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Der Kongress der Tiere

Erschöpft leckte sich die Löwin das Fell. Puh, es war nicht so einfach gewesen, Abgeordnete aller Wildtierarten nach Afrika zu bekommen. Andererseits wurden es von Jahr zu Jahr weniger – daher war es leichter als beim letzten Gipfeltreffen. Der World Wild Animal Congress (WWAC) war eine logistische Herausforderung: die Anreise von allen Kontinenten, die riesigen Wasserbecken für die Meeres- und Süßwassertiere, die Schwertransporte für die Großtiere. Nicht zu vergessen die Sicherheitsvorkehrungen für die Tierarten, die von anderen als Mittagssnack betrachtet wurden. Und dann musste man auch noch den Delphinen und Schimpansen in den Allerwertesten kriechen, damit sie netterweise wieder dolmetschten. Die bildeten sich ganz schön was ein auf ihre Intelligenz.

Jetzt war es soweit, die Löwin ließ ihren Blick über die versammelte Menge kreisen. Vom Maikäfer bis zum Wasserbüffel waren alle gekommen. Schließlich ging es heute ums Ganze.

„Liebe Mittiere“, die Stimme der Löwin klang vor Aufregung etwas knurrig. „Wir haben uns heute hier versammelt, weil wir endlich handeln müssen. Seit Jahrzehnten schauen wir zu, wie immer mehr von uns sterben. Von den Menschen haben wir wenig Gutes zu erwarten. Sie nehmen uns immer mehr Platz weg, zerstören mit ihren Abgasen unser Klima und zerlöchern unsere Erde. Sollten wir nicht langsam mal zurückschlagen? Wir sind heute hier zusammengetroffen, um einen Plan zu erarbeiten. Zunächst aber erbitte ich den Lagebericht der Arbeitsgruppe Meer.“

Hastig wedelte der Krake mit den Armen, um die 97 Blätter seines Reports zu sortieren. „Also, Kurzfassung: Das Meer, unser Zuhause, wird immer wärmer. Das ist vor allem für diejenigen von uns ein Problem, die auf bestimmte Temperaturen angewiesen sind. Ich soll euch alle schön grüßen von den Korallen, die können ja nicht weg. Und unser Zuhause wird immer schmutziger, wie wir es ja seit Jahren erleben. Was die Menschen alles ins Meer kippen: Plastikflaschen, Schnuller, Kulis und Flip-Flops. Immer wieder passiert es, dass Schildkröten oder Seevögel aus Versehen Plastik fressen. Und das war’s dann.“

Die Löwin nickte und ging zum nächsten Tagesordnungspunkt über. „Koala, wie ist die Situation in Australien? … Hallo? Koala?!“ Der Koala fuhr aus dem Tiefschlaf hoch: „Tut mir leid, ich habe heute meine 18 Stunden Schönheitsschlaf nicht bekommen. Verdammter Jetlag! Nun ja, unser Wald brennt immer wieder. Wir haben einen Teil unseres Zuhauses verloren, viele von uns sind umgekommen. Einige Menschen haben uns gerettet, dafür sind wir dankbar. Aber noch besser wäre, wenn sie endlich aufhören würden, unsere Bäume zu fällen. Wo wollen sie noch überall ihre Häuser hinklotzen?“

„Ja, genau. Das geht auch auf unsere Kosten“, summten die Bienen. „Ade, Wald und Wiesen! Überall werden Flächen zubetoniert. Diese Menschen brauchen immer mehr Platz. Und dann legen sie ,Rasen‘ an oder gar Kieselsteinwüsten. Und bauen ,Insektenhotels‘ daneben. Ein Hotel ohne Verpflegung? Da fühlen wir uns irgendwie verschaukelt. Die Wildpflanzen, von deren Nektar wir uns ernähren, nennen sie ‚Unkraut‘ und vernichten sie. Die nehmen uns unser Essen weg.“

„Ich habe eine Idee“, rief die Ratte. „Wir könnten den Menschen einfach ihr Essen wegfressen.“ „Da sind wir dabei“, grinste das Wildschwein. „Das haben wir doch schon x-mal probiert“, zirpte die Heuschrecke.

„Das Brainstorming kommt später“, schnappte die Löwin. „Kommen wir zur Lage in der Arktis.“ Sie schaffte es nicht, ihren Blick vom Papier zu heben. „Das Wort hat der Eisbär.“ Die Erde bebte ein bisschen, als sich der massige Eisbär erhob und sein klatschnasses Fell schüttelte. Musste dieser Kongress auch immer in Afrika stattfinden? „Was soll ich sagen“, brummte er. „Sieht beschissen für uns aus, das wisst ihr ja. Wir leben auf einem riesigen Eisschild. Und das schmilzt uns gerade umterm Hintern weg.“ Er holte tief Luft. „Kann sein, dass ich beim nächsten Kongress nicht mehr dabei sein werde.“ Betretenes Schweigen breitete sich aus. Stumm legte die Robbe dem Eisbären eine Flosse um die Schulter.

Der Pinguin ergänzte: „Mit der Antarktis sieht es nicht viel besser aus. Wir haben ja seit Jahrzehnten menschliche Forschungsteams bei uns zu Gast. Die Schlaumeier haben herausgefunden, dass wenn unser Eis schmilzt, der Meeresspiegel um siebzig Meter ansteigt. Siebzig Meter! Uns kann’s ja egal sein, wenn New York weg ist. Aber warum das die Menschen überhaupt nicht zu interessieren scheint, bleibt uns ein Rätsel.“

Die Löwin ließ einen Eckzahn hervorblitzen, ihre Augen funkelten: „Tiere, es reicht! Wie es aussieht, kriegen die Menschen es nicht hin, unsere Erde zu retten. Im Gegenteil: Sie sind das Problem. Wir haben lange genug zugesehen, wie sie uns vernichten. Wir müssen uns endlich wehren. Hat jemand eine Idee?“

Der Elefant schlenkerte traurig mit den Ohren: „Wir haben es ja versucht. Damals, als wir ein paar Dörfer zertrampelt haben, um den Menschen mal die Meinung zu geigen. Ging leider nach hinten los.“ Der Hai schoss senkrecht aus dem Wasserbecken und schrie: „Ein paar Touris haben wir erwischt!“ „Bei den Allergikern haben wir eine ganz gute Erfolgsquote“, berichtete die Wespe und rieb sich hämisch den Stachel.

„Quatsch, wir brauchen eine politische Strategie“, mischte sich der Fuchs ein. „In Berlin beobachten wir schon das Kanzleramt.“

„Unsere Influencer-Kampagnen kann man jedenfalls als gescheitert betrachten“, fasste der Panda zusammen. Giraffe und Leopard nickten. „Diese ganzen Foto-Safaris mit uns haben nichts gebracht. Nicht mal, als wir die Idee mit den Animal-Prints in die Modebranche eingeschleust haben, sind die Menschen auf uns aufmerksam geworden.“

„Probiert’s mal mit Ma-la-ria, Ma-la-ria, Ma-la-ria“, die Mücke tanzte beschwingt durch die Reihen. „Moment mal! Ich weiß, wie wir die Menschen loswerden“, die Fledermaus lugte aus ihrem Mantel heraus: „Ein Virus.“

„Na dann, klopf auf Holz“, sagte der Specht.

P. S.: Diese Fabel habe ich anlässlich des Globalen Klimastreiks von Fridays For Future geschrieben. Während wir beharrlich an unserem eigenen Aussterben arbeiten, haben wir bereits 83 Prozent der Wildtierarten ausgelöscht.

 

Photo by roya ann miller on Unsplash

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3 Kommentare

  1. Liebe das! – Danke für den wunderschönen Text! :))))

    BTW.: Dein Newsletter ist einer der ganz wenigen, den ich nicht hauptsächlich als Störung und Belästigung erlebe, sondern jedesmal fühl ich mich neu angeregt und aufgefrischt. Das Belohnungszentrum in meinem Köprchen springt schon beim Anklicken an. Eine großartige Leistung, diese „continuous writing high performance“, und v.a. eine echte Bereicherung meines Alltags! <3

    • Oh, danke, Ardalan! Das ist wirklich Balsam auf meine einsame Schreiberinnenseele. 😊

  2. Christian

    Großartig geschrieben! Die Lektüre war – wie schon bei vielen anderen Beiträgen von Dir – wieder ein echter Genuss. Mal abgesehen davon, dass die Botschaft natürlich richtig und wichtig ist.
    Nur wird leider das Virus langfristig die Situation auch nicht ändern – eher belohnt es noch uns Ressourcen-Verschwender in den Industrieländern, die wir als erste vom Impfstoff profitieren, während im Rest der Welt diejenigen sterben, die am wenigsten für die aktuelle Entwicklung können.

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