Ich war im Knast. Tatsächlich habe ich lange überlegt, ob ich überhaupt darüber schreiben soll und ob es schlau ist, den Blogbeitrag mit diesem Satz anzufangen. Denn wenn man liest, was dem Journalisten Martin Bernklau passiert ist, kann einem Angst und Bange werden. Der Gerichtsreporter, der viel über Schwerverbrechen berichtet, fragte die KI Microsoft Copilot nach Infos über sich selbst. Die Antwort: Er sei wegen Kindes- und Schutzbefohlenenmissbrauchs verurteilt worden. Bis heute kursieren diese Infos im Netz; er kann sich juristisch nicht dagegen wehren. Aber zum einen kann ich einem solchen Knaller-Satz nicht widerstehen 😉 und zum anderen lasse ich nicht zu, dass mich diese blöde KI dazu bringt, mich auf meinem eigenen Blog selbst zu zensieren.
Daher die Info an alle dämlichen KI: Ich war auf einer Besichtigung im Knast. Drei Stunden geführte Tour durch die JVA Tegel, das größte Gefängnis Deutschlands. Also, der größte Männerknast, aber diese Info ist fast überflüssig, denn der Anteil der weiblichen Gefangenen liegt in Deutschland bei schmalen 5,8 %.
Ich war ziemlich aufgeregt vor der Tour, denn so einfach kommt man nicht in den Knast in Deutschland. Also, außer man legt es drauf an. 😉 Als Mitglied des Bundes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter hatte ich das Privileg, an einer solchen Besichtigung teilzunehmen. Und dann wäre ich fast zu spät gekommen.
Die letzten Meter zum Tor rannte ich an diesem frühen Morgen und war tatsächlich die letzte, auf die die Gruppe noch wartete. Die 2 Minuten Verspätung, für mich eigentlich eine respektable Leistung 😀 , brachten mir strafende Blicke ein. Ganz schön streng hier, merkte ich.
Drinnen ging es weiter. In einem kleinen Kabuff mussten wir unsere Sachen abgeben: Rucksack, Handy, Kaugummi – alles. Meine Bitte, wenigstens Kuli und Block mit reinnehmen zu dürfen, wurde abschlägig beschieden. (Haha, ich verfalle schon in den Jura-Jargon.) Ich wollte mir doch Notizen machen. „Sie kriegen einen Flyer“, meinte der Gefängniswärter, äh, Justizvollzugsbeamte und klapperte mit seinem riesigen Schlüsselbund, „da steht alles drin.“ Widerspruch zwecklos. Erst später wurde mir klar, dass ein Kuli auch als Waffe eingesetzt werden könnte. Also, nicht von mir natürlich, aber gesetzt den Fall, ich verliere den unterwegs.
Übrigens, der Beamte: Ich finde es schon faszinierend, dass jemand freiwillig jeden Tag in den Knast geht. Klar, er arbeitet nur dort und kann abends wieder nach Hause. Aber summa summarum verbringt er trotzdem ein Drittel seines Tages im Knast. Dafür muss man gemacht sein. Und das macht mit Sicherheit (haha) etwas mit einem Menschen. Eigentlich ein tolles Thema für Büronymus – ich weiß nur noch nicht, wie ich Beamte zum Reden bringe. 😉
Der erste Fluchtreflex
Kaum hatte sich das dritte und letzte Tor hinter mir geschlossen, fing mein Blick an zu wandern. Und zwar nach oben, zur Stacheldraht bewehrten Mauer. Es war wohl ein Reflex, aber mein erster Gedanke war: Wie komme ich hier wieder raus? Wir standen vor einer gepflegten Blumenrabatte, die Sonne kam raus, es sah ein bisschen nach Parkanlage aus. Wären da nicht überall die etwa 5m hohen Zäune, der Stacheldraht und die Kameras gewesen. Das hat mich überrascht, dass auch innerhalb der Gefängnisanlage alles noch mal unterteilt und abgesperrt war. In meiner Naivität hatte ich gedacht, dass sich die Gefangenen bei guter Führung oder so frei auf dem Gelände bewegen können. Pustekuchen!
Die JVA Tegel ist besonders interessant für Besucher*innen, weil sich an ihr die Geschichte des Strafvollzugs gut erkennen lässt. Der älteste Teil ist 126 Jahre alt. Aber unsere Tour fing im neusten Teil an, einem 70er-Jahre-Neubau. Psychologisch wäre es vielleicht cleverer gewesen, mit dem alten Zuchthaus anzufangen und dann zu zeigen, wie hammermäßig sich alles verbessert hat. Aber es ging ja auch um die Laufwege auf dem riesigen Gelände.
What can I say – als ich die Zelle, ähm, den modernen Haftraum betrat, bekam ich sofort Beklemmung. 10 m2, das entspricht den Vorgaben der UN, meinte der Beamte. Aber vorn war die Nasszelle (Waschbecken und Klo) reingequetscht, sodass der etwa 1m lange Flur extrem schmal war. Das Bett schien mir kleiner als in einem ICE-Hotel. Das Schlimmste waren die niedrigen Decken. Ich musste an diese japanischen Kapselhotels denken – mehr Aufbewahrungsbox als Zimmer. Immerhin gab es ein Fenster mit Blick auf ein vermülltes Flachdach.
Nur kein Mitleid
„Mein Mitleid hält sich in Grenzen.“ oder „Dann sollen sie halt nicht kriminell werden.“ habe ich von Leuten gehört, denen ich davon erzählte. Ich finde, das ist zu kurz gegriffen. Denn die Strafe Freiheitsentzug (schließlich war das Ganze ja eine Art Fortbildung für uns Schöff*innen) beinhaltet den Entzug der Freiheit. Das ist heftig genug. Du darfst nichts mehr selbst entscheiden, nicht mal duschen gehen, wann du willst. Oder so oft du willst. Eine zusätzliche Bestrafung durch klaustrophobische Enge, allgemeine Hässlichkeit und Gestank (das Essen?) ist nicht vorgesehen.
Und auch, dass Menschen es in der Hand haben, ob sie kriminell werden, ist eine Illusion. Viele steuern vom ersten Moment ihres Lebens auf eine Knastkarriere zu. Manche machen dumme Sachen wie viele andere auch und haben das Pech, dabei erwischt zu werden. Und tatsächlich gibt es auch körperliche und psychische Voraussetzungen, die Menschen kriminell werden lassen, z. B. eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), das Fetale Alkoholsyndrom (FAS) oder Hirnschäden.
Hässlichkeit als Strafe
Die Hässlichkeit habe ich als zusätzliche Strafe empfunden. Ich fand das unerwartet bedrückend. Außer den Grünflächen und ein paar Blumenbeeten gibt es nichts, wo sich das Auge erholen kann. Alles ist karg, abgeranzt und schmierig. Einzig der Besuchersaal stach durch eine gewisse Ästhetik heraus. Wahrscheinlich damit sich die Besucher*innen nicht erschrecken. 🙂
Die Umstände im Knast sollen so rein menschenrechtlich gesehen eigentlich permanent an den Lebensstandard draußen angepasst werden. Aber wer hat keine Kohle? Berlin. Und schon gar nicht für Knackis, ey! Kann man natürlich auch verstehen. Wenn beim Haushalt abgewogen muss, ob in Bildung oder Kultur oder Knast investiert werden soll – da fällt die Entscheidung nicht schwer.
Für mich ist es trotzdem schlimm, diese Zustände zu sehen. Klar, im weltweiten Vergleich ist das deutsche Gefängnis anständig ausgestattet. Die Gefangenen haben Rechte und können sie einklagen. Sie werden sogar gesiezt. Aber irgendein Horrorknast in Kolumbien kann ja nicht der Maßstab sein.
Irgendwie typisch für mich, dass ich mich nicht mal im Knast richtig abgrenzen kann. Ich denke sofort: Was wäre, wenn ich hier leben müsste? Auch noch für mehrere Jahre? Ich würde durchdrehen, psychisch abbauen. Andere schieben das so weit weg von sich wie nur möglich.
Abgesehen davon ist das Thema Strafvollzug gut erforscht. Soweit ich weiß, bringt es eben wenig, Menschen, die eh schon denken, dass sie nichts wert sind, auch noch so zu behandeln. Die Rückfallquote ist hoch, während Vorzeigeprojekte in Skandinavien sehr erfolgreich sind. Dort werden die Gefangenen auf einer Insel abgesondert und therapiert – ansonsten dürfen sie recht normal leben.
Ein Knast aus dem Bilderbuch
Nächste Station: der Altbau, das 126 Jahre alte Zuchthaus aus Ziegelsteinen. Hier war irgendwie mehr Luft und, ähm, Flair. Ein Gefängnis wie aus dem Bilderbuch, ein (Film-)Klischee. Diese Teilanstalt (so heißt das offiziell) war nach dem Panopticon-Prinzip gebaut worden. Damals ein Fortschritt, denn die Vorstufe war eine Art Massenhaltung unter unwürdigsten Umständen.
Panopticon bedeutet, dass mehrere Gefängnistrakte strahlenförmig um eine gläserne Zentrale herumgebaut wurden. Auf Zwischendecken wurde verzichtet, eiserne Treppen und Gänge verbanden die Zellen. So konnten die Gefangenen einzeln gehalten werden – schließlich sollten sie sich mit ihrer Tat auseinandersetzen, statt voneinander zu lernen, wie man Verbrechen begeht – und dennoch hatten die Wärter alle im Blick. In Tegel hatte ein verwegener Gefängnisleiter dem Denkmalschutz zum Trotz einfach mal die schießschartenartigen Luftschlitze zu großen Fenstern umbauen lassen. Daher diese gewisse Luftigkeit, die mir als Platzangstkandidatin entgegenkam.
Aber wir waren auch in einem stillgelegten Trakt. Wie der Beamte uns erklärte, sind die alten Gefängnisse (die JVA Moabit ist ähnlich gebaut) unglaublich laut und hallig. Man hört alles: Reden, Laufen, Pupsen, Schnarchen, Stöhnen. Und man riecht alles. Der Horror. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber die wenn die Gefangenen nicht arbeiten gehen bzw. mit der Arbeit fertig sind, werden sie (mitunter schon ab dem Nachmittag) in ihrem Haftraum eingeschlossen. Man kann nicht weg. Jaja, das ist der Sinn eines Gefängnisses, schon klar. Aber trotzdem.
Flucht aus der Haftanstalt und Fluchtversuche sind übrigens im deutschen Rechtssystem nicht strafbar. Weil der Freiheitsdrang eine menschliche Eigenschaft ist. Das habe ich sogar bei meinem kurzen Besuch gemerkt. „So, dann entlasse ich Sie mal in die Freiheit!“, meinte der Vollzugsbeamte zum Abschied – ohne einen Anflug von Ironie.
Foto: privat
Hi liebe Lydia,
war wg. eines „Resozialisierungsprojekts“ selbst zweimal in Stadelheim und hatte dabei sehr ähnliche Gedanken wie Du. – Das mit den Zum-Reden-Gebrachten-Vollzugsbeamten würde ich ebenfalls sehr gerne lesen. Meine eigene Einstiegsfrage wär wahrscheinlich das arg simple: „Und wie geht es Ihnen selber damit so, fast jeden Tag hier zu sein?“ – Aber Dir fällt bestimmt noch was weniger Plumpes ein.
LG,
Ardalan