„Und, bist du gut reingerutscht?“ „Jau, ganz entspannt. Und du?“ Die Feiertage sind eine Qual für Smalltalk-Hasser*innen. Und ich bin eine von ihnen. Nicht, dass ich nicht gern rede. Ich höre auch gern zu (seit meiner Stimmbandlähmung werde ich gezwungenermaßen immer besser darin) – wenn es denn was Interessantes zu hören gibt. Futter für meine Fantasie, bitte. Erzählt mir, wie Ihr Eisschießen ausprobiert oder beim letzten Ehekrach eine Tasse an die Wand geschleudert habt oder meinetwegen wie die Furunkel-OP gelaufen ist.
Aber kommt mir nicht mit dem Wetter (zu warm/zu heiß/zu nass/zu trocken), ob wieder Stau war auf der A9 und wie Eure Fußballmannschaft abgeschnitten hat. Is mir nämlich egal. Und manchmal kann ich trotz aller Höflichkeit ein Gähnen kaum unterdrücken. Im Ernst: „Wie geht’s?“ „Muss ja, muss ja.“ Ist das noch eine Info oder spricht da schon der Sprachcomputer?
Smalltalk mit Biss
In einem meiner Lieblingsartikel geht es darum, dass es ganz und gar nicht witzig ist, Deutsche zu sein. Vielleicht braucht man ja Humor und Schlagfertigkeit für guten Smalltalk, hehe. Das dort aufgeführte Beispiel deutet jedenfalls darauf hin. Wie im Artikel beschrieben sind sich Ausländer*innen übrigens weitgehend einig, dass man mit Deutschen am besten so geradlinig und simpel kommuniziert wie mit Siri – das ist ja wohl eine Beleidigung. Also für Siri.
Denn ein Test ergab das hier:
Ich: „Hey Siri, wie geht’s?
Siri: „Ich freu mich des Lebens!“
Ich: „Bist du gut hergekommen?“
Siri: „Kein Kommentar.“
Ich: „War wieder Stau auf der A9?“
Siri: „A9 Halle/Leipzig bis Nürnberg, A9 München bis Nürnberg…“
Ich: „Wer ist deine Lieblingsfußballmannschaft?“
Siri: „Meine Einstellungen ändern sich ständig.“
Na bitte, Siri ist ein kleines Smalltalk-Wunder. Was mir wiederum beweist: So schwer kann es doch nicht sein. Man braucht zumindest kein menschliches Hirn dafür. Ja, ich weiß schon, es gibt auch eine hohe Schule der Plauderei, die leichtfüßig und trotzdem inhaltsschwer daherkommt und das Gegenüber sofort in ihren Bann zieht. Nur begegne ich ihr so selten.
In Berlin kommt man ohne aus
Es kann auch ein regionales Phänomen sein. Die wenigen Male, die ich zum Beispiel in Köln war, wurde ich überall in Gespräche verwickelt. An der Kasse, im Fahrstuhl, ja, mitten auf der Straße! Als Berlinerin war ich anfangs richtig gestresst: „Wat quatschen mich alle von der Seite an?“
Viele Jahre in der Großstadt haben mich nämlich eines gelehrt: Die Chancen, von einer normalen Person angesprochen zu werden, sind ziemlich gering. Also hastet man möglichst schnell weiter. Ein kleiner Tratsch wäre sowieso nur eine Störung im Betriebslablauf. Aber für guten Smalltalk braucht man neben Humor auch Zeit. Das ist einer der Gründe, warum das Tempo einer Stadt mitbestimmt, wie wohl man sich dort fühlt.
In meiner Heimatstadt ist Smalltalk eher eine Einbahnstraße und besteht aus gebellten Kommandos in der Tram wie „Alle mal durchtreten – dit kann doch nich so schwer sein!“ Oder Lamentos wie „Könnse nich ma noch ne Kasse uffmachen? Mann, Mann, Mann!“ (Nicht unter 3x Mann.) Ich habe gelernt, dass es besser ist, sich nicht in diese Art von Smalltalk-Monolog einzumischen.
Wenn ich dann doch mal versuche, meine Mitberliner*innen in ein unverfängliches Gespräch zu verwickeln – weil es ein schöner Tag ist und ick einfach jut druff bin, wa – dann passiert: nichts. Schweigen. Innerlich bin ich jedesmal empört, wenn meine genialen Steilvorlagen nicht aufgegriffen werden. Andererseits: Meine eigene Schlagfertigkeit wird dadurch ausgebremst, dass ich niemanden beleidigen möchte. Das passiert nämlich schnell, wenn man ohne Filter einen raushaut. Da sage ich mir: Lieber einen Gag weniger bringen und dafür ein intaktes Gesicht behalten. 😛 Oh je, der Smalltalk und ich, das wird wohl nix mehr.
Big Talk auf Partys
Dabei braucht man doch angeblich Smalltalk-Skills, um im Berufsleben zu bestehen. Auf Partys (oder wie es bei uns Älteren heißt: Netzwerktreffen) war ich lange Zeit diejenige, die interessiert auf ihr Smartphone starrte. Doch das hat sich geändert. Seit ich hier über die menschliche Seite der Arbeit blogge, gehen meine Gesprächspartner*innen ziemlich schnell in medias res.
Es reicht eigentlich, dass ich mit ein paar Sätzen meine eigene Geschichte anreiße, schon lassen selbst die erfolgreichsten Professionals die Anzughosen runter: Die eine programmiert Candy Crush (coolster Job ever, dachte ich eigentlich!), wünscht sich aber trotzdem ein Sabbatical, um was Eigenes zu machen. Der andere ist ein schwerverdienender Unternehmensberater und hat Tinnitus – auf beiden Ohren. Und die nächste träumt davon, ein Buch zu schreiben …
Bei solchen Begegnungen diskutieren wir ganz schnell die großen Fragen: Wofür lebt man eigentlich? Wie lange kann man Kompromisse im Job machen – und ab wann wird es kritisch? Was würde ich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen machen? Ich fühl mich manchmal wie die Ärztin, der auf der Party alle ihre Krankheitsgeschichte anvertrauen. Mit dem Unterschied, dass ich diese Art von Big Talk wirklich liebe.
Ich mag Geschichten – und ich mag es, wenn Leute ihre Maske abnehmen. (Fun fact: Die Worte Person und Persönlichkeit kommen von „per sonare“, hindurchtönen. Das bezieht sich auf die Maske der Schauspieler*innen im Alten Rom, durch die sie sprechen mussten.) Im Ohne-Maske-herumlaufen sind die Berliner*innen wirklich gut. Fast jede*r hier ist pleite und in Therapie – und hat kein Problem, darüber zu reden. 😀 Es lebe der Big Talk!
Ein frohes und gesundes Jahr 2020 wünsche ich Euch.
Foto: gratisography.com