manchmal werden mir auf Xing oder LinkedIn Jobangebote angezeigt, die dermaßen gut auf mich zugeschnitten sind, dass ich echt ins Grübeln komme. Diesmal ging es um einen Job, der quasi die logische Fortsetzung meiner bisherigen sogenannten Karriere war. Also, es war die Art von Stelle, für die ich mich selbst eingestellt hätte, weil es einfach so gut passte.
Wobei an dieser Stelle schon die ersten Alarmglocken bei mir schrillten, denn meine „Karriere“ hat mich ja bekanntlich in den Burnout geführt. Aber für diese Stelle hätte ich extrem gute Chancen. In Deutschland zählt ja Erfahrung in demselben Bereich unglaublich viel. Arbeitgeber lecken sich alle zehn Finger nach jemandem, der ohne lästige Einarbeitung sofort loslegen kann.
Naja, und noch was: Der ausgeschriebene Job war sehr gut bezahlt. Sechsstellig. Ich kann nicht verhehlen, dass diese Zahl eine magische Anziehungskraft auf mich hatte. Sofort fiel mir ein, wie schön es doch ist, wenn man bezahlten Urlaub hat, und sich nicht vorher Gedanken machen muss, wie man den Umsatz, der einem in den vierzehn Tagen am Strand entgeht, vorher oder nachher wieder reinholt. Oder wenn man einfach mal krank sein darf. (Eine Illusion, denn ich war als Angestellte nie entspannt krank, sondern hatte immer ein schlechtes Gewissen gegenüber den Kolleg*innen.)
Aber die Altersvorsorge! Mal wieder ordentlich in die Rentenkasse einzahlen, das wäre was. Und der größte Vorteil: Ich hätte die Chance, den einzigen Fehler, den ich wirklich in meinem Leben bereue, auszubügeln: keine Immobilie gekauft zu haben.
Sollte ich mich auf diese Stellenanzeige einfach mal bewerben? Um mich selbst von diesem aberwitzigen Gedanken wieder abzubringen, rief ich die Webseite der Organisation auf. Grau in grau, die Oberhäuptlinge waren wieder alte weiße Männer. Überhaupt klang der ganze Laden noch lahmer als der, den ich zuletzt meinen Arbeitgeber genannt habe. Aber hey, sechsstellig!
Der Gedanke, dort einfach mal eine Bewerbung hinzuschicken, setzte sich in meinem Hirn fest. Nur so, aus Jux. Oder, um meinen Marktwert zu testen, wie es so ekelhaft heißt. Ich könnte den Job als Experiment angehen, um herauszufinden, ob ich die Vorteile genießen könnte, ohne wieder in meine alten Muster zu verfallen. Ich weiß ja jetzt, wie der Hase läuft. Statt wie früher Vollgas zu geben, würde ich es mir einfach mit dem Tempomat gemütlich machen.
Als ich mich auf der Website der ausschreibenden Organisation umschaute, fiel mir zum Beispiel auf, dass es keine Presseseite gab. Früher hätte ich gesagt: Uiuiui, da muss sofort eine Presseseite her. Mit allen Pressemitteilungen, Download-Material, Pressekontakt. Es gibt viel zu tun, packen wir’s an. Heute sage ich mir: Cool, es gibt keine Presseseite, also werde ich auch nicht von neugierigen Journalist*innen belästigt. Ich würde einfach rumsitzen und warten, bis doch mal ein Journo zu mir durchdringt. Und dann würde ich ausgeruht ins Telefon flöten: „Gratulation, wie haben Sie mich gefunden?“
Mein Hauptaugenmerk würde ich darauf legen, dass ich immer gut dastehe. Oberhäuptling, dein Wort ist mir Befehl. Ich würde den größten Schwachsinn umsetzen, nur um meine Ruhe zu haben. Statt neue Konzepte zu entwickeln oder Kampagnen zu fahren oder immer alles verbessern zu wollen (so eine Marotte von mir), würde ich das Ego des Oberhäuptlings massieren und dafür sorgen, dass er regelmäßig sein Foto in irgendeiner Zeitung sieht. Ich würde fake Meetings ansetzen und mich währenddessen ne Runde aufs Ohr legen. Mit dieser Strategie würde ich bis zur Rente durchtuckern. Das System mit seinen eigenen Waffen schlagen, yeah!
Wie grauenhaft, fiel mir auf, als ich meinen eigenen Gedanken beim Bullshitten zuhörte. Mir war doch klar, dass ich wieder gesundheitliche Probleme kriegen würde. Was für ein Horror das wäre, mich jeden Tag wieder ins Büro zu schleppen. Meine Kater den ganzen Tag nicht zu sehen, mir meine Zeit nicht mehr selbst einteilen zu können. Mein Studium, meine exzessiven Lese- und Surfzeiten, meine familiären Verpflichtungen und meine politische Arbeit – all das würde wahrscheinlich wegfallen, weil ich jeden Abend wieder erschöpft aufs Sofa fallen würde.
Ich müsste den Tag wieder mit Leuten verbringen, die ich mir nicht ausgesucht habe. Und das Allerschlimmste: Ich müsste mir wieder schicke Klamotten kaufen. Momentan würde ich nicht mal ein Vorstellungsgespräch in diesem Laden bestehen, weil ich, wie ich ja hier schon mehrfach erwähnt habe, die letzten Jahre in Jogginghose verbracht habe und mich schon mit einer Jeans top gestylt fühle. Das geht also alles gar nicht.
Schon gar nicht wegen Geld. Ich verdiene genug, mein Texter-Business läuft. Im Gegenteil, nach dem Corona-Loch habe ich aufgeholt und das beste Jahr bisher hingelegt. Toi toi toi. Also, warum zieht mich diese Stellenanzeige so an? Warum zieht mich die Sicherheit an, obwohl ich nie ein Sicherheitsfreak war? Vielleicht ist es das Alter … Vielleicht ist es auch ein bisschen Langeweile. Vielleicht geht es mir zu gut und ich habe Lust, mir aus Übermut mein schönes Leben zu versauen. Ich schloss die graue Website wieder und atmete tief durch.
„Ein regelmäßiges Gehalt ist die stärkste Droge“, habe ich mal gelesen. Und ich bin ein Ex-Junkie.
Foto von JESHOOTS.COM auf Unsplash
Was für ein wunderbarer Text. Vielen Dank!
<3 liche Grüße von einem (hoffentlich bald Ex-)Junkie
Alte weiße Männer loben Schmerzensgeld aus. Lieber bei den Katzen bleiben.
Oh ja!!!!!
Dieser Droge bin ich leider zeitweilig auch noch stark verfallen, zumal ich noch nicht lange genug raus bin.
Mir fiel noch ein weiterer Punkt ein: Im Angestelltenverhältnis war ich viel häufiger krank, als jetzt! Es ist also wirklich ein Schein.
Einzig die Altersvorsorge macht mir echt noch Bauchschmerzen.. Ich wäre ja für ein Rentensystem wie in der Schweiz, wo ALLE einzahlen und alle am Ende Rente erhalten. Das wäre dann auch mal ein echtes Sozialsystem.