Dr. Teufel und Herr Beelzebub saßen schon seit einer Stunde im Konfi und brainstormten. Beiden tropfte der Schweiß von der Stirn. Und das lag nicht nur daran, dass die Heizung wie immer voll aufgedreht war. Aus Gewohnheit starrten sie auf die leere Wand – dahin, wo sonst die Powerpoint-Präsentation lief. Sie fühlten sich irgendwie … ausgebrannt. Das konnte doch nicht wahr sein, dass ihnen gerade im Geschäftsfeld Büro, ihrer absoluten Cashcow, nichts mehr einfiel.
„Wir brauchen wieder so ein richtiges Knallerprodukt. So, wie ich damals Powerpoint erfunden habe. Das hat eingeschlagen wie eine Bombe“, sagte Dr. Teufel. „Ja, Powerpoint ist ein Dauerbrenner, ein richtiger Hit“, schleimte Beelzebub. „Es soll sogar schon mal jemand sein Publikum totgepowerpointet haben. ,Death by Powerpoint‘ ist jetzt ein Fachbegriff und soll demnächst einen ICD-10-Code bekommen.“
„Das sind ja fantastische Neuigkeiten.“ Aufgeregt fummelte Dr. Teufel an der Sonnenbrille herum, die zwischen seinen Hörnern im zurückgegelten Haar steckte. „Ohne hier einen auf Überflieger machen zu wollen, muss ich sagen, ich hatte echt ein paar gute Ideen: Business Bullshit und Denglish, Management by Objectives. Überhaupt, diese ganze Pyramidenstruktur der meisten Unternehmen ist ja auch von mir.“
„Und die 40-Stunden-Woche!“, rief Beelzebub begeistert. „So eine schöne runde Zahl! Davon kommen die nie wieder runter.“
„Pass mal auf.“ Dr. Teufel wurde ernst. „Unsere Stärke ist doch, dass wir konsequent zurückblicken. Vielleicht finden wir etwas, das früher schon Scheiße war, aber völlig in Vergessenheit geraten ist. Und das führen wir dann wieder ein.“
Beelzebub blätterte in dem historischen Fotoalbum, das er immer mit sich herumtrug. „Hm… Telefonistinnen? Zusammenbrechende Leitungen?“, fragt er zweifelnd.
„Gar nicht so schlecht. Wäre was fürs Internet, wenn die Netzneutralität endlich abgeschafft ist. Dann lassen wir im Billigtarif die Router wieder per Hand einstöpseln.“ Dr. Teufel warf einen dämonischen Blick auf die vergilbten Fotos. „Guck mal hier, all diese Menschen, die in einem riesigen Saal aufeinanderhocken. Vor ihren Schreibmaschinen. Das hat Potenzial, findest du nicht?“
Beelzebub spürte, wie die Quelle seiner hinterhältigen Kreativität zu sprudeln begann. Er sprang auf und hechtete zum Flipchart.
„Punkt 1: Totale Kontrolle! Jeder sieht jeden, immerzu. Erinnerst du dich an das Panopticon? Dieses Gefängnis, wo der Aufseher die Insassen von jedem Punkt aus beobachten konnte? Die Projektleitung hatte damals unsere Kollegin Lucy Fair. Genauso bauen wir die Büros auf. Was hältst du davon, verglaste Einzelbüros für die Chefs einzubauen? Dann könnten die ihre Arbeitsbienen jederzeit beobachten.“
„Genial, Beelzi! So ein bisschen Sonderbehandlung für die Führungskräfte kommt immer gut an. Warum sollen die mit dem Plebs im Großraum sitzen? Und Kontrolle zerstört bekanntlich die intrinsische Motivation der Mitarbeiter – was will man mehr?“
„Punkt 2: Lärm. Ist selbsterklärend, glaube ich. Bevorzugt bauen wir die Dinger in alte Fabriken mit Ziegel- oder Betonwänden. Das schallt enorm, aber da es super aussieht, wird es keinen interessieren. Und wenn sich die Leute vor dem Krach schützen wollen, sollen sie sich doch Kopfhörer aufsetzen. Verstehste? Die müssen sich selbst beschallen, um der ungewollten Beschallung zu entgehen. Teuflisch gut.“
„Hauptsache, es kann sich keiner mehr konzentrieren.“ Vor Begeisterung wedelte Dr. Teufel leicht mit dem Schwanz. Beelzebub schaute irritiert. „Lassen Sie das.“
„Punkt 3: Damit treiben wir auch gleich die Introvertierten und Sensiblen in den Wahnsinn“, fuhr Beelzebub fort. „Wir setzen sie einfach massiv den Energien vieler anderer Menschen aus, bis sie nicht mehr können. Sollte funktionieren. Noch besser wäre, wenn wir in jedes Großraumbüro ein paar rücksichtslose Arschlöcher mit schlechten Manieren setzen. Oder so Powertelefonierer, die man bis zum anderen Ende des Saals hört.“
Dr. Teufel wurde nachdenklich. „Das erscheint mir fast zu simpel. Lass uns noch ein paar Extras einbauen. Zum Beispiel: Wir reihen die Tische so auf, dass die Bildschirme jederzeit einsehbar sind. So kann niemand mal privat was googlen. Das können wir richtig teuer verkaufen.“
„Ja, und wenn jemand was von einem Kollegen will, muss er sich VON HINTEN ranschleichen. Ein kleiner Gruß an die Schreckhaften, hehe.“ Beelzebub war jetzt nicht mehr zu stoppen. „Rückzugsorte? Fehlanzeige! Auf keinen Fall gibt es eine gemütliche Ecke oder Chillout-Zone. So unterbindet man private Telefonate und dieses blödes Herumgequatsche während der Arbeitszeit. Wer Ruhe will, kann sich ja aufs Klo setzen. Aber das ist noch nicht alles.“ Seine Stimme überschlug sich fast. „Es gibt eine Ausbaustufe: keine festen Arbeitsplätze mehr. Wir nennen es Rotäischn! Jeder sitzt jeden Tag woanders. So weiß man nie, wer überhaupt anwesend ist und muss ständig seine Kollegen suchen.“
„Klingt nach einem soliden Konzept. Die Kollegen von der IT müssen natürlich dafür sorgen, dass die Technik regelmäßig versagt. Also, von wegen: Jeder kann sich an jedem Arbeitsplatz einfach so einstöpseln, hihi.“ Ein zufriedenes Grinsen machte sich auf Dr. Teufels Fratze breit. „Jetzt brauchen wir noch ein, zwei Zauberworte, mit denen wir das Ganze den Kunden verkaufen. Branding, du weißt schon.“ Dieser Teufel war ziemlich gut darin, die Arbeit auf andere abzuwälzen.
Beelzebubs Schädel rauchte. „Kollaboration! Wir behaupten einfach, dass heutzutage alle immerzu zusammenarbeiten müssen. Und deshalb ständig miteinander kommunizieren müssen. Austausch, Austausch, Austausch. Oder hat man etwa schon mal gehört, dass Ideen durch einsames Nachdenken entstehen? Oder dass einer ganz alleine irgendwas erfunden hätte?! Teamspirit nonstop, chakka, yippie yeah!“
Dr. Teufel nickte. Plötzlich fiel ihm auch etwas ein. Okay, es war nicht sonderlich originell, kam aber bisher bei den Kunden spitzenmäßig an. „Einsparungen! Fläche sparen, Miete sparen. Wir haben’s, mein Lieber. Ready for Rollout!“ Er griff nach seinem Gehstock. In letzter Zeit machte ihm sein Pferdefuß ganz schön zu schaffen. „Dann pack das mal in eine Powerpoint.“
PS: Laut einer australischen Metastudie von 2009 berichteten 90 Prozent der in Großraumbüros Beschäftigten über negative körperliche und psychische Auswirkungen. Probleme sind unter anderem Reizüberflutung, Verlust der Privatsphäre sowie das Gefühl, von den Kollegen überwacht zu werden. Außerdem ist die Ansteckungsgefahr mit Viren und Bakterien im Großraumbüro deutlich höher als im Einzelbüro.
Obwohl nachgewiesenermaßen Zufriedenheit, Gesundheit, Kreativität und Produktivität in Großraumbüros abnehmen, erfreuen sie sich nach wie vor größter Beliebtheit – vor allem bei Arbeitgebern, die damit Modernität und Teamspirit signalisieren wollen. Und Miete einsparen. Die Sicht eines Workplace Planners findet Ihr in meinem Interview mit Udo Maar: Wie unser Büro uns prägt – und umgekehrt.
Ein großes Missverständnis scheint in der Annahme zu bestehen, was Wissensarbeiter eigentlich den ganzen Tag machen: Die meiste Zeit (54 Prozent) arbeiten sie konzentriert und allein. Den Rest ihres Arbeitstages verbringen sie vor allem am Telefon. Studien zufolge sind ein Büro mit Tür und natürliches Licht die Faktoren, die z. B. Programmierer am effektivsten arbeiten lassen.
Hier noch ein beeindruckender Film über die Geburt eines Großraums, der für mich die Hölle auf Erden wäre. Aber sehr schick aussieht.
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Wie immer großartig, Lydia!
Nicht dass man schon mit dem thematischen Bestimmen eines Kontextes schwer beschäftigt wäre … nein, sich jedes Mal „neu finden“ zu müssen bringt noch einmal mehr Spannung in die Frage, wie denn die Chancen stehen, miteinander erfolgreich zu sein.
Mathematisch gesehen: eher schlecht, wie Conny hier vorrechnet
https://blog-conny-dethloff.de/?p=3952
Und dann auch noch das Erfassen von Kontext in einer Gruppe …
https://commodus.org/context/
… die Irritationen und Fehlverständnisse sollte man als VBereicherung sehen und mit Humor nehmen.
Es grenzt an ein Wunder, dass wir Menschen schon so weit gekommen sind.
Aber wahrscheinlich nur durch die Leistung Einzelner, die eben kein Großraumbüro ertragen mussten.
https://commodus.org/hero-culture
Meine Heldentaten von damals entstanden alle mit solider Vorbereitung im „stillen Kämmerlein“ und „Performance“ auf der Bühne „beim Kunden“.
Nur irgendwann stieß ich an meine Ego-Barriere und musste mich aufmachen in die Welt der Großraumbüros und Meetingräume.
An ihren „Arbeitsplätzen“ machen die Kollegen dort dann so Sachen wie „eMails“, „Reviews“ oder „Checklisten“.
Die Großartigkeit in der Arbeit entsteht stattdessen in online-Konferenzen oder Meetingräumen. Wohl dem, der sie noch hat, diese „Meetingräume“ – sonst bleibt nur noch die Kaffeebar im Haus oder um die Ecke.
Hat dies auf ilseluise rebloggt und kommentierte:
Darum bin ich so gerne in meinem kleinen feinen leicht chaotischen Arbeitszimmer mit mir und der „arbeitenden“ Katze!
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