Die letzten Jahre standen eher unter dem Motto Survival, aber jetzt habe ich wieder Lust auf ein Jahresmotto. Und das kam so: Zwischen den Jahren war ich bei der Freundin eines Freundes zu Besuch eingeladen, also einer mir fremden Person. Das kommt nicht so häufig vor, deshalb habe ich mich sehr gefreut.
Sie wollte mir ihr Landhaus und ihren Garten zeigen, irgendwo in der Provinz. Außerdem wurden wir köstlich bekocht. Der ganze Besuch bestand eigentlich darin, dass wir gegessen haben und spazieren gingen – absolutely fine with me, denn das sind meine beiden Lieblingszustände. 😀
Dennoch war ich vom ersten Moment an innerlich etwas angespannt. Der Grund: Alles in diesem Haus war perfekt. Hier hatte sich jemand seinen Traum erfüllt, und zwar bis ins letzte Detail. Alles steht genau da, wo es hingehört. Dreck- oder Ramschecken gibt es nicht. Ich bewundere das sehr. Es herrschte ein Level an Ordnung, räumlicher Harmonie und gekonntem Styling, das ich nie im Leben erreichen werde. 😉 Und selbst wenn, würde ich daran scheitern, diese Ordnung aufrechtzuerhalten.
Ich kann nachvollziehen, dass man Ordnung mag und sogar braucht. Äußere Ordnung = innere Ordnung. Es ist auch nicht das erste Mal, dass ich so etwas gesehen habe. Mir fällt gerade auf, dass ich mehrere Leute kenne, wo man zu jeder Tages- und Nachtzeit klingeln und Fotos fürs Architectural Digest machen könnte.
Ich frage mich dann immer: Wie lebt man, ohne Spuren zu hinterlassen? Nicht eine vergessene Tasse im Abwasch, nicht ein Krümel auf dem Tisch. Kein einziger hässlicher Gegenstand (looking at you, knallblaue Plastiktrinkflasche!) weit und breit. Diese knallharte Ästhetik ist natürlich ein absolutes first world problem. Dazu muss man nicht nur die Mittel haben, sondern auch einen jahrelang (westlich) geschulten Geschmack.
Ein vietnamesischer Gastronom aus Mitte erzählte mal in einem Interview, dass er seinen Vater aus Vietnam nach Berlin geholt hatte. Natürlich wollte der Senior im stylishen Restaurant seines Sohnes mitanpacken. Als er sah, dass sich eine Schlange vor dem Restaurant bildete, fuhr er kurzerhand zum Baumarkt und kam mit weißen Plastikstühlen zurück – zum Entsetzen seines Sohnes. 😀 Für den Vater war ein Stuhl einfach nur ein Stuhl, er sah keine Unterschiede. Diese ästhetische Blindheit ist mir im Osten häufig begegnet. *wegduck*
Ich selbst habe mal mit Minimalismus experimentiert, indem ich vor vielen Jahren so gut wie meinen ganzen Besitz (vor allem 70er-Jahre-Kram) verkauft und wieder von Null angefangen habe. Allerdings war es mir zu kahl – mir fehlte die Gemütlichkeit. Außerdem mag ich es, Dinge wie eine Bohrmaschine zu besitzen, auch wenn ich sie nur ein paar Mal im Jahr brauche. Ich möchte einfach nicht von anderen abhängig sein, und sei es wegen einer Bohrmaschine. 😛
In letzter Zeit habe ich mich verleiten lassen, immer mehr praktisch zu denken. Nicht, dass ich zu Hause auf weißen Plastikstühlen sitze 😀 , aber die wilde Mischung aus Flohmarkt und Ikea nervt langsam. Überhaupt ist durch die zwei Jahre Pandemie ein gewisser Schlendrian bei mir eingekehrt. Das fängt mit Jogginghosen an und hört auf mit einem Haufen Zeugs, das sich in den letzten Jahren angesammelt hat.
Dieser ganze Marie-Kondo-Trend ist ja an mir vorbeigegangen, aber der Besuch im aufgeräumten Landhaus hat bei mir etwas bewirkt: Ich will mehr Schönheit in mein Leben bringen und mehr Bedacht (ich verwende extra nicht das ausgelutschte Wort Achtsamkeit). Ich möchte genauer hinschauen, womit ich mich umgebe und was ich anziehe, wo was hinkommt. Das heißt: Nicht nur meine Wohnung ist bereit für ein Makeover, sondern ich bin es auch.
Mein Motto für 2023 lautet also: Mehr Schönheit!
Klingt vielleicht ein bisschen oberflächlich, aber ich brauch das jetzt und bin gespannt, welchen Effekt es haben wird.
Ein frohes, gesundes und schönes neues Jahr!
Liebe Lydia,
ein frohes neues Jahr wünsche ich Dir! Möge Dir das Schöne gelingen! 🙂
Mit dem ständigen Motto „Durchhalten!“ zu leben, ist wahrlich nicht die passende Ausrichtung auf Dauer. Gerade wenn man sich mit den tagtäglichen schlechten Nachrichten und all den ziemlich dunklen Zukunftsprognosen auseinandersetzt, stellt sich irgendwann die Sinnfrage. Durchhalten? Wozu??
Sich selbst ein Ziel zu setzen, und sei es in Form eines Jahresmottos, ist da bestimmt ein hilfreicher Anker. Ich hoffe sehr, dass Dir der Ausrichtungs- und auch Ausstattungswechsel gelingt. Und Du vor allem die Zeit findest, in Deinem Blog ausführlich darüber zu berichten. 😉
Ordnung in der Wohnung und Schönheit sind aber auch zwei getrennte paar Schuhe. Ich glaube, jeder Mensch hat in seinem Umfeld Bekannte, die eine fehlerfrei saubere Wohnung wie aus der Möbelhaus-Broschüre bewohnen. Aber es gibt Wohnungen, die sind ordentlich und lebendig. Und andere, die sind ordentlich und steril. Ich absolvierte auch schon Besuche bei Eltern von Freunden, in deren Wohnzimmer ich mich in meiner Alltagskleidung schäbig angezogen fühlte und vorsichtig auf der Kante des Sofas saß, während ich versuchte, nichts anzufassen, weil weder auf der Glasplatte des Wohnzimmertisches ein Fingerabdruck noch auf dem Hochglanzsideboard ein Staubkorn zu finden war. Wenn die Ordnung den Status der Abschreckung erreicht, geht das Schöne schon wieder verloren.
Mir selbst würde es, genau wie Du es auch von Dir schreibst, an der Disziplin fehlen, einen ultraordentlichen Zustand aufrecht zu erhalten. Du hast aber unbestreitbar Recht mit der Aussage, dass durch die Pandemiezeiten ein gewisser Schlendrian eingekehrt ist, den einzudämmen sich durchaus lohnen kann. Den Vögeln auf der Wiese vorm Haus durch eine geputzte Scheibe zuzusehen, ist nachweislich schöner, als durch Milchglas nur Schatten zu erahnen. 🙂
Ein lohnenswertes Motto. Also, noch einmal: auf ein schönes Jahr 2023!
„Mehr Schönheit im Leben“ ist ein schönes Motto, das ich genau so unterschreiben kann. Mit der Perfektion hingegen ist es so eine Sache, für mich ein Quell neuer Unzufriedenheit. Umso beruhigender, als ich über das fernöstliche Prinzip des Wabi-Sabi gestolpert bin: Der Schönheit des Unvollkommenen. Zum Weiterlesen: https://www.soika.com/links/text/20d_wabi-sabi.htm
Lesegefährliche Grüße und ein schönes 2023!
Martin
Kann ich als „Praktikerin“, die gleichzeitig niemals so ordentlich sein könnte, gut nachvollziehen. Habe das auch vor ca. 2 angefangen, zB Küchenzubehör, das ersetzt werden muss, nicht mehr in günstig und praktisch einzukaufen, sondern in nachhaltig und schön. Freue mich seitdem darüber und nehme hässliche Sachen aber auch noch mehr wahr 🙈
Auf der anderen Seite haben wahnsinnig toll gestylte Häuser irgendwie auch ein Geschmäckle- denn es ist in allen Fällen, die mir imponieren, das Ergebnis von viel weiblicher unbezahlter Arbeit. Natürlich völlig fein, wenn man das so wählt, but still.
Was für ein „schönes“ Motto! 🙂 Ich merke bei mir, dass ich besonders in Phasen der Weltkrise (und in der sind wir ja jetzt schon eine ganze Weile), eine „Ich mache es mir schön, solange es geht“-Stimmung gehe. Nicht im Sinne des Ausblendend, sondern in meiner unmittelbaren Umgebung Raum für Schönheit zu schaffen – um für mich selbst einen sicheren Hafen zu kreieren, aber auch für andere. Das betrifft nicht nur meine Einrichtung und meine Kleidung, sondern auch den Umgang mit meinen Mitmenschen, in dem ich immer mehr lerne, wertschätzender, aufmerksamer und transparenter zu kommunizieren.
Vielen Dank für die Erinnerung an das schöne Wort „Bedacht“, das ich jetzt mit mir eine Weile im Kopf spazieren trage.:)
Liebe Grüße vom Meer,
Sarah