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Mehr Meta, bitte!

Aus Selbstschutz ignoriere ich normalerweise Talkshows, aber nach der letzten US-Wahl war ich so hyped und nachrichtensüchtig, dass ich Maybritt Illner geguckt hatte. Da saß der deutsche Unternehmer Martin Richenhagen, der schon länger in den USA lebt und arbeitet. Das ist so ein Typ, der quatscht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Ich finde das immer sehr beeindruckend, da ich selber gar nicht so bin (aber dazu später mehr).

Jedenfalls hatte dieser Unternehmer Trump persönlich getroffen und sagte über ihn: „Dieser seltsame Mensch! Ich hab ja selbst keine Haare […], aber wenn man so rumläuft, da muss man sich doch die Frage stellen, hat der keine Familie, die mal sagt: Pass mal auf, Junge, so kannste nicht RAUSGEHEN! […] Also, das ist ein ganz seltsamer Mann und der gehört einfach nicht an die Spitze irgendeines Landes oder auch irgendeiner großen Firma.“ Mich hat’s richtig weggehauen vor dem Bildschirm, ick hab ma nen Ast jelacht. Endlich spricht’s mal einer aus! Der Kaiser ist nackt, er hat ne bescheuerte Frise und komplett einen an der Waffel.

Die Frage, die ich mir stelle, ist: Wieso gab es in der Trump-Ära so wenige Leute, die mal Tacheles geredet haben? Klar, die Karrierist*innen und Apparatschiks, die sich in die Trump-Administration eingeschlichen hatten, wollten es sich natürlich nicht mit ihrem Oberhäuptling verderben. Aber auch bei der Presse gab es nur wenige Leute, die mal die richtigen Fragen oder Statements gebracht haben.

Warum hat niemand gesagt: „Mr Trump, Sie lügen doch schon wieder. Letztens haben sie A gesagt, jetzt sagen sie B.“ oder „Das mit der Mauer, das ist doch eine ganz große Wählerverschaukelung.“ oder „Wir können alle erkennen, dass Sie da einen großen Stapel leerer Blätter vor sich liegen haben. Worüber möchten Sie mit dieser schlechten Inszenierung eigentlich hinwegtäuschen?“

Wenn sich jemand getraut hat, waren das oft Frauen, so wie diese Journalistin im Weißen Haus. Nachdem der damalige Präsident mal wieder seine Pandemiebekämpfung gelobt hatte, stellte sie fest, was er alles nicht oder viel zu spät getan hatte. Und Trump? Sprang in seiner Hilflosigkeit sofort auf die Metaebene: „Sie sind respektlos!“ Eine Antwort bekam die Reporterin nicht, aber die von ihr genannten Fakten liefen über das landesweite Fernsehen.

Der Kaiser ohne Kleider

Wer diese „Der-Kaiser-ist-nackt“-Technik sehr gut beherrscht: die Ukrainer*innen. Oder überhaupt die Osteuropäer*innen. Ich nenne es Ostblock-Klartext. 😀 Angefangen mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, der Steinmeier als „beleidigte Leberwurst“ bezeichnete. Nicht die feine englische Art und ganz sicher fernab aller diplomatischer Gepflogenheiten – aber er traf damit den Nagel auf den Kopf. Mir ist sowas total sympathisch, da ich ja auch so meine Erfahrungen mit dem Gerede um den heißen Brei habe.

Auch in Georgien spricht man Ostblock-Klartext. In Bars und Restaurants werden die „emigrierten“ Russ*innen mit einem Fragebogen begrüßt: Wie hältst du’s eigentlich mit Putin? 😀 Und: Es ist deine verdammte Pflicht, wenigstens hier, in einem demokratischen Staat, gegen den Krieg zu protestieren, den dein Land begonnen hat. Ja, so sieht’s aus, und statt peinlich berührt drumherumzuschweigen, packen die Georgier*innen den stinkenden Fisch auf den Tisch.

Metakommunikation

Klartext scheint auch ganz gut gegen Propaganda zu funktionieren. Wenn Putin wieder irgendetwas Verrücktes behauptet, sagen die Osteuropäer*innen: „Ach, er lügt schon wieder.“ Ohne auf den Inhalt einzugehen. Damit „impfen“ sie die naiven Westler*innen auch für die Zukunft. Putin lügt und wird immer wieder lügen*, genau wie Trump. Indem man das Lügen benennt, begibt man sich kommunikationspsychologisch gesehen auf die Metaebene: Man spricht die Kommunikation selbst an – Kommunikation über die Kommunikation also.

In einem meiner Seminare stelle ich Metakommunikation sogar vor, aber ich selbst wende sie eher selten an. Es ist schon ein Tabubruch, wenn man plötzlich von außen auf die Situation schaut und die Frage stellt: Moment, was passiert hier eigentlich? Es bedarf einiger Kraft, sich aus der momentanen Situation rauszuziehen und Kommunikation oder Verhalten zu thematisieren. Die Situation hält einen irgendwie fest, so erlebe ich das jedenfalls.

Als bei den Midterms eine CNN-Journalistin die republikanische Kandidatin Kari Lake fragte, ob sie auch eine Wahlniederlage anerkennen würde, antwortete sie: „Ich werde diese Wahl gewinnen und ich werde das Ergebnis akzeptieren.“ Als die Journalistin die Frage nochmals stellte (schließlich hatte sie keine Antwort bekommen), wiederholte Lake einfach diesen Satz, Wort für Wort. Das war sehr skurril anzusehen.

Das Merkwürdige war, dass die Journalistin nicht darauf reagierte. Entweder war sie geschockt über die Antwort – Kari Lake ist aber eigentlich bekannt als Anhängerin von Trumps Wahllüge. Oder sie wollte einfach nicht unhöflich sein. „Haben Sie einen Sprung in der Platte?“ wäre eine mögliche, aber sicher unangemessene Reaktion. 😀

Sie hätte ein drittes Mal nachfragen können – und zwar auf der Metaebene: „Entschuldigung, aber Sie wiederholen sich. Außerdem haben Sie meine Frage immer noch nicht beantwortet. Werden Sie eine Wahlniederlage anerkennen?“ Damit hätte sie das Verhalten von Lake thematisiert, und wäre dann wieder zum Inhalt zurückgekommen.

Wir alle wissen, dass es ab der dritten Nachfrage unangenehmn wird. Dennoch, als Journalistin sollte man darauf trainiert sein. Jedenfalls hätte ich sehr gern gewusst, was auf die dritte Nachfrage passiert wäre. Hätte die Kandidatin den absurden Satz ein drittes Mal wiederholt? Wäre sie ins Stottern gekommen? Oder aufgestanden und gegangen?

Apropos aufstehen und gehen: Klaus Kinski war ein Meister der Metaebene, wie man in diesem TV-Interview sieht. Als Ex-Fernsehtante weiß ich natürlich, wie unangenehm es ist, wenn Fragen nicht beantwortet werden. Und auch wie schwer es ist, sich originelle Fragen zu überlegen. Dennoch hält sich mein Mitleid mit der Reporterin in Grenzen.

Kinski ist bekanntlich öfters verbal entgleist, aber häufig eben auch nachvollziehbar. Wenn man ihm genau zuhört, fällt auf, wie oft er die Kommunikation thematisiert: „Warum stellen Sie mir diese Frage? Hören Sie mir eigentlich zu? Ich will Ihnen antworten auf Ihre Fragen. Lassen Sie mich ausreden. Warum haben Sie den Auftrag, dieses  Interview zu machen?“

Wer auf die Metaebene geht, spielt nicht mehr mit – und steigt aus. Es wird keine gute Miene zum bösen Spiel mehr gemacht. Das kann man konfrontativ angehen wie Kinski oder auch respektvoll. Ein schönes Beispiel für Letzteres ist Maja Göpel, die in der Talkshow mit Jörg Thadeusz darauf hinweist, man angesichts der Klimakrise die Wissenschaft endlich mal ernstnehmen sollte. Ein höflicher Rant – das muss man erst mal hinkriegen. Und der rote Kopf des Moderators spricht für sich.

Metakommunikation trauen sich nicht viele, aber mir scheint sie bitter nötig. Ein beherztes „Was machen wir hier eigentlich gerade?“ oder „Wie reden Sie eigentlich mit mir?“ kann ein Gespräch entweder sprengen oder retten. In diesem Sinne nehme auch ich mir vor, mehr Meta zu wagen.

* Putin lügt – genau wie Trump – auch da, wo es gar nicht nötig ist. Vielleicht wird das irgendwie zur Gewohnheit. So behauptete er auf einer Veranstaltung, er habe der weltweit ersten Operation am offenen Gehirn beigewohnt, bei der die Patientin wach und ansprechbar war. Natürlich in Russland. Ich musste lachen, denn aus dem Studium weiß ich, dass diese OP-Technik ungefähr 20 Jahre alt ist. Die Wachkraneotomie wird verwendet, um sicherzugehen, dass das Sprachzentrum oder motorische Hirnareale bei der OP nicht verletzt werden.

Photo by Kvnga on Unsplash

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10 Kommentare

  1. Danke für diesen guten Text. Ich lese dich immer wieder mit Vergnügen. Grüße aus Berlin!

    • Danke, das freut mich. Ich denk ja immer, das liest eh keiner. 😉

      • Lissy

        Doch, ich zum Beispiel auch – und zwar immer sehr gerne. Auch diesmal wieder freue ich mich über schöne Gedanken und gute Links!

      • Mira

        Wie, „das liest eh keiner“ – Deine Texte sind die Besten!!! Ich freue mich jedes Mal, etwas von Dir zu lesen. Viele Grüße vom Chiemsee!

  2. Emm

    Das resoniert gerade sehr mit mir, gefühlt rede ich immer klartextiger. Doch der Ah-Moment, in dem alle sich trauen zuzustimmen, tritt nicht so ein wie im Märchen. Vielleicht funktioniert es dann, wenn die Macht schon schwindet (Trump), und man sich der Unterstützung der Umgebung sicher sein kann (Georgien)?
    Es ist sehr spannend, wie sehr in unserer Kultur verankert zu sein scheint, wohlwollend, nicht zu kritisch, mit anderen umzugehen, nicht direkt zu konfrontieren, etwa wenn gelogen wird. Die Beispiele aktuelle Trump-Kritiker und Georgien brauchen imo weniger Mut als die aus direkten Gesprächen, in denen, wie bei Trump, ein persönlicher Angriff kommt, bei Thadeusz interessanterweise nicht, was für grundsätzliche Reflexionsfähigkeit spricht.
    Danke!

  3. Danke für diesen Appell für mehr Courage und wenig „wohlerzogene Kommunikation“. Wir lernen Respekt statt zu hinterfragen. Und wenn man dann doch mal nachfragt, was das Ganze soll, erntet man allzu oft Phrasen. Das ist nicht nur in der Politik so, auch im Berufsleben. Keine Ahnung, warum sich niemand traut. Ich musste allerdings auch erst die Fünfzig überschreiten und mir eine Portion „egal, was kommt“ zulegen, um nachzufragen und zu konfrontieren. Früher hat man mich mal gewarnt, es könnte mich den Job kosten…

  4. Rolf

    na dann sind wir schon zwei Leser 😉

  5. Esther

    Also, ich lese auch – nicht nur Bücher, sondern immer wieder auf’s köstlichste ammüsiert deinen Newsletter! So, wie du schreibt keine …weiter so, Lydia! Gruß Esther aus Weilheim

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