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Die strickende Frau

Alle paar Jahre kann ich meine Websites nicht mehr sehen – ein neues Design muss her. So ging es mir neulich mit meiner Kruegertext-Seite, sie erschien mir plötzlich altbacken und auch inhaltlich überholt. Ich wollte mehr Design, Slider, Kacheln, alles schön klicki-bunti. Ich kaufte mir ein riesiges WordPress-Theme, das alles kann. Nachdem ich eine Woche daran rumgeschraubt hatte, war ich erschöpft und überfordert. Mir wurde klar: Das bin ich eigentlich gar nicht. So sind auch meine Texte gar nicht.

Ich fing an, darüber nachzudenken, was ich eigentlich bin, also beruflich gesehen, und wofür ich stehe. Am Anfang meiner Selbstständigkeit war ich erst mal offen für alles, hab alle möglichen Textaufträge angenommen. Ich dachte, ich kann alles. (Löwe halt.) So landete ich zweimal in Werbeagenturen – und habe es gehasst. Natürlich dachte ich, ich kann Headlines. Wie oft fällt mir unter der Dusche ein lustiger Slogan für irgendwas ein und wie oft schüttel ich den Kopf über schlechte Wortspiele. Das kann ich besser, dachte ich.

Kann ich irgendwie auch, aber es kostet mich wahnsinnig viel Kraft. Texte schmieden nach dem Motto „Mach uns mal 50 Headline-Vorschläge für die neue Winterreifen-Kampagne“ ist extrem anstrengend für mich, weil ich so nicht arbeite. Es ist sehr gut bezahlt (now I know why, hehe), aber nach zwei Versuchen wusste ich, dass die tiefe Depression, die mich in Werbeagenturen befiel, es mir nicht wert war.

Ich mag Longcopy, also längere Texte, wo es auf die Struktur ankommt. Storytelling und Verständlichkeit sind mein Ding. Wenn ich mir die Praxis anschaue, dann mache ich viele Mailing-Kampagnen, schreibe Blogtexte, Broschüren, e-Books für meine Kund:innen. Über die Jahre hat sich herauskristallisiert, was mir liegt und was meine Kund:innen an mir schätzen. Dazu gehört auch eine gewisse Geradlinigkeit.

Das sollte sich auch in der neuen Kruegertext-Website widerspiegeln. Ich warf also das teure Design weg und setzte auf Minimalismus. Neulich sah ich eine Texter-Website, wo kaum Text drauf war – genial! Aber ich nehme schon an, dass die Kund:innen was von mir lesen wollen, bevor sie mich anfragen. Jedenfalls ist die Website jetzt ganz anders geworden, als ich dachte zu sein. Das ist kein Einzelfall.

Vor einigen, ähem, Jahren hatte ich mal für irre viel Geld ein hippes Strickset bei „We are Knitters“ bestellt. Dicke hellblaue Wolle, eine Anleitung und zwei riesige Stricknadeln. Projekt Kuscheldecke konnte beginnen. Kaum hatte ich angefangen zu stricken, bekam ich starke Schmerzen in den Fingern.

Und überhaupt, ich bin nicht so die Handarbeitsfee. Seitdem steht das Strickset hier herum und nimmt Platz weg. Es hätte schon längst ein Fall für ebay Kleinanzeigen sein können – also, warum tu ich mich so schwer, es zu verkaufen? Weil ich nicht nur das Strickset, sondern auch ein Selbstbild loswerden würde: die Fantasie von mir als gemütlich-vor-sich-hin-strickender Frau, als selbstgestrickte-Schals-und-Socken-verschenkende Frau.

Im Nachhinein ist es geradezu lachhaft, dass ich mir wirklich vorgestellt habe, ich würde Abend für Abend vor dem Kamin sitzen und stricken. Ich habe gar keinen Kamin. In Wirklichkeit hänge ich auf Twitter ab oder netflixe, ich lese was oder spiele mit dem Katerchen, aber stricken?! Echt jetzt? Das nenne ich mal power of marketing, dass ich darauf reingefallen bin.

Ich besitze auch ein Golfset (das Wort „Set“ sollte mich in Zukunft misstrauisch werden lassen), die Schläger auf meine Größe maßgeschneidert, komplett mit diversen schicken Outfits. Ich gehe ungefähr einmal im Jahr auf den Golfplatz, manches Jahr auch gar nicht. Mein erstes und einziges Turnier endete damit, dass man mir mitteilte: „Wenn es möglich wäre, das Anfänger-Handicap zu verschlechtern, dann hätten Sie das jetzt erfolgreich geschafft.“ 😀

Keine Ahnung, was mich auf die Idee gebracht hat, Golfen könnte mein Sport sein. Jegliche Ballsportarten sind der Horror für mich, aber immerhin liegt der Ball beim Golf erst mal am Boden und kommt nicht auf einen zugesaust. Und man ist viel draußen.

Was ich unterschätzt habe: die langen Anfahrten raus zum Golfplatz, der Übungsaufwand, wenn man halbwegs gut spielen will, die Tatsache, dass man Mitspieler:innen braucht, um zu spielen. (Sagen wir es so: Die meisten coolen Menschen spielen kein Golf.) Beim Golfset ist es aber so, dass der Anschaffungspreis es rechtfertigt, dass es hier rumsteht. Eine golfende Frau werde ich nie, eher eine ab und zu mal das Golfset ausführende Frau.

Oder das Malset. 😀 War im Angebot, komplett mit Staffelei, Pinseln und vielen bunten Farbtuben. Ich mag ja Farben und irgendwie dachte ich wohl, ich könnte es ja mal mit Malen probieren – sehr optimistisch von mir angesichts der fast schon kriegerischen Beziehung zu meiner ehemaligen Kunstlehrerin.

Sagenhafte zwei Bilder habe ich gemalt, mit den Fingern. Einen blauen Hund und eine bunte Wolke. Ich mochte das Malen, aber ich war hinterher völlig ausgelaugt. Leider kann ich keine Hobbys gebrauchen, bei denen ich hinterher erschöpfter bin als vorher. 😛 Let’s face it, ich bin keine malende Frau.

Das Malset steht jetzt hier rum, direkt neben dem Stepper, den ich mir im ersten Lockdown bestellt hatte. Irgendwie hatte ich wohl die Vorstellung, dass ich vom Sofa hoch- und auf den Stepper springen würde, um dem Bewegungsmangel den Kampf anzusagen. Nun ja, es hat sich herausgestellt, nach einem ganzen Leben tiefster Abneigung gegen Sport, dass ich offensichtlich keine steppende Frau bin. Surprise, surprise.

Es kann auch anders laufen: Eine introvertierte, sehr spirituelle Schriftsteller-Freundin von mir entdeckte zufällig ihre Leidenschaft fürs Tanzen und die Tanz-Community. Tanzen ist jetzt alles für sie – sie kann es selbst kaum glauben.

Auch ich habe einige Überraschungen erlebt: Dass ich als Stadtkind eine Liebe zu den Bergen entwickle und gern Mist schaufele, dass ich eine wandernde, gärtnernde, bauende Frau bin, hätte ich nie gedacht. Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden: Man muss es ausprobieren.

Photo by Rebecca Grant on Unsplash

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Ein Kommentar

  1. Kirsten Gutmann

    Liebe Lu, ich finde mich da so wieder in deinem Text. Bei mir ist es ein Schal der da halbfertig in einer Box liegt.

    Und auch ich weiß jetzt. Renovieren und Tomaten pflanzen sind mein Ding.

    Schön das man bei deinen Texten immer so schmunzeln kann.

    Mehr davon.
    Kiri

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