Ich verrate Euch heute den ultimativen Tipp zur Altersvorsorge. Früher galt ja (und in armen Ländern ist das immer noch der Fall) eine Kinderschar als perfekte Altersvorsorge, weil die dann ihre Eltern im Alter ernähren. Heute kann man sich da nicht so sicher sein – abgesehen davon haben wir ja eine staatliche Rente. Expert*innen empfehlen Aktien oder Immobilien. Alle reichen Leute scheinen Aktien oder Immobilien zu haben. Oder sie sind Influencer. Ein ordentliches Erbe hilft natürlich auch ungemein. Ich habe aber noch einen besseren Tipp – und diese Art der Altersvorsorge kostet nichts.
Der Tipp lautet: Man arbeite an seinem Charakter – an Liebenswürdigkeit, Humor und Großzügigkeit. Wer hat schon Lust, sich um ein altes narzisstisches, egoistisches Arschloch zu kümmern, das zum Lachen in den Keller geht? Allenfalls Leute, die man teuer dafür bezahlen muss. Und nicht mal die haben Bock drauf. Man kann also nicht nur eine Menge Geld sparen, sondern auch noch ein netteres Leben haben, wenn man sich an meinem Altersvorsorge-Tipp orientiert. Schließlich muss man noch ein paar Jährchen mit sich selbst verbringen.
Diese Idee ist gar nicht so ohne. Natürlich weiß man in der Philosophie um die Kraft der Tugenden. Im Buddhismus, der einzigen Religion/Philosophie, in der ich mich halbwegs auskenne, wird die Entwicklung der zehn paramis oder Perfektionen dringend empfohlen*:
- Großzügigkeit
- Rechtschaffenheit
- Verzicht
- Urteilsvermögen
- Anstrengung
- Geduld
- Ehrlichkeit
- Entschlossenheit
- Wohlwollen
- Ausgeglichenheit
Aber in einer Gesellschaft, die Narzissmus fördert und egoistisches Verhalten propagiert (z. B. aufs Übelste in der Werbung), ist die Idee, sich einen guten Charakter zuzulegen, immer noch revolutionär.
Außerdem ist es im Alter ungleich schwerer, liebenswürdig und geduldig zu sein, weil einem möglicherweise alles wehtut und man vieles nicht mehr kann, was früher ging (z. B. gucken oder rumlaufen oder elektronische Geräte bedienen), und deshalb sowieso dauergefrustet ist und alles anzünden will.
Ich bewundere alte Menschen, die sich ihren Humor bewahrt haben. In der Netflix-Dokuserie „Indian Matchmaking“ (Empfehlung!) wird am Anfang jeder Folge ein älteres Pärchen vorgestellt, das seit Ewigkeiten zusammen ist. Die sitzen auf dem Sofa und sobald sie den Mund aufmachen, um sich vorzustellen, dissen die sich gegenseitig aufs Feinste und lachen sich kaputt. Und jedes Mal denke ich: So will ich auch sein, wenn ich alt bin.
Was weiß ich übers Alter? Sagen wir so, ab 40 geht’s bergab. 😀 Das sagt einem keiner – aber dafür habt Ihr ja mich, stolze Besitzerin von mittlerweile VIER Brillen (Fern-, Fern-Sonnen-, Lese- und Bildschirmbrille). Das ging so unglaublich schnell, dass meine Augen schlechter wurden, dass ich schon Angst hatte, mein Augenlicht ganz zu verlieren.
Das Schöne ist ja, dass jede dieser Brillen nur in bestimmten Situationen funktioniert und ich für alles andere halbblind bin. Es gibt Gleichsichtbrillen, weiß schon. Ich hab’s ja versucht. Für den Bildschirm geht’s auch, aber draußen komme ich nicht klar. Das liegt daran, dass ich ganz gern den Boden (vor allem Treppenstufen!) unter meinen Füßen erkennen möchte. Das geht aber nicht, denn wenn man nach unten guckt, ist ja die Leseoptik drin. Man läuft also ins Blaue. Der Optiker meinte: „Das ist nicht gewollt, dass Sie den Boden sehen.“ Von mir schon!
Jedenfalls ist die Fehlsichtigkeit das nächste Defizit nach der Stimme. Ich rechne wie immer mit dem Schlimmsten – Blindenhund und so. „Warum bist du so paranoid?“, fragen meine Freund*innen. Und icke so: „Ich bin nicht paranoid, das nennt man Lebenserfahrung.“ 🙂
Alt werden ist nichts für Feiglinge, heißt es. Heute weiß ich: Das ist stark untertrieben. Eine Bekannte hat eine Ausbildung zur Sterbebegleiterin im Hospiz gemacht. Teil der Ausbildung war dieses Experiment: Alle saßen in einer Runde. Jede Person sollte fünf Dinge auf kleine Zettel schreiben, die ihr im Leben am Wichtigsten sind (einen Sinn, ein Tier, einen Menschen …). Und dann ging jemand mit dem Hut rum und man musste in jeder Runde eines dieser Zettelchen abgeben. Heftig, oder? So läuft das nämlich mit dem Alter. Da warnt einen niemand vor. Ich prangere das an.
Vielleicht wird man ja auch gewarnt, will es aber gar nicht hören, weil man jung und dumm ist. Außerdem nützt es einem ja nix. Es kommt eh – niemand kann dem Alter entrinnen.
Vielleicht hat man Glück und wird eine von diesen aktiven Omas, die nebenbei noch Marathon laufen, aber ich glaub, das ist ne Legende. Vergessen wir nicht, dass der Typ, der damals nach Marathon gerannt ist, nach der Ankunft tot zusammenbrach. So sieht’s nämlich aus. Die meisten Alten sind doch froh, wenn sie es noch zum Aldi schaffen.
Früh übt sich also, damit man dann halblahm im Alter – tadaa! – seine vielen Tugenden triumphierend aus dem Ärmel schütteln kann. Und dem Blindenhund noch ein paar gute punchlines mitgeben kann.
* Ich habe einige der englischen Begriffe durch modernere, praxisnahere Worte übersetzt, z. B. Lossagung -> Verzicht. Finde die aussagekräftiger. Bekanntlich hat der Buddha ja sowieso nicht Englisch gesprochen, von daher … 😉
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Mensch, das ist irgendwie ermutigend oder fast erfrischend zu lesen. Das ist eine richtig gute Sicht aufs Alter. Ich gehe auf die 40er zu und habe mich viel zu lange vor mancher dieser Themen gedrückt, versuche das aber meinen Töchtern mitzugeben das die nicht so manche Extrarunde wie ich jetzt drehen müssen! Also richtig gut, vielen Dank!
Eben, GEDULD! Alles erlernt man mit Geduld. Laufen, Radfahren, Schwimmen… Nichts davon kann man ohne Geduld erlernen. Das Sehen mit einer Gleitsichtbrille muss man auch mit Geduld erlernen. Es ist eine neue Art des Sehens. Das muss das Gehirn erst erlernen. Am Anfang eiert man da schon ziemlich rum – wie Kinder auf dem Rad. Den größten Fehler, den man dabei machen kann ist: Brille auf, Brille ab, alte Brille her, neue Brille auf. Was soll das arme Hirn denn lernen? Die neue Brille und deren unbestreitbare Vorteile oder den Zustand mit der alten Brille oder den ohne…? Eine Gleitsichtbrille muss erlernt werden. Brille früh vom Nachttisch angeln, tragen und abends wieder da ablegen. Nach ein paar Tagen ist das Thema ausgestanden und in den Automatismus übergegangen, der einen Laufen, Radfahren, Schw…………. läßt. GEDULD eben. Geht auch ohne Buddhismus. 🙂
Hat leider nicht funktioniert bei mir, hab‘s mehrere Monate probiert. Bei der Bildschirmbrille geht‘s ja.
Habe diesen Sommer meinen 50sten gefeiert und dachte, ich MÜSSTE doch jetzt in die Midlife-Crisis abdrifften, weil die böse Fünf sagt, dass ich alt werde. Zusammen mit meiner 18jährigen Tochter habe ich Fotos der letzten 3 Jahrzehnte angeschaut und sie meinte, ich hätte mit Mitte 30 älter ausgesehen als heute. Da fiel mir auf, dass das auch die stressigste und anstrengenste Zeit in meinem Leben war…..
Meine Mutter sagte immer: ‚Man ist so alt, wie man sich fühlt. Und das strahlt man auch aus.‘
Egal, was die Lebensuhr zeigt, wer gechillt und mit ganz viel mentaler Leichtigkeit da durch geht (ich liebe meine Gleitsichtbrillen – endlich wieder Durchblick!), wird auch im hohen Alter das Leben so nehmen, wie es kommt und dankbar für alles sein, was noch geht und das Beste daraus machen.
Guter Text, er enthält auch vieler meiner Erfahrungen. Bei der Aufzählung der wichtigen Eigenschaften „guter Alterung“ fehlt der Humor! Den finde ich unverzichtbar, über sich selbst und seine manchmal so sinnlosen Bemühungen lachen, auch gelegentlich über immer gleiche Fallen, in die man reintappt. Ich habe Gleitsichtbrille und Rollator, seit neuestem auch Hörgeräte. Aber ich bin doch dankbar für diese Erfindungen, auch wenn ich gerne ohne sie gelebt hätte! Nur jung sterben wollte/will ich auch nicht. Was ist jung, was alt?
Lachen können sollten wir, Anteil nehmen an uns und der Welt um uns.