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Wie ich (k)eine Journalistin wurde

„Die wird mal Journalistin.“ Seit meiner Schulzeit waren sich alle um mich herum da ziemlich sicher. Nur ich nicht. Ich war sogar dagegen. OK, ich konnte schon vor der Einschulung lesen, schrieb leidenschaftliche Aufsätze („Mr. Reagan, stoppen Sie die Rüstungsspirale!“) und verschlang jede Woche 6-8 Bücher aus der Kinderbibliothek. Ich war glühender Fan von Egon Erwin Kisch*, den außer mir kaum jemand kannte, und liebte die Platten mit den Geschichten vom braven Soldaten Schwejk*, was ebenfalls kein anderes Kind nachvollziehen konnte. (Mir fällt gerade eine kindliche Prag-Affinität auf… 🙂 )

Ich hatte auch Glück mit ein paar fantastischen Lehrerinnen. (That means you, Frau Geigenmüller, Frau Volkmer und Frau Lindemann!) Als Teenager kam Journalismus für mich trotzdem nicht in die Tüte.

Abgesehen davon, dass  DDR-Journalistin jetzt nicht so der Traumjob war: dröge Artikel verfassen über die erneute Planübererfülllung oder schnarchige Rentner-Parteitage? Das sollten mal schön andere machen.

Ich wollte aber auch nicht die Kamera draufhalten, wenn irgendwo in der Welt Elend geschieht. Ich weiß nicht, was ich mit dieser Kamera hatte. Wahrscheinlich hatte ich zu viele Nachrichten über hungernde Kinder in Afrika gesehen. Aber das war ein Bild, was ich damals oft benutzte, um mir diese Journalismus-Sache vom Leib zu halten. Stattdessen wollte ich lieber die Welt verbessern. (Damit bin ich ja weit gekommen… 🙁 )

Nachdem ich dann ein bisschen in diversen Jobs herumgetingelt war (eigenes Geld verdienen!), fing ich an, Werbung zu studieren. Ausgerechnet. Warum, zur Hölle? Ich weiß es auch nicht. Seemed like a good idea at the time. Jedenfalls klang es nicht so langweilig wie Jura, BWL und Politikwissenschaften – das, was die anderen aus meiner Klasse alle studierten.

Ziemlich schnell merkte ich, dass Werbung ja wohl ziemlich hohl war. Auch an der Uni war alles nur halb so spannend, wie es klang. (Mit Grauen erinnere ich mich an das Seminar „Witzige Werbung“, wo wir witzige Werbung aufs Unwitzigste zerlegen und analysieren mussten.) Ich konnte auch keinerlei Leidenschaft dafür entwickeln, eine Packung Klopapier oder ein Waschmittel zu verkaufen.

Nur das Nebenfach Audio/Video fetzte. Da traf es sich gut, dass ich ein Praktikum in einer Fernsehproduktionsfirma ergatterte. Immerhin durfte ich dort Geschichten erzählen und konnte mich visuell ausleben. Ich blieb also erst mal dort. (Ich war gefährlich nah dran am Journalismus, merkt Ihr selber.)

Allerdings lernte ich mit der Zeit, dass es gar nicht um die Geschichten ging, sondern um die Quote. Und darum, etwas möglichst Spektakultäres auszugraben. Zum Beispiel reichte es nicht, die Geschichte eines ordinären Taxifahrers zu drehen. (Ich habe immer noch eine große Faszination für Taxifahrer.) Also, fürs Privatfernsehen musste es eine einarmige senegalesische Transe im pinken Chevy sein. (Diese Redakteure waren doch damals alle auf Drogen…)

Dabei war doch oft das Gewöhnliche schon spektakulär genug! Im Laufe meiner Fernsehjahre bekam ich zig deutsche Wohnzimmer von innen zu sehen. Hallelujah! Fliesentische, Glasvitrinen mit Nippes, komische Flecken auf Sofas. Pamela-Anderson-Poster oder Airbrush-Kunstkalender-Abrisse an der Wand.

Ich traf die wildesten Gestalten, getarnt als Normalos. Zwei Schwestern, erwachsen, eine davon paranoid, die andere co-abhängig (so hätte ich es damals nicht formulieren können 🙂 ), die in ihrer eigenen Welt lebten und sich ein Schlafzimmer teilten.

Ein junger Mann, der als einzigen Freund seinen Fitnesstrainer angab – und seine Oma. 🙁 Ein Teil von mir fühlte sich unbehaglich, diese Menschen an die Öffentlichkeit zu zerren. Der andere hätte am liebsten einen Film nur über diese skurrilen Mitmenschen gedreht: „Planet Berlin“ oder so.

Aber mit Journalismus hatte das, was ich da machte, gar nichts zu tun. Die Redaktion gab immer sehr genau vor, was sie gern in der Geschichte hätte: jemand Junges, jemand Altes, jemand pro, jemand contra, einen Mann, zwei Frauen, eine einarmige senegalesische Transe usw. Es war eher eine Bestellung. So hattick mir dit aber nich vorjestellt!
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Vor Ort merkte ich dann oft, dass die eigentliche Geschichte ganz woanders lag. Zum Beispiel war ich einmal für eine populärwissenschaftliche TV-Sendung in Europas größter Zeitungsdruckerei. Da sollte es um selbstfahrende Papierrollen und sowas gehen. Das eigentlich Interessante waren aber die Typen an den Maschinen, die Drucker.

Schon nach ein paar Stunden kannten mich alle auf dem riesigen Gelände. Kein Wunder, ich war die einzige Frau weit und breit! Diese eingeschworene Männergesellschaft mit Pin-ups in den Spinden – Geschöpfe der Nacht, alles irgendwie Freaks in diesem uralten, mittlerweile fast schon antiquierten Gewerbe, das Vergrößerungsglas ins Auge geklemmt über die druckfrische Zeitung gebeugt – das hat mich fasziniert. Aber ich sollte über den Druckprozess berichten. Gähn…

Später ging ich in die PR (lag ja irgendwie nahe) und lernte die „Journis“ von der anderen Seite kennen. Naja. Diese ewige Skepsis ging mir auf die Nerven. Immer überall Lug und Betrug wittern. Das war ja fast schon pathologisch. Soll schon vorkommen, dass ein Unternehmen gelegentlich die Wahrheit sagt.

Dann die mangelnde Sorgfalt. Einen Namen falsch zu schreiben – das habe ich mir in all den Jahren als Fernseh-„Journalistin“ nie erlaubt. Namen sind wichtig, Rechtschreibung ist wichtig, Fakten checken ist wichtig. Das war schon erschreckend, was ich (vor allem im Lokaljournalismus, aber auch bei sehr etablierten Medien, die verdammt viel von sich halten) an mieser Qualität erleben musste. Trotz einiger enttäuschender Erlebnisse hängte ich mir diesen Spruch groß ins Büro:

Was ist schlimmer als Journalisten? Keine Journalisten.

Denkt mal drüber nach, Ihr „Lügenpresse“-Schreihälse!

Aber zurück zum Thema: Jahrelang hatte ich mich also erfolgreich um den heißen Brei des Journalismus herummanövriert. Irgendwie erschien es mir auch zu einfach: Schreiben als Beruf. Und jetzt sitz ich hier und schreibe und schreibe und kann gar nicht mehr aufhören… 🙂

Für die Jüngeren unter Euch: Früher gab es noch kein Internet. Man hatte nicht die Möglichkeit, selbst etwas zu veröffentlichen und ein Publikum an sämtlichen Massenmedien vorbei zu erreichen. Man musste bei einer Zeitung oder Zeitschrift anheuern, zum Radio (och nö) oder eben zum Fernsehen – dem glamourösesten, aber auch oberflächlichsten aller Medien. Wo nur das gezeigt werden kann, wofür es Bilder gibt.

Heimlich habe ich sie beneidet: diese Schreiberlinge, die aus dem Vollen schöpfen und auch über das berichten konnten, was man eben nicht sehen, sondern nur fühlen oder denken konnte. Oder was man nicht filmen durfte.

Aber jetzt, Leute! Jetzt werd ich sie alle machen, all diese Geschichten, die auf der Straße liegen. Und keiner redet mir rein – la-di-da! It’s my show, my words, my world. Oder wie das heißt.

Kein Redakteur, der mir alles wieder zerschießt, weil er die Geschichte nicht fühlt. Oder keinen Geschmack hat. Oder einfach doof ist. Oder auf Drogen. 🙂 Richtig gute Stories. Ich versprech’s Euch. Ihr Druckerfreaks, ich komme!
Ach, ja: Nennt mich von mir aus Journalistin.

*Support your local dealer! Kauf Bücher am besten bei der Buchhändlerin um die Ecke.

Bitte folgen Sie mir unauffällig!

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3 Kommentare

  1. Rita

    Hallo Lydia,
    mit Freude lese ich Deine Beiträge. Ja, ich glaube auch, dass früher oder später jeder in den Beruf hinein“fällt“, für den man „geboren“ ist. Du beschreibst das ganz klasse!
    Als Schülerin wollten mich einiger meiner Lehrer mich überreden ebenfalls Lehrerin werden. Aber das wollte ICH nicht. Mich mit Kindern rumärgern, die keine Lust auf Schule hatten, Zensuren für politische Korrektness vergeben usw.
    Also studierte ich das , was mich wirklich interessierte: Technik genauer Fertigungstechnik, später Informatik. Klar war ich froh, wenn ich was kapiert hatte und es meinen Kommilitonen erklären konnte und die es dann tatsächlich verstanden. Sa hatte ich auch noch immer keine Idee Richtung Lehrer. Erst als ich überredet worden bin Computerkurse zu übernehmen, leckte ich Blut – äh, ich fand das gut und immer besser. So bin ich in die „Lehrerrolle“ gerutscht. Und ich mag das Unterrichten immer noch.
    Vielleicht hatte ich dir das auch schon erzählt als wir an der Donau gemeinsam geradelt sind. Die Parallele zu deine Entwicklung fällt mir erst jetzt auf.
    Mach weiter so. Ich bin gespannt auf deine weiteren Beiträge.
    Herzliche Grüße von Rita.

    • Hallo Rita :), interessant. Mir ist das Ganze auch erst beim Schreiben aufgefallen. Die Formulierung „in den Beruf hineinfallen“ mag ich. So fühlt es sich an: wie ein Puzzleteil, das sich langsam in Position ruckelt. Liebe Grüße!

  2. […] Ich flog erstmal nach Amerika. Ein Jahr später sprach ich zwar fließend Englisch, war aber immer noch nicht schlauer in Bezug auf meine Studienwahl. Ich fing erst mal an zu jobben. Das machte ich ein paar Jahre, und da mir immer noch nichts einfiel, schrieb ich mich schließlich in den Studiengang ein, den eine Freundin belegt hatte. Werbung, ausgerechnet! Die Entscheidung fiel, weil endlich mal eine Entscheidung fallen musste. Der Rest ist bekannt. […]

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