Zum Inhalt springen

Das Erfolgsgeheimnis

Als ich in Lugano studierte, wohnte ich wie die meisten meiner Kommiliton:innen immer im selben Hotel. Es hatte seine besten Zeiten schon hinter sich und hätte eine herrlich gruselige Kulisse für einen Thriller abgegeben. Aber immerhin machten die Besitzer:innen uns ausländischen Studis einen guten Preis. In diesem Preis allerdings nicht inbegriffen war Freundlichkeit. Für mich als Berlinerin natürlich nix Neues 😀 , aber für die Schweiz war das schon ungewöhnlich. Vielleicht bekam das Personal ja jedesmal schlechte Laune, wenn sie uns sahen, weil sie an den Rabatt denken mussten. Meine Kommiliton:innen aus freundlicheren Ländern wie Irland warf die ruppige Behandlung richtig aus der Bahn.

Unsere Studienleiterin kannte das Problem. „Hm, tja, ich kann euch da nur einen Rat geben“, erklärte sie. „Kill them with kindness.“ Sollte heißen: Seid einfach supadupanett zu den Hotelangestellten, überschüttet sie mit Freundlichkeit, dann können die gar nicht anders, als auch freundlich zu sein. Das taten wir – und es funktionierte.

Ein paar Jahre später in Berlin. Ein Freund hatte ausgemistet und schwärmte davon, was er alles bei ebay Kleinanzeigen verkauft hat. Ich stöhnte auf: „ebay Kleinanzeigen?! Wie hältst Du das denn aus?“ Ganze Websites* leben schließlich davon, bescheuerte Chats mit verpeilten Käufer:innen zu veröffentlichen. Ich sage nur: „Was letzte Preis“.

Andererseits habe ich selbst eine Menge Zeugs herumliegen, das ich gern loswerden würde. Meistens bin ich zu faul zu inserieren und stelle es einfach auf die Straße. Wie man das in Berlin so macht. Irgendwer kann es immer gebrauchen. Was ich nicht schon selber alles auf der Straße eingesammelt habe: Fachwörterbücher, Bildbände und sogar einen Sodastream, der ein bisschen klemmt.

Klamotten bringe ich zum Sozialkaufhaus und im Winter habe ich mich sogar auf den Flohmarkt gestellt. Sagen wir mal so: Die Zeiten, wo sich Flohmarkt noch gelohnt hat, sind auch vorbei. Ich harrte bei eisigen Temperaturen stundenlang hinter meinem Stand aus, aber die Leute wollten sogar für nagelneue Dinge nur ein, zwei Euro lockermachen. Abgesehen davon, wie es mich getriggert hat, dass die MEINE Sachen betatscht haben – möglichst noch mit ihren Butterbrezelfingern!

Und dann feilschen die auch noch. Etwas kostet drei Euro und dann so: „Zwee fuffzich?“ Wenn Deutsche feilschen, ist das immer bisschen peinlich, finde ich. Der Gag beim Feilschen ist ja – das habe sogar ich als gänzlich unbegabte Feilscherin begriffen – dass es Spaß machen soll. Man testet, wie weit man gehen kann. Es ist ein Spiel, ein Ritual, fast schon ein Flirt. Und nicht ein mit stierem Blick hervorgestoßenes: „Zwee fuffzich?“ Am Ende hatte ich meinen freien Tag geopfert und weniger als einen Stundenlohn verdient. Flohmarkt fiel also auch aus.

Ich musste aber Platz schaffen. In meiner Wohnung herrscht eigentlich immer Stauraummangel. Ich lebe nicht nach dem Prinzip „Wir haben zu viel Zeug, wir brauchen einen weiteren Schrank“, sondern nach dem umgekehrten Prinzip: Ist der Schrank voll, muss Zeug weg. Und nachdem bei mir seit Ewigkeiten ein riesiger Haufen mit alten Kameras, einer Dampfbügelstation und einem himmelblauen Katzenbett im Weg herumlag, stand fest: Ich versuch das noch mal mit ebay Kleinanzeigen.

Vorher konsultierte ich aber den Freund, der so erfolgreich dort verkaufte: „Jetzt sag doch mal, was ist dein Erfolgsgeheimnis?“ Und er so: „Ich bin einfach supernett und total freundlich.“ Ups, dachte ich, das bin ich wahrscheinlich nicht. Ich bin ja von vornherein schon total genervt von der ganzen Sache, aus Gründen, weil ich tatsächlich schon schlechte Erfahrungen gemacht habe: blöde Fragen, Leute, die nicht auftauchen und so.

Da war es wieder, das bewährte Motto aus Lugano: „Kill them with kindness.“ Also hielt ich mich an seinen Rat. Auf einsilbige Anfragen antwortete ich mit Anrede, ganzen Sätzen und liebem Gruß. Wenn jemand nicht auftauchte, fragte ich freundlich nach, ob was dazwischengekommen ist und ob die Person ein andermal vorbeikommen will. Was soll ich Euch sagen: It works! Die Leute sind nett, erzählen mir sogar kleine Geschichten – und wer mal was verpeilt hat, entschuldigt sich.

Überlege jetzt, meine neue Superpower an ganz Berlin zu testen. If it works here it works everywhere. 😉

* Hab Tränen gelacht.

Foto von Jason Leung auf Unsplash

Bitte folgen Sie mir unauffällig!

Auf Twitter und Facebook.

2 Kommentare

  1. Christoph

    Liebe Lydia, ja, genau so war dies mit dem Hotel damals in Lugano. Und ich kann hier für alle bestätigen: yes, it did work! Danke für den Reminder und die Tipps :-). Mit allerherzlichsten Grüssen, Christoph

    • Hey, Christoph! Schön von Dir zu hören und dass Du ähnliche Erinnerungen an das Hotel hast. 🙂 Hoffe, Dir geht es gut. Und frohe Ostern! 🐰

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert