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Willkommen im Insektenhotel

Zur Zeit sind Gärten modern, die möglichst wenig nach Natur aussehen: Sie sind planiert und rasiert, von Bäumen, Stauden und Sträuchern befreit. Die Fläche besteht aus englischem Rasen (oder wurde, noch krasser, mit Kieseln aufgefüllt) und in der Mitte steht einsam ein Buchsbaum herum. Neulich stieß ich in der Zeitung auf die perfekte Bezeichnung für so ein „Paradies“: Psychopathengarten.

Ich nehme mal an, die Leute legen sowas an, weil sie keine Zeit haben und denken, so ein Garten wäre pflegeleicht. Oder weil sie gern den Überblick behalten wollen und Angst haben vor der wuchernden Natur. Oder aber, weil sie den Garten als ein Designobjekt ansehen, das man gestalten kann wie eine Zimmerwand.

Na schön, denkt Ihr vielleicht, sollen sie doch. Aber jetzt kommt’s: Irgendwo in diesem Garten wird dann ein Insektenhotel aufgehängt. Für die Bienen. Und Käfer. Nur, wie sollen die dort wohnen, wenn sie nirgendwo Nahrung finden?

Ich gebe zu, bis vor einem Jahr wusste ich selbst wenig über die Natur. Wie auch, als Stadtkind? Bis mir eine Freundin das Buch „Der Drei-Zonen-Garten“ von Markus Gastl empfahl. Ich habe es gelesen und Bauklötzer gestaunt. Ach, so hängt also alles mit allem zusammen! Das Buch zeigt nicht nur, dass wir beim konventionellen Gärtnern eigentlich alles falsch machen, sondern bietet philosophische Einsichten ohne Ende.

Über den beliebten „englischen Rasen“ schreibt Gastl zum Beispiel: „Außerdem konstruieren und installieren wir Menschen neue, meist vorübergehende Systeme, die auf starren Strukturen oder beständigem Wachstum aufgebaut sind. Auf künstlichem Wege entstanden, müssen diese Systeme mit hohem Aufwand künstlich erhalten werden.“ (S. 11)

Einem glattrasierten Garten, schreibt er, fehle das Netz der Vielfalt, geknüpft aus Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Tieren – daher sei er besonders anfällig für Einflüsse von außen.

So ein „Designergarten“ ist nicht nachhaltig und basiert auf der Verschwendung von Ressourcen: Ohne ständige Unterstützung durch Geld, Zeit und Arbeit ist er weder lebensfähig noch im Gleichgewicht. Verschwendung jedoch ist der Natur eigentlich fremd. Sie kalkuliert knapp mit dem Vorhandenen und kennt keine Entsorgungsprobleme.

Irgendwie hatte ich ja schon immer das Gefühl, dass es mit Gärtnern eigentlich nichts zu tun hat, wenn man jedes Jahr ein paar Geranien auf dem Pflanzenmarkt kauft, sie auf den Balkon stellt und im Winter in den Müll wirft. Ich hatte meine Pflanzen immer nicht nur nach dem Deko-, sondern auch dem Nostalgiewert gekauft: Geranien wegen der Berge, den Oleander wegen Sardinien, den Granatapfel wegen des Kaukasus.

Nie war ich auf die Idee gekommen, dass solche exotischen Pflanzen von den heimischen Tieren gar nicht angenommen werden. Oder dass es überhaupt Pflanzen gibt, die keinen ökologischen Wert haben, also weder für Insekten noch für Vögel interessant sind. Der Buchsbaum ist eine dieser nutzlosen Pflanzen: Durch den ständigen Beschnitt kann er weder Blüten noch Früchte entwickeln, er lässt kein Laub fallen und Vögel nisten dort nicht.

Selbst Blumen haben nicht immer Nektar. Es gibt leere Blüten. Zum Beispiel meine Balkongeranien. Die sind für nektarsaugende Insekten (also auch Hummeln, Wildbienen usw.) komplett uninteressant.

Im Buch gibt es eine Art Hitparade der Pflanzen aus tierischer Sicht. Absoluter Spitzenreiter ist die Salweide. Bis zu 213 Insektenarten stehen auf sie, davon allein 34 Arten von Wildbienen. Fremdländische Gehölze haben weitaus weniger Fans (Forsythie: 1 Vogelart, Kirschlorbeer: 3 Vogelarten, Buchsbaum: 1 Säugetierart).

Tiere lieben Dickicht, Totholzstapel, Laub- und Steinhaufen, trockene und feuchte Ecken, Höhen und Senken, Gewässer und Komposthaufen. Sie brauchen Körner, Nüsse, Früchte und Nektar, um zu überleben. Mit unseren hyperaufgeräumten Rasenflächen nehmen wir ihnen die Lebensgrundlage.

Blickdichte mannshohe Thujahecken (kein ökologischer Wert!) verhindern nicht nur, dass die Nachbar*innen in den Garten linsen – sie stellen auch sicher, dass kein Schmetterling je dorthin finden wird. Schmetterlinge haben eine niedrige Flughöhe und können solche Hecken nicht überfliegen.

Da wir durch Straßen- und Wohnungsbau sowieso immer mehr Fläche versiegeln, sollte es unser aller Interesse sein, die wenigen noch vorhandenen Grünflächen zu einem kleinen Paradies für allerlei Getier zu machen. Statt abgestorbene Pflanzenteile im Herbst wegzuräumen, sollten wir sie über den Winter stehenlassen – als Nahrung für Vögel und Insekten.

In der Stadt geht der Wahnsinn ja so weit, dass wir wertvolle Gartenabfälle GEGEN GEBÜHR bei der Stadtreinigung abliefern. Hauptsache, der Garten ist schön sauber.

Der Witz ist ja: In dem Moment, wenn sich ein natürliches Gleichgewicht einstellt, wenn einheimische Pflanzen neben- und miteinander wachsen dürfen, macht so ein Garten nur noch wenig Arbeit. Baumärkte würden auf ihren Anti-Moos-Chemikalien, Herbiziden und Flammenwerfern gegen Unkraut sitzenbleiben. Garten wäre dann nicht mehr Krieg, sondern ein Ort, an dem Vielfalt sein darf. Wer mit der Natur arbeitet statt gegen sie, hat ein leichteres Leben.

Gerade bin ich dabei, einen kleinen Hinterhofgarten ökologisch umzugestalten. Als erstes habe ich den Buchsbaum entfernt, dann die fünf Eiben (alle ohne ökologischen Wert). Auch ein mickerndes Apfelbäumchen musste weichen, da es sich offensichtlich an dem Standort nicht wohlgefühlt hat.

Stattdessen pflanze ich Heckenrosen (bienenfreundliche Blüten, später Hagebutten für die Vögel), wilden Wein (Beeren als Vogelnahrung, beliebter Nistplatz) und säe eine Mischung aus 24 Wildblumensamen aus. Der Haselnussstrauch darf bleiben – er ist schon jetzt sehr beliebt bei Meisen, Spatzen, Tauben und Amseln. Als Vogeltränke und -bad werde ich einen kleinen Teich anlegen.

Während ich so am Herumwerkeln bin, denke ich oft an die Parallelen zur Arbeitswelt. So ein klimatisiertes Großraumbüro mit weißen, leeren Schreibtischen, an denen Menschen in – ähem – nicht gerade artgerechter Haltung stundenlang herumsitzen müssen. Arbeitsverhältnisse, in denen Angestellte all dessen beraubt werden, was ihre menschliche Natur ausmacht: Meinungs- und Entscheidungsfreiheit, Spiel und Kreativität. Die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wie, mit wem und wann sie arbeiten, vielleicht sogar WAS?

So ein Büroleben bedeutet oft: keine frische Luft, kein Tageslicht, Lärm, kein gesundes Essen, im schlechtesten Fall nicht einmal befriedigende soziale Beziehungen und Erfolgserlebnisse. Aber Höchstleistungen sollen die Angestellten bringen.

Willkommen im Insektenhotel.

PS: Nur, damit das nicht falsch rüberkommt: Insektenhotels sind schon sinnvoll – wenn sie inmitten einer Blumenwiese o. ä. stehen.

Foto: Lydia Krüger

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7 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Begriff „Psychopathengarten“, Lydia.

    Solche Menschen perfektionieren übrigens auch die „keimfreie Kommunikation“.
    Datenübermittlung zu genau einem Zweck: dem von ihnen beabsichtigten.

    Das übergeordnete Schlagwort lautet: „Permakultur“
    https://de.wikipedia.org/wiki/Permakultur

    Verständnis to go:
    „Jede Komponente hat mindestens 2 Funktionen.
    Jede Funktion wird von mindestens 2 Komponenten erbracht.“
    „1 ist widernatürlich“

    Die krassen Auswirkungen einer „sauberen Botanik“ wird im verlinkten Artikel des SZ-Magazins eindrucksvoll beschrieben:
    https://twitter.com/cmdsdude/status/1042617989340823552
    #Indikatorarten

    Zur Abrundung:
    https://twitter.com/cmdsdude/status/1004344713376223232

    „Wenn du einen Garten und dazu noch eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen.“
    – Cicero

    • Lydia

      Interessanter Link und schönes Zitat, danke.

  2. Angharad Beyer

    Liebe Lydia, ich bin ganz bei dir! Habe selber die Möglichkeit, im Hausgarten zu werkeln und freue mich über all die Pflanzen, die in diesem Frühjahr dort blühen, zum großen Teil haben sie sich selbst angesiedelt. Ich bringe die Besitzerin nach und nach dazu, ökologisch unsinnige/nutzlose Pflanzen wie den unsäglichen Kirschlorbeer zu reduzieren und durch insektenfreundlichere Pflanzen zu ersetzen.
    Bei der Eibe muß ich dir allerdings widersprechen, das ist eine einheimische Konifere und sie wird von Vögeln durchaus genutzt, im Nachbargarten brüten Tauben darin und die Beeren werden von Vögeln gefressen. Thuja, Buchsbaum, und Kirschlorbeer sind überflüssig, in Forsythien können wenigstens die Vögel sitzen und tun es auch gerne.
    Für mehr Grün in unserem Leben!
    Angharad

    • Lydia

      Hi Angharad, diese Eibe hier ist fruchtlos und wird von den Vögeln völlig ignoriert. Kommt wohl auf die Unterart an. Gastl ist generell kein Fan von Nadelbäumen, weil sie viel Licht wegnehmen, kein Laub abwerfen und Vögeln wenig zu bieten haben. Habe allerdings in einem anderen Garten, um den ich mich kümmere, eine Lärche, die auch von Vögeln angenommen wird. Man muss halt immer gucken. Ja, für mehr Grün! 🙂 Wenn jede/r bisschen was tut, hilft das schon.

  3. Gerwin Grossinger

    Mhmm… Eiben entfernt? Die stehen unter Schutz, ein Fällen ist nicht erlaubt!
    Im Mittelalter waren weite Teile von Mitteleuropa Eibenwälder – das fällt sicher nicht unter „ökologisch total wertlos“…
    –> Bitte nicht nachmachen/wiederholen!

    • Das wusste ich nicht. Es war eine Eibenhecke, kein Baum. Mit „ökologisch wertlos“ ist gemeint im Vergleich zu laubtragenden einheimischen Gewächsen, in denen sich jede Menge Insekten und Vögel niederlassen (s. Markus Gastl). Natürlich wurde sie ersetzt, in diesem Fall durch Hartriegel und Pfaffenhütchen. Muss aber sagen, dass ich das auch nicht noch mal so machen würde, da die neuen Hecken nicht besonders gut anwachsen.

  4. Corinna K.

    Ich mag den Kirschlorbeer in unserem Mini-Hinterhofgarten… seit dort seit einigen Jahren regelmäßig Amseln brüten! 🧡 Die Amsel-Eltern helikoptern zwar ziemlich lautstark herum, aber dafür ist es nie langweilig. Meisen & Spatzen ergänzen das Spektakel. 😁
    Liebe Grüße, Corinna

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