Die dritte und letzte Urlaubsgeschichte, diesmal aus Kambodscha:
Ein halber Tag Tempeltour rund um Angkor Wat war vergangen, als Tina, mein freundlicher Tuk-Tuk-Fahrer, vorschlug, zum Sonnenuntergang an einen See zu fahren. Dort könnte ich eine Bootstour machen. Die Fahrt dorthin würde aber drei Dollar extra kosten, fürs Benzin. Ich sagte, wir können das machen, aber ich zahle nichts extra. Ich wusste, dass ich ohnehin schon einen ordentlichen Preis für die Tagestour zahlte. Denn ich hatte nicht gefeilscht. Obwohl ich aufs Geld achten muss, habe ich irgendwann aufgehört, um jeden Preis zu feilschen. Wenn die aufgerufene Summe halbwegs üblich ist und einigermaßen vernünftig klingt, zahle ich sie.
Auf einer Indienreise hatte ich ein Schlüsselerlebnis gehabt. Eine Mitreisende hatte einen Postkartenverkäufer fast angeschrien: „Nein, ich zahle keine 2 Euro** für die Postkarten, allerhöchstens 1,50! Ich bin alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, ich kann mir das nicht leisten.“ Oh, Mann. Ernsthaft? Ich war kurz davor, zu ihr hinzugehen und zu sagen: „Hör mal, Schätzchen, du hast 4.000 Euro für diese Reise hingelegt und feilschst hier gerade mit einem Postkartenverkäufer um 50 Cent. Und du vergleichst dich gerade mit diesem Mann, der mit ein paar Euro mehrere hungrige Mäuler stopfen muss?!“ Aber ich war zu fassungslos und beschämt, um etwas zu sagen. Seitdem überlege ich mir genau, ob ich feilsche.
Verhandeln, aber nicht um jeden Preis
Klar, niemand will übers Ohr gehauen werden. Reisen ist ja Verunsicherung auf ganz vielen Ebenen, auch der finanziellen: Man weiß nicht, was im fremden Land üblich ist, kann die Sprache nicht, hantiert mit einer anderen Währung, versteht das ganze Preisgefüge nicht. Oft stehen die Preise für uns in einem nicht nachvollziehbaren Verhältnis. So staunte ich in Gambia nicht schlecht, dass eine Taxifahrt nur 50 Pfennig kostete, man einem Bettler aber mindestens eine D-Mark gab. Der Rat eines Weisen und ein Zaubermittel waren mir 8 Mark wert – zum Amüsement meines einheimischen Führers, der mir eröffnete, der normale Preis läge bei 80 Mark. Übrigens bei einem durchschnittlichen Monatsverdienst von damals 100 Mark. Verrückt!
Es kommt noch eine weitere Ebene hinzu: die menschliche. Kein Tourist möchte lediglich als „Sparschwein auf zwei Beinen“ gesehen werden, das ausgeschlachtet wird. Irgendwo ist man ja auch ein Mensch und möchte als solcher wahrgenommen werden. Insofern ist es immer wieder enttäuschend zu erleben, dass es dem netten Einheimischen am Ende doch nur ums Geld geht. Womit wir wieder bei meinem Fahrer wären.
Bewertung statt Geld
Tina machte mir, nach einer kurzen Bedenkpause seinerseits, in der ich einen weiteren Tempel besichtigt hatte, ein überraschendes Angebot. Vielmehr brach es aus ihm heraus: „OK, wir fahren zum See. Ich will dein Geld nicht. Gib mir lieber eine positive Bewertung auf Trip Advisor. Das ist mehr wert für mich. Ich will mir meinen eigenen Kundenstamm aufbauen, mein eigenes Business. Ich mache das hier erst seit zwei Monaten. Vorher habe ich auf dem Land gelebt mit meiner Frau und den Kindern. Mein Boss zahlt mir 80 Dollar im Monat als Fahrer, das reicht gerade mal für Miete und Essen. Ich habe meiner Familie noch nicht ein einziges Mal Geld schicken können. Ich weine jeden Abend.“
Seine Worte berührten mich. Und ich war beeindruckt von seiner Ehrlichkeit. War er ehrlich? Das war die Frage. Ich hätte ein paar Rückfragen stellen, ihn ins Kreuzverhör nehmen können. Aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass er eine ehrliche Haut war. Je länger ich reise, desto besser wird mein Gefühl dafür, wem ich vertrauen kann. Außerdem, hey: Dieser Mann, vielleicht um die 30, hatte sich gerade ohne Not verletzlich gemacht. Und auf Geld verzichtet. Und offenbar versteht er, was Bewertungen im Internet wert sind.
Das ist übrigens der Hammer, dass Portale wie Booking, Agoda und Trip Advisor hier an jeder Bretterbude, die sich Guesthouse nennt, mitverdienen. Denn vorbei sind die Zeiten, als Rucksacktouristen spontanski irgendwo hingefahren sind und sich dann vor Ort einen Schlafplatz gesucht haben. Nein, es wird schön vorab per Internet gebucht.
Nachdem ich eine Weile versucht habe, weiterhin the old-fashioned way zu reisen und immer wieder erleben musste, dass die besten Unterkünfte schon weggebucht waren, mache ich es genauso. Und die Buchungsplattformen verdienen überall mit. Was für ein geniales Geschäftsmodell!
Das Provisionsgeschäft
Ich wiligte also ein in den Deal, der da hieß: Trip-Advisor-Bewertung gegen Ausflug zum See. Aber zuerst gab’s Lunch in einem Restaurant nahe der Tempel. Ich überlegte kurz, ob ich Tina zum Essen einladen sollte, aber als ich die Preise auf der Speisekarte sah, verging mir die Lust. Sie waren zwei- bis dreimal so hoch wie in einem normalen Restaurant. Eine klassische Tourifalle.
Tina verschwand irgendwohin. Da fiel mir ein, was ich schon öfter erlebt hatte und was vermutlich auch hier der Deal war: Er hatte dem Restaurant eine Kundin gebracht und bekam dafür ein Essen. Na schön, dachte ich. Dann zahle ich ja sowieso für ihn mit. Sicherheitshalber fragte ich Tina, und er bestätigte meinen Verdacht. Lieber wäre mir gewesen, ich hätte ihn zum normalen Preis eingeladen und mit ihm an einem Tisch gesessen…
Aber Moment, war das wirklich die bessere Lösung? Plötzlich erschien mir das Provisionssystem, das in vielen Ländern herrscht (also, Fahrer oder Führer bringt Touri irgendwohin und bekommt einen Anteil, wenn der etwas kauft), in einem anderen Licht: Wenn der Boss tatsächlich das gesamte Fahrgeld kassiert und nur ein winziges Gehalt an den Fahrer geht, sind diese Provisionen dessen einzige zusätzliche Einnahmequelle. Verstehe das System, verstehe die Menschen.
Außerdem ist der Fahrer durch das Provisionssystem weniger abhängig von der spontanen Gnade und Großzügigkeit der Touristen. Die Provision kriegt er zuverlässig. Und, last but not least, ist das System gesichtswahrend. Denn wer möchte schon ständig von seinen Passagieren eingeladen werden?
Der Abzocker
Wir fuhren zum See. Ein paar Kilometer vorher hielten wir an, um an einem Schalter ein Ticket für das Boot zu kaufen. Laut dem Mann hinter dem Schalter kostete eines 20 $, aber wenn wir zu viert ein Boot nähmen, nur 16 $. Ich versuchte logischerweise, drei weitere Mitreisende zu finden. Plötzlich tauchte ein Einheimischer mit der Aura eines Mafia-Paten auf, postierte sich vor dem Schalter und versuchte, den ahnungslosen Neuankömmlingen Tickets anzudrehen – für 25 $ pro Person.
Naja, ich teilte den Touris natürlich die offiziellen Tarife mit. Einfach so, der Fairness halber, aber auch, weil ich ja Mitreisende für mein Vierer-Boot suchte. Der Typ wurde richtig unangenehm. Das kannte er wohl nicht, dass Touristen aufmuckten. Viel Abzocke ist nur möglich, weil Touris zu bequem oder zu egoistisch sind, um zusammenzuhalten und sich zu wehren.
Der kambodschanische Don Corleone baute sich vor mir auf, war aber nicht mal so groß wie ich. Außerdem war ich in Hochform: „Was für ein Scheißgeschäft machen Sie hier? Wer sind Sie überhaupt? Ich rede gar nicht mit Ihnen!“ Er bedeutete mir zu verschwinden. Naja, die Lust auf eine Bootstour war mir eh vergangen.
Tina und die Tuk-Tuk-Fahrer der anderen Touris warteten in Ich-halt-mich-raus-Manier ein paar Meter entfernt. Immerhin konnte ich einige Touristen vor dem Betrüger warnen. Als wir wegfuhren, starrte mir der Typ hinterher und – ich übertreibe nicht – versuchte, mich mit seinem Blick zu töten.
Tina war es unangenehm, dass wir den Weg zum See umsonst gemacht hatten. Ich aber war zufrieden. Einem Betrüger das Geschäft vermasselt (plus eine Warnung für andere Touris auf Trip Advisor 🙂 ). Jetzt musste ich nur noch zusehen, wie ich Tina unterstützen konnte. Erst mal gab ich ihm die drei Dollar für die Fahrt zum See, denn die war wirklich lang gewesen. Plus die Tripadvisor-Bewertung. Um von seinem Boss unabhängig zu werden und sein eigenes Business aufzubauen, braucht er aber ein eigenes Tuk-Tuk – so viel ist klar. Und das kostet 1.000 $.
Die vermeintliche Lösung
Da fiel es mir ein: Mikrokredite! Seit vielen Jahren unterstütze ich Kiva, eine Organisation, die fast überall auf der Welt von westlichen Spendern finanzierte Mikrokredite vergibt, u. a. auch in Kambodscha. Das konnte ich Tina empfehlen. Ich fragte genauer nach seiner Situation. Wie sich herausstellte, besaß er früher ein eigenes Business, hatte dann aber alles verloren. Er war also sogar Geschäftsmann, super. Auf dem Handy zeigte ich ihm die Seite einer kambodschanischen Mikrofinanz-Organisation. „Hier, die verleihen Kredite an Menschen, die sonst keine bekommen würden“, verkündete ich stolz.
Tina war nicht beeindruckt. „Mikrofinanz, kenne ich. Aber um einen Kredit über 1.000 $ zu bekommen, muss ich dort erst mal 400 $ vorweisen.“ Ich war irritiert. Da hatte ich Mikrokredite aber anders verstanden. Es geht doch gerade darum, denjenigen zu helfen, die bei einer normalen Bank und zu normalen Konditionen keine Chance auf einen Kredit haben? Den Ärmsten der Armen? So wie es der Comedian Trevor Noah, der selbst in bitterster Armut in Südafrika aufgewachsen ist, in seinem Buch „Farbenblind“* beschreibt:
„Give a man a fish and you feed him for a day; teach a man to fish and you feed him for a lifetime. YEAH, BUT DON’T FORGET TO GIVE HIM A FISHING ROD!“
Es bringt nichts, jemandem das Angeln beizubringen, wenn er nicht mal Geld für eine Angel hat. Wer nichts hat, kann sich nichts aufbauen.
Ich schrieb Kiva eine Mail und fragte nach. Die Antwort fiel etwas unbefriedigend aus: Es gebe halt verschiedene Konditionen bei verschiedenen Banken. Irgendwie konnte ich Tina überzeugen, es noch mal bei den Partnerorganisationen von Kiva in Kambodscha zu versuchen. Im Moment sieht es so aus, als könnte er wenigstens eine Teilfinanzierung für sein eigenes Tuk-Tuk bekommen.
Bis dahin: Fahrt mit Tina!
Wenn Ihr mal in Siem Reap (Kambodscha) seid und vorhabt, eine Tempeltour nach Angkor Wat zu machen, empfehle ich Euch Tina wärmstens: Ihr findet ihn auf Facebook und auf Facebook Messenger unter Tin Seav Chheang. (Ja, mit 2x h.) Oder auf WhatsApp mit der Nummer +85 588 38 333 88.
Er ist nett, sehr zuverlässig und hat mir auch bei einem Problem mit meiner Reise geholfen. Das Geld den Guten geben und den Bösen wegnehmen – so kann man die Welt im Kleinen ein bisschen besser machen.
*Support your local dealer! Kauf Bücher am besten bei der Buchhändlerin um die Ecke.
**Alle hier genannten Preise sind umgerechnet. In Kambodscha kann man in Touristenorten mit US$ zahlen.
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