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Heute wieder nix geschafft

Diesen Satz sag ich mir fast jeden Abend. Das ist negative self-talk, der einen gar nicht weiterbringt. Und doch ist der Gedanke hartnäckig. Meine Tage sind eigentlich recht ausgefüllt, wenn ich nicht gerade krank bin und den ganzen Tag auf dem Sofa hängen muss. Wenn man selbstständig ist und zu Hause arbeitet, verschmelzen berufliche Projekte und Haushaltsarbeiten und die Pflege Angehöriger und Hobbys. Ich finde das gut – das Leben fühlt sich ganzheitlicher an.

Diese Homeoffice-Tipps, die jetzt im Netz kursieren, sind zum größten Teil Quatsch. Man muss sich ja immer bewusst sein, dass sowas von irgendwelchen Praktikant*innen geschrieben wird, die das wiederum aus dem Netz abschreiben oder sich aus den Fingern saugen – und keineswegs von Leuten, die tatsächlich Erfahrung damit haben.

Bzw. machen diese tollen Tipps alle Vorteile von Homeoffice zunichte, als da wären: ausschlafen, bequeme Kleidung tragen, nach dem eigenen Biorhythmus arbeiten, zwischendurch bewegen (ja, auch mal putzen!). Zum geheimen Homeoffice-Bonus hab ich ja schon alles gesagt. 😉

Dennoch verschwimmen die Tage irgendwie zwischen Wäsche waschen, aufhängen, wegräumen, Balkon bepflanzen, Bücher lesen, Übersetzungen, Videos und Netflix schauen, Angebote und Rechnungen schreiben, fürs Studium lernen, Rechnungen bezahlen, auf Twitter rumhängen, kochen, Gartenarbeit, am Buch weiterschreiben, telefonieren, zoomen. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten Leistungen des Tages unbezahlt bleiben. Diese ganze Leistung-gegen-Geld-Nummer erscheint mir immer mehr an den Haaren herbeigezogen. Wie viel ist ein Vortrag wert? Ein Text? Oder ein Buch?

Menschen in meinem Umfeld bekommen Kurzarbeitergeld, Hartz IV, Rente, Pflegegeld. Ich selbst habe den Corona-Zuschuss des Landes Berlin bekommen. Wir kriegen also Geld, ohne eine Leistung dafür zu erbringen, damit wir unsere Fixkosten halbwegs decken und bisschen konsumieren können. Aber natürlich halten gerade alle die Kohle zusammen. Wie soll das auf Dauer weitergehen? Können wir bitte das Grundeinkommen haben? Das macht so viel Sinn.

Neulich habe ich meinen Fuckup-Vortrag per Zoom gehalten. Ich dachte, es macht mir nichts aus, da ich ja früher bei meinen Youtube-Lesungen auch ins Nichts gesprochen habe. Aber es war merkwürdig, fast schon unangenehm zu wissen, dass das Publikum live dabei ist, und trotzdem keine Reaktionen zu bekommen. Gerade bei so einem Thema, wo man sich quasi nackig macht. Es kommt keine Stimmung auf, es findet kein Energieaustausch statt.

Die ganzen Künstler*innen, die gerade ins Leere streamen, tun mir echt leid. Bei diesem Vortrag von mir gab es immer den fast schon therapeutischen Effekt, dass man sein Leid mit dem Publikum teilt. Der blieb diesmal aus – auch wenn das Feedback gut war. Hinterher war ich völlig ausgelaugt. Vielleicht war es das letzte Mal, dass ich darüber gesprochen habe. Irgendwann ist auch mal gut. Ich würde lieber über Burnout und Stress als Killer sprechen oder über meine Stimmbandlähmung und die psychischen Folgen von Krankheit.

Mir fehlt Natur extrem. Der Plan, den Rest meines Lebens in der Natur zu verbringen, verfestigt sich immer mehr. Die Vorteile der Stadt, von denen jetzt viele wegfallen (ÖPNV, Kulturangebot, Kneipen), nutze ich eh kaum. Die Nachteile zerren an meinen Nerven: der Lärm (im Nachbarhaus wird gerade das Dachgeschoss ausgebaut und die Kreissäge ist mein täglicher Begleiter), die soziale Dichte (draußen ist es ein nerviger Tanz um die Leute, die nicht wissen, was 2 Meter sind) und natürlich die Unfreundlichkeit. Die wird durch das Maskentragen nicht besser, denn man sieht nicht, ob jemand lächelt. Wobei das in Berlin eh egal ist, hehe.

Die Maske nervt. Ich fühle mich damit wie eine Schwerverbrecherin, irgendwie unheimlich. Leute beschweren sich, dass sie schlecht Luft kriegen. Das geht mir auch so, ich krieg ja sowieso schon schwer Luft. Außerdem muss ich, wenn ich durch die Maske spreche, lauter sprechen, also noch mehr pumpen als ohnehin schon. Das Risiko, nicht gehört zu werden, steigt noch mehr. Trotzdem ziehe ich es durch und trage die Maske immer, wenn ich rausgehe. Mein Respekt vor den Menschen in Asien, die bei 40 °C und hoher Luftfeuchtigkeit eine Maske tragen, wenn sie erkältet sind, steigt ins Unermessliche. Von den Leuten im Gesundheitwesen, die den ganzen Tag damit rumlaufen, ganz zu schweigen.

Corona ist überall. Ich lese weiter intensiv Nachrichten, auch wenn es mich deprimiert. Ich will alles wissen. Die Tageszeitung wird immer dünner, die wissen nicht mehr, worüber sie schreiben sollen. Ich weiß auch nicht mehr, worüber ich mit Leuten reden soll. Auf meinen Reisen hab ich immer gestaunt, dass die Leute in, sagen wir, in Ladakh oder anderen entlegenen Gegenden so wenig miteinander sprechen. Jetzt ist mir klar warum: Da passiert einfach nix! Was sollen die sich schon erzählen? „Du, ich hab heute wieder den Adler gesehen. So wie gestern. Und vorvorgestern. Außerdem ist ein Baum quer über den Fluss gefallen. Aber egal. Und kannst du bitte heute das Pferd striegeln, ich war ja gestern dran.“ So geht’s mir auch gerade.

Wegen Natursehnsucht bin ich 45 Minuten aus der Stadt rausgefahren zu einem Waldstück bei Wandlitz (großer Neid an alle, die einen Wald hinterm Haus haben!). Da war kein Mensch, sodass ich um niemanden herumtanzen musste. ABER: Mit meinem stetig evolvierenden Wissen über Natur musste ich feststellen, dass das gar kein Wald war. Sondern eine naturferne Nadelholzplantage. Alle Meter stand ein Baum, Unterholz Fehlanzeige, das Moos knackte knochentrocken unter meinen Füßen, da es seit über vier Wochen nicht geregnet hat. Bei jedem Windstoß bogen sich die dünnen Stämme und knackten bedrohlich. Die mehrschichtige Vegetation, die einen Wald ausmacht, fehlte. Es war eher eine Dystopie von einem Wald. So viel zum Thema Erholung in der Natur.

Expert*innen gehen davon aus, dass dieser Sommer einen neuen Hitzerekord bringt. Landwirt*innen und Forstleute befürchten ein weiteres Dürrejahr. Nach drei Missernten in Folge kollabiert eine Zivilisation, sagen Sozialforscher*innen. Ich habe das ungute Gefühl, dass wir das erleben werden. Das alles hängt miteinander zusammen, denn Wälder speichern nicht nur CO2, sondern machen auch ihr eigenes Klima, wie diese Reportage über Aufforstungen zeigt:

Je mehr ich über die Natur lerne, desto mehr fasziniert sie mich. Das macht richtig süchtig. Ich hoffe, ich habe die Gelegenheit, dieses Wissen irgendwann einzusetzen.

Im Psychologiestudium habe ich die Lebenszufriedenheitsskala nach Ed Diener kennengelernt und natürlich habe ich sofort den Test gemacht. Dabei kam heraus, dass ich im Grunde alles habe, was ich brauche, aber trotzdem eher unzufrieden bin – „ein durchschnittliches Ergebnis für die westliche Welt.“ Hm. Das, was mir fehlt, kann ich leider gerade nicht ändern.

Netflix ist auch keine Hilfe, die meisten Themen interessieren mich null. Es gibt viel Gewalt, Verbrechen und Düsternis. Ich gucke jetzt zum 2. Mal die israelische Serie „Shtisel“, weil sie so schön ruhig ist und ich meine Faszination für Sekten ausleben kann. Außerdem finde ich Schläfenlocken sexy. 😀 Jemand hat mich darauf hingewiesen, dass in der 2. Staffel die Oma ausgetauscht wurde. Ist mir nicht aufgefallen. Ich habe ja eine leichte Gesichtsblindheit. Habe auch gestern eine Frau gegrüßt, weil ich dachte, sie sei meine Nachbarin: ähnliche Frisur, Brille, zwei Kinder dabei. Ups. Wahrscheinlich hat sie mich eh nicht nicht gehört hinter der Maske. So hat alles auch sein Gutes. 😀

Es ist 11 Uhr und ich habe schon einen Blogbeitrag geschafft. Immerhin.

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Ein Kommentar

  1. I feel you! Mir geht es grad ähnlich. Irgendwie ist alles so zäh, aber gleichezeitig auch gut. Schwierig. Künstlerisch habe ich bis jetzt noch nichts online gemacht (außer Theaterproben mit meiner Gruppe), das fehlt mir ein bißchen. Aber alleine kann ich mich grad so schwer aufraffen und meine Spielpartner*innen haben nicht alle gutes Internet. Die Krux mit der Technik.
    Wird schon irgendwie. Wenn du nicht weißt, worüber du dich austauschen sollst, können wir skypen/zoomen/telefonieren etc. und ich erzähle dir, wie die Stimmung bei den Theaterschaffenden ist. Hint: nicht gut.:D Aber es gibt ein paar Kolleg*innen, die mir jeden Montagabend beim kollegialen Austausch den Tag versüßen, mit vielen kreativen Ideen und Positivität.:)

    Liebe Grüße,
    Sarah

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