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Landleben: Rin inne Kartoffeln, raus ausse Kartoffeln

Eben laufe ich am Café nebenan vorbei. Davor sitzt eine Frau mit riesigen weißen Kopfhörern und telefoniert: „… die hat ein Grundstück direkt am Wald. Direkt am Wald! Riesengroß! Mit Hühnern!“ Diese Frau ist wir alle. Ganz Berlin träumt von der Flucht aufs Land – wegen Corona noch mehr als ohnehin schon. Und tatsächlich, wer ein Grundstück außerhalb hat, konnte sich dort verschanzen und den „Lockdown“ aussitzen.

(Epidemiologisch natürlich eine Katastrophe, da das Virus so im Umland verteilt wird, wo die medizinische Versorgung schlechter ist – aber menschlich verständlich.) Tatsächlich sind die Sommerhäuser der Oberschicht in Zeiten von Epidemien entstanden, wie ich neulich gelesen habe.

In Berlin träumen alle vom eigenen Bauernhof. Jedenfalls alle über 40. Die, die ursprünglich vom Bauernhof kommen, kehren dahin zurück und machen Biolandwirtschaft. Und selbst eingefleischte Städter*innen halten sich einen Resthof irgendwo in Brandenburg. Der eigene Hof im Hinterland ist der neue Schrebergarten.

Angefangen hat wohl alles mit den Landleben-Hochglanzmagazinen. Später kam Instagram und die gemeinsame Message war: Kiekt ma, Gummistiefel können auch schick aussehen!

Auch ich bin dem Traum vom Landleben verfallen, spätestens nach meinen ersten bescheidenen Erfahrungen als Mistschauflerin. Am liebsten hätte ich aber beides: vorne raus den Prenzlberg mit Cafés, Restaurants, Kinos und so, hinten schön Wald und Reh. 🙂

Theobald Tiger aka Kurt Tucholsky hat dit Dilemma schon im Jahr 1927 erkannt:

Das Ideal

Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.

Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:

Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn!
Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
Radio, Zentralheizung, Vakuum,
eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,
eine süße Frau voller Rasse und Verve –
(und eine fürs Wochenend, zur Reserve) –
eine Bibliothek und drumherum
Einsamkeit und Hummelgesumm.

Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,
acht Autos, Motorrad – alles lenkste
natürlich selber – das wär ja gelacht!
Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.

Ja, und das hab ich ganz vergessen:
Prima Küche – erstes Essen –
alte Weine aus schönem Pokal –
und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.
Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.
Und noch ne Million und noch ne Million.
Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

Ja, das möchste!

Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.

Etwas ist immer.
Tröste dich.

Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Daß einer alles hat:
das ist selten.

Es ist ja so: Ich hab mein ganzes Leben umgeben von Beton verbracht, mich kotzt das mittlerweile so an. Es fällt einem ja nur auf, wenn man mal länger woanders war und dann zurückkommt. Nach meinem ersten Urlaub auf Sardinien (das sich als mein Kraftort entpuppt hat) kam ich zurück und war richtig angewidert: Diese schlechte Luft, der Lärm, die vielen fremden Menschen, die Werbebotschaften, diese Entfremdung von den Urprinzipien des Lebens.

Ich habe Sehnsucht nach Natur, nach Pflanzen, Bergen, Wasser – auch danach, mehr Zeit mit Tieren zu verbringen. Ich mag die körperliche Arbeit, auch wenn ich langsam merke, dass ich weniger Kraft dafür habe. Meine „schlaffen Bürohände“ (Copyright: meine Zahnärztin) können nicht so gut anpacken, wie ich es gern wollte.

Lifestyle-Prepper*innen

Landleben-Lifestyle ist das eine. Vielen Landträumer*innen streben aber auch Autarkie an: Selbstversorgung, einen eigenen Brunnen, eine Solaranlage – unabhängig werden in einer unruhigen Zeit, in der man nicht mehr genau weiß, was sie bringt. Kann ich verstehen. Was ich habe, hab ich. Unsere Generation kennt ja noch Omas Geschichten vom Krieg. Wer hatte selbst in den schlechtesten Zeiten die dicksten Kinder? Die Bäuer*innen natürlich! 😉 Immer frische Eier, irgendwas vom Feld zum Futtern. Die Städter*innen hingegen freuten sich über Brennnesselsuppe – oder die Kartoffelschalen der Bauernfamilien. Werden wir also alle zu Lifestyle-Prepper*innen?

Jedenfalls ist der Run auf das Umland nicht nur längst eröffnet, sondern fast schon vorbei. Die beliebtesten Ecken von Brandenburg sind schon leergekauft. Die Gentrifizierung Brandenburgs ist in vollem Gange, die Preise steigen. Das hat mir neulich ein auf Bauernhöfe spezialisierter Makler bestätigt, den ich zufällig in einem Workshop kennengelernt hatte.

Egoistisch sind diese Pläne, fand das eine andere Workshop-Teilnehmerin. Unsolidarisch. Jeder sichert sich sein Land, um sich im Fall einer etwaigen (was auch immer: Klima-, Umwelt-, Wirtschafts-) Apokalypse mit dem Ertrag der eigenen Scholle über Wasser halten zu können. Und was ist mit dem Rest der Bevölkerung?

Nur: Ein solcher Prepper*innen-Plan wird sowieso nicht aufgehen, wenn wir nicht schleunigst alles tun, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzumildern. Denn ab einer Erderhitzung von durchschnittlich 4 °C wird eine stabile Landwirtschaft aufgrund der häufigen Wetterextreme nicht mehr möglich sein. Und genau darauf steuert unsere Regierung zu, wenn man sich den Klimaaktionstracker mal anschaut.

Wir befinden uns momentan – zumindest in MItteleuropa – noch in einem paradiesischen Temperaturfenster mit relativ gut vorhersagbaren Jahreszeiten und Wetter. Damit wäre es dann vorbei. Fun fact: Der umstrittene Gründer von Extinction Rebellion, Roger Hallam, war ursprünglich Biobauer in Wales. Mehrere Missernten haben ihn zum Aufgeben gezwungen und dazu gebracht, gegen den Klimawandel zu kämpfen.

Brandenburg

Ehrlicherweise ist es so, dass ich ein bisschen Angst habe vor dem Land. Einmal bin ich mit dem Auto sehr lange nachts durch den Brandenburger Wald gefahren. Ich war nicht mal alleine, aber hab mich trotzdem gegruselt. Bin halt Licht und Trubel gewöhnt.

Was viele angesichts verfallener Resthöfe und grüner Landschaften gern vergessen: Da leben ja schon Menschen, die berühmten Brandenburger*innen. Vor denen hab ich auch Angst. Bin ja schon von den Berliner*innen traumatisiert.

Neulich hat mir jemand erzählt, dass es auf dem Land üblich ist, dass die Nachbar*innen einfach so auf deinen Hof gelatscht kommen. Und icke so:

Verletzung der Privatsphäre! Hallo?! 😀

Ich weiß überhaupt nicht, wie die Leute da ticken. Die sind bestimmt nett und hilfsbereit, aber ich bin einfach nicht so gut mit Leuten. Das kann ich in der Stadt besser kaschieren. 😛 Und was, wenn’s mir dann doch nicht gefällt? Dann häng ich da erst mal fest für die nächsten Jahre. Hilfe!!!

Vielleicht sollte ich mich, wie so oft im Leben, einfach nicht festlegen. Mir irgendwas draußen zulegen fürs Wochenende und als Sommerhäuschen. Und schön in der Großstadt bleiben, wo ich mich trotz allem Gemecker in meinem Betonblock geschützt fühle und mir die Leute aussuchen kann, mit denen ich zu tun habe.

Ich habe nämlich gerade das Gefühl: This is where it’s happening. Hier sind die Leute, die Pläne für eine CO2-neutrale Zukunft haben, die out of the box denken. Hier sind überhaupt coole Leute. Und gutes Essen, bis in die Nacht verfügbar. Als jemand mit eher bescheidenen Kochkünsten ist das für mich überlebenswichtig. 😛 Ich habe gerade pandemiebedingt Lieferando und Wolt für mich entdeckt und muss jetzt nie wieder vor die Tür.

Uff. Die Sehnsucht bleibt. „Folge der Sehnsucht“, pflegte mein Lehrer zu sagen. Immerhin wäre das mal ein Abenteuer. Und wenn es schief geht, kann ich immer noch ein lustiges Buch darüber schreiben.

„Na, soll ich dich auf meinen Landlust-Newsletter setzen?“, fragte mich der Bauernhof-Makler mit Kennerblick. „Klar, mach mal“, seufzte ich.

Foto von Scott Carroll auf Unsplash

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6 Kommentare

  1. Skully

    Man kann es auch einfacher machen und beides haben und genießen. Eine Datsche zu deutsch ein Gartenhäuschen in der Nähe Berlins sind noch zu haben. Da die Parzellen im Osten oftmals wesentlich größer waren als im Westen, kann man auch in eine Gartensiedlung dort einziehen. Im Osten ist das Wohnen dort im Sommer auch noch erlaubt im Gegensatz zum Westen.
    Mein Onkel in Leipzig lebt den ganzen Sommer in seiner Datsche.
    Tja und wie die Leute auf dem Land so ticken konnte ich hautnah letzte Woche erleben, als wir in Vorpommern ein paar Tage verweilten.
    Windräder gibt’s dort haufenweise und jedes neue wird vehement abgelehnt.
    Erst als ich erzählte das ich seit über 50 Jahren in unmittelbarer Nähe zu einem Kohlekraftwerk lebe, was nicht nur das Neckartal verschandelt sondern auch Staub von Kohlehalden in die Luft abgibt neben den Dioxiden welches in die Luft Gebläse werden, würden die Leute aufmerksam.
    Denen ist oft nicht bewusst wie schmutzig ihr Strom aus der Steckdose ohne Windkraft produziert wird.
    Dann haben viele noch ein Problem mit dem Pommerland, welches eben nun zu zwei Dritteln in Polen liegt.
    Man merkt das Jammern im Osten immer noch und fragt sich warum die Leute so ideenlos sind. Es gibt ein paar Gewiefte die wussten wie man es macht und die anderen schauen neidisch…
    Wenn man sich politisch raus hält, dann sind das nette Menschen die lustige Dialekte sprechen. Damit kann man durchaus am Wochenende leben und entspannen.
    Gruss Steffen

    • Theoretisch hast Du Recht, praktisch lege ich großen Wert darauf, keine Nazis in meinem Umfeld zu haben, und da wird es weiten Teilen des Ostens schon schwierig. 🙁 Um Berlin rum sind die Preise für Wochenendhäuschen seit der Pandemie in die Höhe geschossen. Und dann wird es da natürlich auch schwierig mit Tieren. Aber der Denkprozess läuft weiter … 😉 Ganz liebe Grüße, hoffe, es geht Dir gut.

      • De Janeiro

        Die weit verbreiteten und tolerierten Nazis in Brandenburg und im Osten Deutschlands überhaupt sind es, die mich von einem Umzug dorthin abhalten. Mit solchen Menschen in meiner Nähe könnte ich nie glücklich werden.

  2. Benedikt

    Ich lese still und heimlich die tollen Artikel, oftmals zeigen sie ja auch eine bessere Welt auf – – und dass wir als Konsument immer eine Wahl haben, das Richtige zu tun.
    Umso verwunderter bin ich über die indirekte Werbung für Lieferando im Artikel – Was Anstellungsbedingungen der Fahrer und das Halsabschneidern der teilnehmenden Restaurants angeht, sind die ja nicht soooooo toll. Da rufe ich dann doch lieber direkt beim Restaurant an, damit die noch direkt was vom Geldbetrag erhalten.
    Internet Plattformen sind zwar alle total auf convenience für Konsumenten gepolt, deren Marktmacht lässt sie aber auch gefährlicherweise am längeren Hebel sitzen.
    Anyway, freue mich auf die folgenden Artikel!

    • Hey, freut mich, dass Du hier mitliest! Also, ich bestelle da jetzt nicht täglich und mittlerweile auch nur noch bei Wolt, wo die Bedingungen wenigstens etwas besser sind. Außerdem gibt es bei mir immer Trinkgeld, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Während der Pandemie war das für mich ein Stück Normalität und auch Unterstützung für meine Lieblingsrestaurants. Ich kenne natürlich die Probleme, es gab dazu auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. https://opus4.kobv.de/opus4-euv/frontdoor/index/index/docId/388 Man kann es aber auch anders sehen: Ein Freund von mir fand den Job gut und viele Neulinge in Berlin sehen ihn als niedrigschwelligen Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt. Ob das Geschäftsmodell auf Dauer Bestand hat, ist noch mal eine andere Frage … Und klar, seit es wieder möglich ist, gehe ich wieder mehr dort essen oder bestelle direkt.

  3. Pütt Kieker

    Na, den Traum vom Resthof auf dem Land haben meine Frau und ich auch. Woran es scheitert sind mehrere Dinge. Zunächst einmal das liebe Geld. Davon sollte man reichlich auf der „hohen Kante“ haben, wenn man nicht hochverschuldet in eine Bauruine einziehen möchte. Dann sollte man handwerklich nicht beide Daumen im Hintern haben, denn wenn man das hat, wird das Geld nochmal wichtiger. Ist bei uns beiden nicht der Fall – ein Problem weniger! Damit sind wir wieder bzw. immer noch beim Hauptproblem: Dem Geld. Geld hat nur, wer einen Job hat. Jobs sind dort, wo Resthöfe zum Verkauf stehen, sehr dünn gesät. Schrebergarten ist keine Alternative, da das Regelbuch zumindest hier im Pott dicker ist, als beispielsweise das Strafgesetzbuch. Was die Nachbarn angeht, so kann man sich diese in der Stadt leider auch nicht aussuchen. Ich erinnere mich da an den netten Iraker von Nebenan, der in der Wohnung seine Spieße auf dem Holzkohle Grill gegrillt – und dadurch einen Feueralarm im ganzen Haus ausgelöst hat. Für ihn völlig unverständlich. Selbiger Nachbar hat den Drücker vom Klo mit dem Hammer „repariert“. Danach lief dann nicht nur pausenlos das Wasser im Klo, sondern auch daneben. Die Folge war ein Wasserschaden in den 3 Wohnungen darunter plus Komplettsanierung. Nebenbei bemerkt war der Umgangston vorsichtig formuliert auch nicht unbedingt der beste. Ob ich jetzt einen Nazi als Nachbar auf dem Resthof habe, oder einen Proll mit Migrationdhintergrund mit einem IQ der seiner Schuhgröße entspricht, bleibt in etwa gleich. Zumindest für mich. Im Endeffekt wird es aller Voraussicht beim Traum vom Leben auf dem Land bleiben, es sei denn, ich Gewinne hoch im Lotto. Nur spiele ich kein Lotto….Schade!

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