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Schön, wenn der Schmerz nachlässt

Manchmal tut irgendwas weh und man jammert rum. Und dann, irgendwann, unverhofft, stellt man fest: Huch, der Schmerz ist ja weg! So geht es mir gerade. Ich glaube, ja, ich wage zu hoffen, dass mein Burnout vorbei ist.

Fast vier Jahre nach meiner Kündigung sehe ich nicht nur fünf Jahre jünger aus (sagt man mir) und habe fünf Kilo mehr auf den Rippen. Ich fühle mich auch zum ersten Mal NICHT STÄNDIG ERSCHÖPFT.

Ich habe Energie – jedenfalls an den meisten Tagen. Das ist ganz ungewohnt. Ich hatte schon vergessen, dass das geht. Manchmal stehe ich morgens auf und arbeite durch wie ein Duracell-Hase. Dass ich das noch mal erleben darf!  🙂

Natürlich muss ich aufpassen, dass ich meine neugewonnene Energie nicht gleich wieder verprasse. Gerade jetzt, wo mir meine Arbeit so richtig Spaß macht und erste Früchte trägt. Ich könnte manchmal sogar nonstop arbeiten und muss mich zwingen, Pausen zu machen (in denen ich mich dann langweile und darauf warte, weiterarbeiten zu können – pervers).

Ich habe wieder Freude an der Arbeit, in meinem eigenen Rhythmus. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich vor mich hinlächelnd durch die Gegend laufe wie so ein glücklicher Idiot.

ALLE meine gesundheitlichen Probleme haben sich in einem Maße verbessert, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte. (Dafür kommen neue.)

Eines musste ich lernen: auf meinen Körper zu hören. Und zwar radikal. Ich habe mich ihm ergeben. Er sagt „heute nicht“ und dann ist das so. Er darf mich regieren, auch wenn es mir oft gegen den Strich geht. Es frustriert mich und nervt. Aber sobald ich mich über ihn hinwegsetze, muss ich dafür bezahlen.

Er zwingt mir seine Regeln auf: Jeden Tag pünktlich ins Bett und pünktlich raus, Alkohol selten und wenig, weil ich den schlecht vertrage. Wenig Stress, wenig Interaktion. Mein Leben würde vielen Menschen wahrscheinlich isoliert und langweilig vorkommen. Aber so sind wir Schreiberlinge. 🙂 Patricia Highsmith sagte mal:

Meine Vorstellungskraft funktioniert viel besser, wenn ich mit niemandem sprechen muss.

Wenn ich Leute sehen will, brauche ich nur vor die Tür zu gehen, da lungern sie nämlich rum, vor der besten Eisdiele der Stadt. 😛 Aber ja, ich treff mich auch ab und zu und mag das dann auch ganz gerne.

Ich muss trotzdem extrem aufpassen: Was kostet Energie – das vermeiden. Was gibt mir Energie – mehr davon, bitte. Natur bleibt die größte Kraftquelle, leider gibt es hier so wenig davon. Die Kraft fließt immer noch sehr schnell ab. Ich denke manchmal, ich hab durch die Burnouts meine innere Batterie geschrottet und jetzt lädt die nur noch langsam auf und wird schlagartig leer. Wie bei so einem alten iphone…

Und manchmal, Gottseidank immer seltener, geht trotzdem nichts. Dafür geht an anderen Tagen richtig viel. (Während ich das schreibe, habe ich die ganze Zeit das Bedürfnis, deutlich zu machen, dass jetzt wieder GANZ VIEL geht. Könnte ja ein potenzieller Auftraggeber hier mitlesen und ja, natürlich liefere ich. Pünktlich. Oh, Mann.)

Es ist schwer, diese ganze Gemengelage jemandem begreiflich zu machen. Unter diesen Bedingungen bin ich für das, was wir abhängige Beschäftigung nennen, nicht mehr gemacht.

„Ich bin nicht auf Knopfdruck verfügbar“, sagte meine schwerbehinderte Mutter einmal. Sie ist jeden Tag damit konfrontiert: Die Leute erwarten, dass sie funktioniert. Und zwar jetzt gleich. An der Kasse, beim Überqueren der Straße, warum steht die Frau denn hier im Weg rum. Immer diese Ungeduld. Sie ist doch keine Maschine, die alte Frau. Wer ist das schon. Ich nicht. Ich funktioniere auch nicht mehr auf Knopfdruck.

„Wer ungeduldig ist, liebt nicht“, sagt mein spiritueller Lehrer. Ich lerne, geduldig mit mir zu sein (und mit anderen). Das ist schwer.

Viel von dem Druck und Stress, den ich empfinde, mache ich mir selber. Das steckt auch immer noch in mir drin, dieser Rausch der Geschwindigkeit, dieser preußische Arbeitshunger, getting shit done – und zwar zackig und ohne hochzugucken.

Also muss ich immer wachsam bleiben und darf auf keinen Fall versuchen, meinen Körper zu hintergehen, indem ich ihn überstrapaziere. Dass ich mir dabei manchmal vorkomme wie eine 80-Jährige, muss ich in Kauf nehmen.

(Es ist so ungerecht: All diese Leute, die Raubbau an ihrem Körper betreiben, saufen, rauchen, sich mit Drogen vollpumpen – und immer noch fitter sind als ich. 😛  Ich kriege den Schmerz und die Zerschlagenheit ja ohne mein Zutun – thanx for nothing.)

Jammer, jammer, lamentier – eigentlich will ich hier die frohe Botschaft überbringen an alle, die einen (oder mehrere) Burnouts erlitten haben: Es wird besser. Es gab Zeiten, da war ich echt verzweifelt und dachte: Ich bin ja gar nicht mehr vermittelbar, zu nix mehr zu gebrauchen, total unfit. Ich werde nie wieder richtig arbeiten können. Es wird nie wieder wie früher.

Und das stimmt übrigens. Es wird nie wieder wie früher, sondern anders. Der Mensch ist zäh und die Selbstheilungskräfte sind stark. Ihr werdet wieder Kraft finden und Ihr werdet wieder arbeiten. Vielleicht anders.

Nehmt Euch die Zeit, die Ihr braucht – egal, wie lange es dauert. Auf jeden Fall dauert es viel länger, als Ihr denkt. Hört auf Euren neuen Vorgesetzten, diesen gewissen Herrn Körper. Er meint es gut mit Euch.

Und dann versucht, die besten Bedingungen zu schaffen, dass Ihr wieder Kraft schöpfen könnt. Ich habe dabei auch Fehler gemacht: viel zu früh viel zu viel gearbeitet. Aber langsam check ich’s und nehme mir Zeit.

Das ist von allem wohl die größte Übung: sich Zeit zu lassen, keine Panik zu kriegen und darauf zu vertrauen, dass sich die Schönheit des Lebens auf eigentümliche Weise entfalten wird. Und dem, was auch immer da kommt, mit großen Augen entgegenzusehen.

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Photo by Tiago Fioreze on Unsplash

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8 Kommentare

  1. Das hier ist nicht nur eine sehr bewegende Reflexion einer – wie soll ich’s nennen?- Heilung durch radikalen Perspektivenwechsel. Du sprichst auch von meiner guten alten Bekannten. Auch ich funktioniere nicht auf Knopfdruck, aber wenn, dann gewaltig! Ich glaube, da draußen sind noch viel mehr von unserer Sorte. Und leisten Wunderbares.

  2. Danke, Lydia.

    Den wahrscheinlich wichtigsten Rat meiner Mutter erhielt ich mit etwa 15:
    „Dein Körper sagt Dir, was Du brauchst.“

    Seit dem arbeite ich daran, meine Sensorik noch feiner einzustellen und ein breites Spektrum an Reaktionsmöglichkeiten zu entwickeln. Im Zivildienst 1992 war ich u.a. deshalb das letzte Mal „abhängig beschäftigt“. Das schützt aber keineswegs vor der ‚Knopfdruck-Falle‘. Wenn man Kredite aufnimmt und Mitarbeiter beschäftigt, und das mit einem ‚preußischen Pflichtgefühl‘, dann wird die Herausforderung größer.
    Was dann passierte, beschreibe ich mittlerweile so: ich prallte mit Maximalgeschwindigkeit gegen die #EgoBarrier. Erst gegen meine eigene. Der Abprall von dort schleuderte mich dann gegen die von anderen, die noch höher waren. Das war 2011.

    Im Verlauf der Ergebnisverarbeitung habe ich ein Muster für mich erkannt, das nach meiner Wahrnehmung immer gleich abläuft und nie gleich erscheint. Ich nenne es „Fraktal des Lebens“.
    Es ist die noch weitergehende Abstraktion hier von:
    https://commodus.org/omg/

    In den fünf Stufen würde ich Dich nach diesen Ausführungen am Beginn der Stufe 4 einordnen. Die Kräfte lassen nach, es wird erforderlich, sie einzuteilen und nur noch das Wichtigste zu bedienen. Daraus wiederum entsteht die Wahrnehmung „erfolgreicher“ zu sein.
    Eine kleine Illusion … tatsächlich werden die schwindenden Kräfte nur effektiv eingesetzt UND effizient genutzt.

    Diejenigen, auf die Du etwas neidisch hinüberschielst befinden sich an der beginnenden Stufe 3 („world is not enough“). Auch wenn sie nicht mehr nach Lebensalter pubertieren, so handeln sie doch wie 20-Jährige („Scheißegal … es wird schon gehen!“).

    Du bist einen Schritt weiter. Du weißt, wie es geht.

  3. Hi, vielen Dank für die offenen Zeilen. Auch das muss man vermutlich erstmal lernen. Schön, wenn Du Deinen eigenen guten Weg gefunden hast.

    Aus meiner Erfahrung ist es auch manchmal hilfreich, sich regelmäßig zu fragen, wofür der Burnout „gut“ ist oder in deinem Falle war. Das klingt in Deinem Beitrag ja auch an. Sozusagen wie Gunther Schmidt sagt: „Burnout als Kompetenz“. Im Grunde genommen wie eine Warnblinkanlage des Körpers.

    Viel Erfolg weiterhin!

    Jens

  4. Carrie

    Eine schöne Beschreibung und Entwicklung! Freut mich sehr, dass du deinen Weg gefunden hast. Das motiviert mich. Und m. E. ist das voll okay, wenn man mal einen Tag nicht so rund läuft. Das würde ich als normal und nicht als Teil der Krankheit sehen.

    Meine Schwiegermutter kann auch nicht auf Knopfdruck. Sie hat Parkinson. Manchmal lernen uns solche Menschen wirklich den Umgang mit der Langsamkeit. Ich glaube, darüber schreibe ich auch mal 😀 Es ist wirklich die „Entdeckung der Langsamkeit“.

  5. Dálcia Jochem

    Hi,

    wow, wunderschön was Du hier geschrieben hast, hat mich zutiefst berührt 🙂
    Zeit nehmen so viel man brauch ohne den Druck von außen (Gesellschaft) zu sich zu nehmen ist echt nicht einfach.
    Ich habe wohl so gut verstanden was mein Körper zu mir sagt, aber darauf zu vertrauen und genau langsam machen ist schon eine sehr intensive Lernprozess.
    Und genau das was Du schreibst…“ dass sich die Schönheit des Lebens auf eigentümliche Weise entfalten wird.“ bin ich mir auch sooo sicher.
    Aber muss ich schon sagen, ist manchmal schwer darauf zu vertrauen, dass das Leben sich schon entfalten wird.
    Wunderschön was du alles gelernt hast, mir ist ein tick anders allerdings die Lektion ist genau die selber.
    Viele Danke für die schöne Artikel, hat es gut getan den zu lesen. 😉

    Beste Grüße aus Hamburg und weiterhin viel Erfolg!
    Dálcia

    • Lydia

      Danke, Dálcia! ? Was macht Dein Buch? ?

      • Dálcia Jochem

        bitte bitte 😉 ich habe schon der Buchprojekt geschrieben, jetzt werde ich erstmal meine Business starten und dann weiter im Buch arbeiten, dass entfalten sich so gerade. 🙂

        • Lydia

          OK, viel Erfolg! Werde immer mal nachschauen bei Dir.

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