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Ruf! Mich! Nicht! An! oder Die Angst vor dem Hörer

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Gerade habe ich mich noch über E-Mail-Fans lustig gemacht, die den Griff zum Telefonhörer scheuen wie der Teufel das Weihwasser, da wird mir klar, dass auch ich dazugehöre. Und diese Erkenntnis kam so: Auf der Website der Bloggerin Anne Schüssler stieß ich auf diesen Hinweis unterhalb ihrer Telefonnummer:


Ich war baff. Dann lachte ich. Und fühlte mich ertappt. Denn ja, einen solchen Hinweis hätte ich auch gern auf meiner Website. Auf meiner Visitenkarte. Oder auf einem T-Shirt? 🙂

Auch ich habe eine Telefonschwäche. Und nicht erst seit meinen Stimmbandproblemen. (Jetzt tease ich sie zum zweiten Mal an und muss wohl demnächst mal ausführlicher darüber schreiben…) Nur so viel: Wenn die Stimme nicht zuverlässig ist, macht Telefonieren noch weniger Spaß. Vor allem, wenn man aufgeregt oder im Stress ist. Dann kann es schnell peinlich werden: krächz, krächz, räusper, räusper. Außerdem sind längere Diskussionen am Telefon für mich ziemlich anstrengend, was die Atmung angeht.

Aber generell habe ich noch nie gern telefoniert. So richtig bewusst wurde mir das erst, als eine Freundin meinte: „Ganz ehrlich: Ich hasse es zu telefonieren. Es gibt Tage, an denen bringe ich es einfach nicht über mich, zum Hörer zu greifen. Ich traue es mich kaum zu sagen, aber ich hab da fast so eine Art Phobie.“ In der Tat, das gibt man ungern zu. Wie sieht das denn aus? Vor so etwas Simplem wie Telefonieren Angst zu haben?

Telefonieren ist Pflicht

Nun hatte ich eigentlich immer Jobs, wo ich viel telefonieren musste. Zumindest kam ich oft nicht drumherum. Anzeichen für meine Telefonschwäche gab es schon in meinem ersten Job für einen ukrainisch-jüdischen Import-Export. (Don’t ask.  😉  Aus dieser Zeit gibt es einen Haufen unglaublich skurriler Geschichten, die es auch mal wert wären, hier gebloggt zu werden.)

Damals – ich spreche über eine Zeit, als man noch Telefonbücher benutzen musste, um etwas herauszufinden – erteilte mein Chef mir den Auftrag, eine 0,33er Dose Bier zu einem abartig niedrigen Preis zu finden. Eine schier unlösbare Aufgabe.

Und sie kostete mich neben dem eigentlichen Anruf bei den Brauereien (und dem schier endlosen Sichdurchfragen und Sichdurchstellenlassen zum richtigen Ansprechpartner) noch zusätzliche Überwindung. Da kommt etwas ins Spiel, das ich mal Scham nennen möchte. Denn die meisten Brauereivertriebler lachten mich ob der utopisch niedrigen Preisvorstellung meines Chefs einfach aus.

Immerhin etwas lernte ich von – nennen wir ihn Igor: „Man muss nur lange genug herumtelefonieren, dann erreicht man sein Ziel.“ Das ist tatsächlich so. Allerdings ist die Strategie „lange herumtelefonieren“ nicht wirklich eine gute Nachricht für jemanden, der Telefonieren hasst.  😉

Damals habe ich es als eine Art Therapie betrachtet: Grenzen überschreiten und so, sich mit den eigenen Ängsten konfrontieren. Einfach mal 50 Brauereien abtelefonieren. Aber soll ich Euch was sagen? Es hat nichts gebracht. Auch 20 Jahre später hasse ich es, irgendwo anzurufen. Nicht immer – es gibt auch Tage, da flutscht es. Das nutze ich dann aus und tätige gleich mal ein paar Anrufe auf einen Schlag.

Natürlich führe ich auch sehr gute, lange, fast schon intime Telefonate mit Menschen. Dem geht aber in der Regel irgendeine Art von Erstkontakt voraus. Per Mail, Twitter, was auch immer. Das beruhigt mich, wenn ich weiß, der Boden für das Gespräch ist bereitet.

Aber diese „Hast-du-die-Nummer-vom-Papst-ich-ruf-da-mal-eben-an“-Leute: Da gehöre ich überhaupt nicht zu. (Noch schlimmer: Mir mitten im Gespräch und gegen meinen Willen den Hörer in die Hand drücken. Herzinfarkt!)

Gottseidank gibt’s SMS

Nicht zufällig war ich damals eine der Ersten in meinem Dunstkreis, die diese lustige Textnachrichtenfunktion im Handy entdeckt hat. Im Nokia 5110. Schwarz auf grünem Display und ES GINGEN NUR GROSSBUCHSTABEN. Und nur 160 Zeichen. Für die Jüngeren unter uns. 🙂 Die Erfindung der SMS war für mich ein Segen. Kein langes Gelaber. „WO BIST DU?“ Antwort-SMS. Fertig.

Ein großer Vorteil des Schriftlichen ist (neben der Tatsache, dass man in Ruhe überlegen kann, was man schreibt), dass der Gesprächspartner nicht sofort antworten muss. (Kann auch von Nachteil sein.  😀 )

Wenn man anruft, weiß man nie so genau, wo und wobei man das Gegenüber gerade stört. Und ich störe Leute ungern. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich Leute, die im Gespräch sind, möglichst nicht anspreche. Wird mir manchmal als Unhöflichkeit ausgelegt.

Vielleicht ist auf dem Grund der Telefonschwäche auch eine Art Angst vor dem Unbekannten, dem Nichtgesicht. Wenn’s wichtig ist oder kompliziert wird, kommuniziere ich am liebsten in persona mit Menschen – ich will den ganzen Eindruck haben, inklusive wie jemand riecht und welche Energie er ausstrahlt. Skype zum Beispiel empfinde ich auch als merkwürdig steril. Es gibt vor, dass man mit dem ganzen Menschen kommuniziert – ist aber nicht so.

Jedenfalls ist es toll, dass man heutzutage viele Dinge mithilfe von ein paar WhatsApp oder einer E-Mail klären kann. Das kommt mir sehr entgegen.  🙂  Man muss sich nur merken, wer auf welchem Kanal am besten zu erreichen ist. Der eine reagiert nur auf Facebook Messenger, der nächste präferiert WhatsApp. Oder E-Mail. Oder XING … Naja, und wenn’s gar nicht anders geht, rufe ich halt an.  😉

Alexander Andrews

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15 Kommentare

  1. Haha, das kenne ich! Ich habe auch diese Phobie und hasse es, wenn mich fremde Personen anrufen. Deshalb gibts auf meiner Website ein super Kontaktformular.:P
    Und ich schiebe Anrufe auch immer auf, z.B. bei Ämtern.*seufz*
    Mit Freunden telefoniere ich aber ganz gern, was allerdings heutzutage kaum noch passiert. Früher habe ich locker 4-6 Stunden telefoniert.:D
    lg,
    Sarah

    • Das ist mir auch aufgefallen. Telefonieren ist heute eher Mittel zum Zweck, der lange Plausch wird seltener. (Und das ist auch richtig so. 😉 )

      • Skully

        Hm…Mittel zum Zweck? Naja. In 5 Minuten Gepräch kann ich mehr sagen als in fünf Minuten schreiben. Und Telefonieren ist immerhin „zweidimensional“ hinggegen schreiben nur „eindimensional“ ist. Es fehlt das Gefühl.
        Somit finde ich, je nach Inhalt, ist der lange Plausch durchaus die bessere Wahl und wünschenswert, anstatt sich immer hinter dem Bildschirm zu verstecken.

  2. Kenne ich auch sehr gut, ich hab meine Telefonphobie auch schon mal thematisiert und mittlerweile kann ich mir zumindest nen Arzttermin am Telefon geben lassen, aber irgendwo anrufen, wo ich das Gegenüber nicht kenne, ist bei mir noch immer mit Herzklopfen verbunden 😀 da denke ich immer, ich sei verliebt, dabei hab ich einfach nur Schiss 😀

    • Arzttermin geht bei mir. Da nervt nur, dass man niemanden erreicht, besetzt ist, der AB dran usw. Deshalb bin ich immer froh, wenn eine Terminvereinbarung im Internet angeboten wird. 😉

  3. „[…]Der eine reagiert nur auf Facebook Messenger, der nächste präferiert WhatsApp. Oder E-Mail. Oder XING… Naja, und wenn’s gar nicht anders geht, rufe ich halt an. ?“
    Toller Post! Du sprichst mir aus der Seele. Vor allem der Irrglaube, am Telefon geht „immer“ „alles“ „am schnellsten“. Manche Leute erreiche ich einfach per Messenger viel zuverlässiger. Direkt, mit Links und allem Pi-pa-po.
    „Hochachtungsvoll verbleibe ich, Ihr geschätzter“ Patrick

  4. Geht mir nicht anders. Ich hasse auch telefonieren. Viel zu anstregend und ich habe immer das Gefühl, als müsste ich lauter reden als für gewöhnlich. Außerdem kommt man sich ständig in die Quere. Quatscht immer rein beim anderen weil man seine Mimik nicht sehen kann und daher nicht weiß, wann er ansetzt zu reden. In meinen vorigen Jobs fand ich telefonieren auch immer am nervigsten.

  5. Ich kann mich auch gleich in die Reihe der Nicht-Telefonierer einreihen 😀 Fremde Leute anrufen oder von Fremden angerufen werden – Herzklopfen garantiert. Und Verhaspeln. Und schlechte Grammatik wegen Nervosität…usw..
    Aber ja, gehört leider manchmal dazu 😉
    (Ist übrigens „live“ nicht anders mit Fremden. Ich bin einfach furchtbar schlecht im Smalltalken…)
    LG Sandra

  6. Die Angst vor dem Telefonieren kenne ich. Früher war es schlimmer als heute, aber auch heute, kostet es mich manchal Überwindung jemand Fremdes anzurufen. Meine Angst bezieht sich fast ausschließlich, auf Telefonate mit fremden Personen. Leute, die ich kenne, kann ich ohne Probleme anrufen und es macht mir oftmals auch nichts aus, wenn ich angerufen werde, aber diese Angst, fremde Menschen anzurufen, finde ich oftmals sehr hinderlich, gerade im Beruf, hat mich das schon viel Aufregung und schlechte Gefühle beschert.

    • Irgendwie ist es doch beruhigend, dass es scheinbar vielen Leuten so geht. Vielleicht auch der Person am anderen Ende der Leitung… ?

  7. oh, oh – hier, hier! Ich auch. Jetzt weiss ich wie das heisst: Telefonschwäche. Das muss ich mir merken 🙂

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