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Wenn der Kunde dreimal klingelt

Manchmal geh ich schon länger mit einem Thema schwanger – und dann lese ich etwas, das mich so provoziert, dass es quasi zu einer Spontangeburt kommt: Unternehmen sollen sich lieber um ihre Kunden kümmern, statt mit den Mitarbeitern Ringelpietz mit Anfassen zu veranstalten. Ernsthaft, Lars Vollmer? Also, los!

Jedes, aber wirklich jedes Unternehmen schreibt sich auf die Fahne, kundenfokussiert zu sein. De facto sind es die wenigsten, zumindest in Deutschland.

Für mich ist das ein Herzensthema – denn hey, ick bin ja selber Kunde! Und meine alten Eltern, meine Freunde, irgendwelche Menschen wie Du und ich. Außerdem hab ich so ne Gerechtigskeitsmacke.

Deshalb fuchst es mich, wenn ich erleben muss, wie beschissen Kunden behandelt werden. Das fängt an mit einem Telekommunikationsanbieter, der mal eben „den Kommunikationsweg E-Mail abgeschafft hat“, dafür aber megacool auf Twitter zu erreichen ist.

Ähm, ja. Nix gegen Twitter – ich liebe den Laden, seit ich da selber mitspiele. Aber Twitter-Nutzer darf man in Deutschland ja wohl getrost als Minderheit bezeichnen. E-Mail hat dagegen fast jeder. Und genau deshalb machen die den Kanal dicht. Die Botschaft ist klar: „Belästigt uns nicht, Ihr Nervbacken!“

Ähnlich hält es eine Billigfluggesellschaft, die es fertig bringt, ihren Kunden für jeden Anruf 13 Euro (!) abzuknöpfen. Allerdings nur, wenn der Anrufer sein Anliegen auch selbst auf der Website hätte erledigen können. Ein quasipädagogischer Ansatz: „Wir erziehen Dich schon dahin, wo wir Dich haben wollen, Freundchen!“

Wie wär’s denn, wenn man dem Kunden nicht vorschreibt, über welchen Kanal er Kontakt aufzunehmen hat, sondern ihm alle üblichen Kanäle anbietet? Und die dann je nachdem, wie sie genutzt werden, ausbaut? Das nennt man „auf die Bedürfnisse des Kunden eingehen.“

Beide hier aufgeführten Unternehmen haben es übrigens fertiggebracht, Loops in ihre Websites einzubauen. Wenn man nach dem Kundenkontakt (konkret: der Hotline) sucht, kommt man immer zu demselben Link, der einen dann dahin zurückführt, wo man gerade herkommt.

So treibt man seine Kunden gekonnt in den Wahnsinn. Und die armen Call-Center-Mitarbeiter müssen es ausbaden, wenn der Kunde schon zu Beginn des Gesprächs auf 180 ist.

Ich stelle mir das ja so vor: Ein paar Manager des Telekommunikationsanbieters sitzen zusammen und designen die Customer Journey:

Meier: „Also, angenommen, beim Kunden funktioniert das Internet nicht.“
Meier: „Dann könnte er uns vom Smartphone aus eine E-Mail schicken, aber…“
Schulze: „…diesen Kommunikationsweg haben wir abgeschafft!“
Müller: „OK, dann muss er uns vom Handy aus anrufen. Weil, dank Voice-over-IP geht ja wahrscheinlich sein Festnetztelefon auch nicht mehr, hehe.“
Müller: „Aber auf der Homepage findet er unsere Telefonnummer nicht, weil…“
Meier und Schulze skandieren: „Loop! Loop! Loop!“
Müller: „Und wenn er die Nummer doch irgendwie rausgekriegt hat: Düdeldü, Ihre Wartezeit beträgt 45 Minuten.“
*Meier, Müller und Schulze klatschen sich ab*
Müller: „Dafür sind wir auf Twitter. Da reißen wir ein paar coole Sprüche und alle liken uns.“
Drei Wochen später…
Schulze: „Frau Fischer aus dem Call Center ist schon wieder ausfällig geworden gegenüber einem wütenden Kunden. Die braucht dringend eine Schulung. Die hat das wohl immer noch nicht begriffen mit dem Kundenfokus.“

Wobei – immerhin redet diese fiktive Manager-Dreigestirn über den Kunden. Ich musste ja in meinem Unternehmen feststellen, dass der Kunde in den Meetings gar nicht erwähnt wurde. Stattdessen ging es um Zahlen und Prozesse.

Und wie Ardalan Ibrahim es in seinem Blog so schön formuliert hat:

Spielen der Kunde und seine Bedürfnisse in der alltäglichen Kommunikation keine Rolle, dann KÖNNEN der Kunde und seine Bedürfnisse für das Unternehmen keine echte Bedeutung haben.

Wohlgemerkt: Das gilt für die Führungsriege. Da, wo man täglich mit den Kunden zu tun hatte, gaben sich die Kollegen in der Regel große Mühe. Vor allem mussten sie den Unsinn, der von oben kam, ja irgendwie auffangen. 😛

Hier mal zwei Beispiele, wie man Kunden nicht behandelt:

  1. Wegen einer IT-Umstellung müssen übers Wochenende (genauer gesagt Freitag bis Sonntag) alle Computer ausgeschaltet werden. Das bedeutet, dass das Call Center nicht wirklich arbeiten kann, denn sie brauchen Computerprogramme, um den Anrufern Auskunft gegeben zu können.Die gemeinsame Lösung der „kundennahen“ Abteilungen: Wir schalten einen Anrufbeantworter auf der Hotline. Schöner Nebeneffekt: Die Call-Center-Mitarbeiter können zu Hause bleiben und Überstunden abbauen.Der letzte Satz zeigt eigentlich schon die Denke: „Was ist gut für uns?“ statt „Was ist gut für den Kunden?“Nicht nur, dass es für ein Dienstleistungsunternehmen im 21. Jahrhundert absolut Banane ist, drei Tage lang einen Anrufbeantworter laufen zu lassen – es gibt ja schließlich sowas wie Wettbewerber, die sogar rund um die Uhr und kostenlos erreichbar waren. (Auch so ein Thema…) Es ging in dem betroffenen Business auch nicht um Schrauben oder Kunstdünger, sondern mitunter um Leben und Tod.Auflösung: Obwohl sich die meisten Entscheider keiner Schuld bewusst waren, konnte diese Aktion verhindert werden. Stattdessen waren an den drei computerlosen Tagen Kundenberater am Telefon, die aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung zumindest zu Standardthemen Auskunft geben konnten – auch ohne Computer.
  2. Eine Niederlassung soll geschlossen werden. Nicht schön, aber angeblich rechnen sich ja echte Kundenberater in echten Gebäuden nicht mehr. (Übrigens habe ich noch nie eine Kalkulation gesehen, die das beweist. Könnte also auch ein BWLer-Märchen sein.)Das Besondere: Die Mitarbeiter bleiben in dem Gebäude der Niederlassung, betreuen dort aber keine Kunden mehr, sondern machen „Backoffice“. Ach ja, und das Ganze tritt zum 1. April in Kraft – das nur am Rande. :DWie geht man nun mit einer so unschönen Situation um? Die Entscheidung von ganz oben war: Ihr schließt einfach die Tür ab und macht nicht mehr auf. (Nachfrage an Oberhäuptling: „Wir sollen uns also vor unseren Kunden verbarrikadieren?!“ Oberhäuptling: „Ja.“)  Anständig informiert, also persönlich angeschrieben, wurden die Kunden ebenfalls nicht. Zu teuer.Was passierte also? Die Kunden kamen wie gewohnt in ihre Filiale, klingelten Sturm und wollten ihre dringenden Anliegen bearbeitet haben. Zeitweise war es so schlimm, dass die Mitarbeiter sich vor lauter Gebimmel kaum auf ihre Papierberge konzentrieren konnten.

    Einige Kunden hatten eine längere Anreise aus dem Umland hinter sich, einige waren alt und gebrechlich. Andere riefen verzweifelt von ihrem Handy (zum Schweinetarif) bei der Kundenhotline an. (Und nein, da lief kein Anrufbeantworter. 🙂 ) Aber die Call-Center-Mitarbeiter am anderen Ende Deutschlands konnten auch nicht weiterhelfen.

    Und die Mitarbeiter? Schlichen sich durch den Hintereingang an den Kunden vorbei, die bis vor wenigen Tagen noch „im Mittelpunkt gestanden“ hatten.
    Auflösung: Keine.

Was war mit diesen Mitarbeitern los? Ganz einfach: Man hatte ihnen (selbstverständlich ohne sie zu fragen oder gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten) ihre Kunden weggenommen. Einige waren vielleicht ganz froh drüber – andere frustriert, dass sie nur noch Papierberge abarbeiten sollten. In diesem emotionalen Zustand und mit dem Wissen, dass der Chefetage ihre Kunden egal waren, zeigten auch sie ihnen die kalte Schulter.

Was hätten sie denn tun sollen? Entgegen der Anweisung Kunden hereinbitten? Theoretisch wäre das möglich gewesen – nur hatten sie gar keine Zeit mehr, die Kunden zu beraten, da sie ja mit anderen Aufgaben zugeschüttet worden waren. Einmal mehr verhält der Mensch sich intelligent im System… :/

An dieser Stelle wird es für mich deutlich: Beim Mitarbeiter fängt es an. Virgin-Gründer Richard Branson sagt:

Mitarbeiter kommen zuerst. Wenn man sich gut um seine Mitarbeiter kümmert, kümmern die sich gut um die Kunden.

Das sehe ich auch so. Denn wenn ein Unternehmen schon für die eigenen Leute weder Interesse noch Empathie aufbringen kann, ihre Bedürfnisse, Talente und Wünsche ignoriert und ihre Grenzen überschreitet – wie soll es dann mit dem Kunden klappen?
Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen:

Liebe Deine Mitarbeiter, so wie Du auch liebst Deine Kunden.

Alles andere kommt von selbst.

Foto: Littlevisuals.com. In memory of Nic Jackson.

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5 Kommentare

  1. Wie wahr! Aber die 13 Euro der Flugzeuge hat mich endlos sprachlos gemacht. Mir hängt die Kinnlade noch immer bis zum Knie.

  2. Skully

    Das alles sind Auswirkungen der Theorie der Wirtschaftsunis und Fachhochschulen – egal welche und in welchem Land. Es werden gut ausgebildete BWLer zu Niedriglöhnen in Entscheiderjobs gesetzt, unter Kostendruck gebracht um ihre tolle Theorie umzusetzen. Erfahrungen des Unternehmens bzw. langjähriger Mitarbeiter sind dabei nicht gefragt.
    M. E. müssen wir die Ausbildungen derer erheblich anpassen. Das duale Studium ist ein Ansatz dazu.
    Als der letzte KPMG Fuzzie mit seinen 23 Lenzen in fünf Minuten meinen Arbeitsplatz abfrühstücken wollte, habe ich die Bürotür hinter ihm abgeschlossen. Er war zwar etwas bleich, aber nach einer Stunde Monolog meinerseits über meine Arbeit, war er sichtbar nachdenklicher.
    Vielleicht sollten wir alten Hasen das als Revolution ausrufen und immer so mit den Bürschchen machen.

  3. […] übernahm nur noch einen kleinen Teilbereich der Kundenberatung. Dadurch gab es jede Menge Schnittstellen. Keiner wusste mehr genau, wer wofür verantwortlich war. […]

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