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Die Dummheit – das sind die anderen

Oft ging es mir so: Wenn ich einzeln mit Kollegen über ein Problem sprach, wurden wir uns relativ schnell einig. Aber in einer größeren Runde war es fast unmöglich, gemeinsam eine intelligente und pragmatische Lösung zu finden. Gunter Dueck, Mathematikprofessor, ehemaliger Chief Technology Officer bei IBM, Vordenker und talentierter Redner, hat ein Buch über dieses und weitere Phänomene geschrieben: „Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam“*. Denn offensichtlich gibt es neben der Schwarmintelligenz auch eine Schwarmdummheit, wie man ja auch bestens bei den Verschwörungstheoretikern im Internet beobachten kann.
Aber auch in Unternehmen habe ich mir immer ein paar Fragen gestellt: Warum hat man oft das Gefühl, von Idioten umgeben zu sein? :/ Wo man doch wie gesagt mit Einzelnen ganz vernünftige Gespräche führen kann? Warum wird alles immer mehr und schneller? Warum frisst uns das Tagesgeschäft auf? Gunter Dueck kennt einige Antworten.

Hier die Thesen von ihm, die mich am meisten beeindruckt haben:

  1. Maximale Auslastung = Überlastung

    Als Mathematiker weiß Gunter Dueck, das Computernetzwerke zu maximal 85 Prozent ausgelastet sein sollten. Alles darüber führt zu Problemen. Grund ist das sogenannte Warteschlangen-Phänomen: Bei einer Auslastung von 85 Prozent hat eine Supermarkt-Kassiererin zwar ab und zu Leerlauf – dafür bilden sich zu Stoßzeiten aber keine übermäßigen Schlangen. Irgendwann kommt ein neuer Filialleiter und erhöht ihre Auslastung auf bis zu 100 Prozent. („Warum soll sie zwischendurch rumsitzen?“)

    Jetzt fehlen ihr nicht nur diese Leerlaufzeiten, in denen sie früher aufgeräumt, Probleme gelöst, sich mit Kollegen ausgetauscht – „Kaffeeklatsch“, der aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht ziemlich wertvoll ist – oder einfach mal durchgeatmet hat. In den Stoßzeiten bilden sich dann ellenlange Schlangen. Das alles geschieht gesetzmäßigerweise und ist mathematisch nachzuvollziehen, was ich uns allen jetzt mal erspare. 😉 Und was passiert bei den Kunden? Es kommt zu Frust und Beschwerden, bei der Kassiererin zu mehr Fehlern (ohne ausreichend Zeit, diese zu beheben) und natürlich Stress.
    Und jetzt kommt’s: Überträgt man dieses mathematische Phänomen auf – ähm, irgendeine beliebige Tätigkeit, dann wird klar, warum Arbeitnehmer heute oft an der Grenze zur Überlastung arbeiten. Da wird Arbeitszeit akribisch gemessen und protokolliert – und dann noch mehr Arbeit reingedrückt, bis die Schwarte kracht. Der Arbeitgeber verlangt 100 Prozent Auslastung, was mathematisch gesehen Irrsinn ist. Und zwangsläufig zu Überlastung und Chaos führt.

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    Selbst eine Supermarktkasse sieht sexy aus mit dem richtigen Filter.
  2. So-tun-als-ob ersetzt sinnvolles Handeln

    Das kennt jeder, der in einer HORG arbeitet: Oft genügt es, den Anschein von etwas zu wahren, die gewünschten (häufig geschönten) Zahlen zu präsentieren, statt das zu tun, was wirklich sinnvoll und angebracht wäre.

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    Der dauert ein bisschen…

    Ersatzhandlungen reichen aus – in einem Maße, dass es mich wundert, wie ein Unternehmen trotzdem weiterexistieren kann. Tatsächlich spricht Dueck von einer Todesspirale, in der Qualität und Kundenzufriedenheit immer weniger eine Rolle spielen, Preise in den Keller gehen und an dessen Ende der Zusammenbruch ganzer Branchen steht.

    Und nun kommt eine These, die mir wirklich die Augen geöffnet hat:

  3. There are two kinds of people (again): Book Smarts und Street Smarts

    Während die Book Smarts ihr Wissen aus Büchern haben, eher das große Ganze im Blick haben (wobei ich noch ergänzen möchte: und durch einen kritischen Geist und angewandte Logik auf Widersprüche aufmerksam werden), geht es den Street Smarts einzig um ihr eigenes, möglichst komfortables Überleben. Ihr Egoismus und Opportunismus heiligt die Mittel und verhindert, dass für das große Ganze (also das Unternehmen) intelligent-einfache Lösungen gefunden werden. Street Smarts machen die Welt kaputt, Leute.

All das beschreibt Gunter Dueck sehr unterhaltsam und aus einem für mich neuen Blickwinkel. Jedem, der in einer HORG arbeitet, sich daraus befreit hat oder gar mit dem Gedanken spielt, sich in eine solche Mühle zu begeben 😉 , sei dieses Buch empfohlen.

Eines fand ich allerdings sehr ernüchternd: Wenn diese Mechanismen (und viele mehr, über die Gunter Dueck in dem Buch schreibt) systemimmanent für eine HORG sind, dann kann man als intelligenter Mensch (oder Book Smart) in so einer Umgebung nur verzweifeln. Oder genauer gesagt: Wir alle verzweifeln aneinander – an unserer Dummheit als Schwarm.

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Foto von yang wewe auf Unsplash

*Support your local dealer! Kauf Bücher am besten bei der Buchhändlerin um die Ecke.

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8 Kommentare

  1. Hat dies auf Toms Gedankenblog rebloggt und kommentierte:
    Ein paar zur selbstkritischen Reflektion anregende Impulse von Lydia Krüger alias Büronymus.

  2. […] Als Beispiel nennt Le Bon Schwurgerichte, aber auch Parlamente: “Parlamente nehmen Gesetze und Vorlagen an, die jedes Mitglied einzeln ablehnen würde.” (S. 38) Hm, erinnert mich gerade auch ein bisschen an das Top-Management eines Unternehmens: geteilte Verantwortung ist halbe Verantwortung. Oder wie Günter Dueck es nennen würde: Schwarmdummheit. […]

  3. […] wegfällt und nicht mehr auf Überraschungen reagiert werden kann. Ich habe das in meinem Artikel Die Dummheit – das sind die anderen schon mal […]

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