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Corona Bits’n’Pieces

Hatte einen traurig-verzweifelten Artikel geschrieben, weil ein Mensch gestorben ist. Die Nachricht hat mich sehr getroffen. Habe dann aber beschlossen, dass es privat bleiben soll. R.I.P.

Der Alltag schleppt sich so dahin. Schlechte Nachrichten werfen mich heftiger aus der Bahn als sonst. Aber jetzt geht’s wieder. Ich könnte die dank wegbrechender Aufträge entstandenen Zeitfenster ja nutzen, um fürs Studium zu lernen oder endlich mein Buch fertigzuschreiben. Leider kann ich mich so schlecht konzentrieren – eindeutig Stresssymptome. Deshalb reicht es heute auch nur für ein paar bits’n’pieces.

Lese mein Virenbuch weiter. Man muss ja auf dem Laufenden bleiben. „Viren! Helfer, Feinde, Lebenskünstler in 101 Porträts“ heißt das geniale Werk der Mikrobiologin Marilyn J. Roossinck. „101 Steckbriefe von badass motherfuckers“ wäre der bessere Titel gewesen. Schon faszinierend, dass wir von einer unsichtbaren Galaxie dieser Winzlinge umgeben sind, die uns ruckzuck den Garaus machen können. (Es gibt auch neutrale und hilfreiche Viren, aber die werden nicht erforscht.)

So ein paar Fakten über Viren fand ich echt erstaunlich:

  • Das Wort „Virus“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Gift, Saft, Schleim“. Ich finde, das gibt auch Videos und Memes, die viral gehen, eine ganz neue Note.
  • Viren können alle Lebewesen infizieren: Pflanzen, Tiere, Menschen, Pilze, sogar Bakterien und – haltet Euch fest – andere Viren.
  • Viren, die Bakterien infizieren, sogenannte Bakteriophagen, besitzen eine Landevorrichtung wie ein Raumschiff. Sie bohren dann den Wirt an und spritzen ihre DNA hinein.
  • Sind Viren lebendig? Eigentlich nicht, da sie keinen eigenen Stoffwechsel haben. Medizinphilosophisch ist das jedoch umstritten. Vermutet wird, dass sie erst durch ihren Wirt lebendig werden und vorher ruhen – ähnlich wie Pilzsporen.
  • Viren sind winzig klein und nur unter dem Elektronenmikroskop sichtbar. Aber vor kurzem wurden Riesenviren entdeckt, die mit einem normalen Lichtmikroskop zu sehen sind.
  • Bei Viren ist alles möglich. Sie halten sich an keine Regeln, was Aufbau und Funktionsweise angeht. Wie gesagt: badass. Wissenschaftler*innen haben deshalb ziemliche Probleme, Viren zu klassifizieren. Einige sind nicht zuzuordnen.
  • Viren sehen einfach geil aus: wie ein Fußball, wie eine Diskokugel, wie ein Raumschiff.
  • Viren sind voll die Gangster. Sie kommen in Dein Haus, bauen ihren Kopierer auf und drücken dann auf „10.000“. Alle Kopien kommen gleichzeitig raus. In einem einzigen Infektionszyklus können sie Hunderte Milliarden Kopien von sich machen. Dann zerstören sie alles.
  • Falls Ihr traurig seid wegen Sommerurlaub: In jedem Milliliter Meerwasser befinden sich 10 Millionen Viren. 😉
  • Viren können das Immunsystem austricksen, indem sie sich in den Zellen verstecken und sich dort langsam vermehren. Andere tarnen sich oder greifen selbst das Immunsystem an. Was für eine Chuzpe!
  • Viren sind komplett von ihrem Wirt abhängig. Das Ausbrechen von Krankheiten ist eigentlich kontraproduktiv, denn es gefährdet den Wirt und damit auch das Virus. Schwere Krankheiten und Tod sind Anzeichen einer unreifen, stürmischen Beziehung zwischen einem neuen Virus und seinem Wirt.
  • Viren integrieren sich in die Genome ihrer Wirte. Sie werden ein Teil von uns.

Auf Balkon und im Gartenfrühbeet keimen die ersten Samen. Gestern hab ich den Wein beschnitten, nachdem ich zufällig im Fernsehen gesehen hatte, wie es geht. Am Anfang klingt alles wie eine Wissenschaft, ich hab immer Angst, irgendwas falsch zu machen. Dann mach ich es und es stellt sich als ziemlich simpel heraus. Wahrscheinlich ist das wieder so ein Männerding: Es wird alles wahnsinnig kompliziert verkauft, obwohl es eigentlich gar kein Ding ist. So wie Kühlwasser nachfüllen oder Bohren. Früher hatte meine Mutter sogar Angst vorm Tanken.

Apropos: Habe einen riesigen Pax-Schrank zusammengebaut, komplett mit Innenbeleuchtung. Die habe ich im Nachhinein reingebaut, als der Schrank schon stand. Dafür hab ich sogar eine clevere Lösung ohne Bohren gefunden, die es auf Youtube noch nicht gab. (Die Kabel hinten nach oben durch die mit der weißen Plastikwinkel verschlossenen Löcher führen, dann oben auf dem Schrank alle Kabel zusammenführen und in die Verteilerdose stecken, das Netzkabel dann an der Seite runterführen zur Steckdose.)

Vielleicht sollte ich einen Superwoman-Youtube-Channel aufmachen, wo ich zeige, wie einfach das eigentlich ist – selbst für handwerklich durchschnittlich begabte Frauen wie mich. Es macht einfach so einen Riesenspaß, wenn man eine Lösung gefunden hat. Das gibt auch voll die Selbstbestätigung, siehe Rosengitter. 😀 Es irritiert mich zusehends, wie sehr es mir Spaß macht, Sachen zu bauen.

Alle backen jetzt und puzzlen. Ich hatte mir auch drei Puzzles bestellt, schön mit Reisemotiven, wenn man schon nicht raus kann: Comer See, Rom, die Rocky Mountains. Getreu meinem Motto „Wenn schon, denn schon“ habe ich mit 500 Teilen angefangen. Als Kind habe ich puzzlen gehasst, aber das gilt auch für Rosenkohl. Daher dachte ich mir, ich probier’s jetzt noch mal.

Und siehe da: Es funktioniert ganz gut. Ist wirklich eine schöne Konzentrationsübung. Man kann es sich nicht leisten, währenddessen an was anderes zu denken. Es schult auch die Intuition und sogar das strategische Denken. Da ich ja gleichzeitig unsagbar faul bin, versuche ich, das Ganze mit minimalem Aufwand hinzukriegen. Also erst mal die Eck- und Randstücke finden, dann grob nach Zonen sortieren (Meer, Wald, Häuser, Himmel). Zwischendurch weiß man dann plözlich wie von selbst, wo ein Teil hingehört. Demnächst dann 1.000 Teile.

Mittlerweile werden Menschen in Politik und Wirtschaft hibbelig und würden diese ganze Pandemiesache gern beenden. Ähm ja, wer nicht, ne? Niemand ist scharf darauf, die Wirtschaft in Grund und Boden zu fahren. Keine*r will bei bestem Frühlingswetter drinnen hocken. Oder statt an den Comer See zu fahren ein Bild davon zusammenpuzzlen.

Mir kommt es vor, als hätten einige Leute nicht verstanden, was Pandemie bedeutet. Und dass Schul- und Betriebsschließungen und social distancing keine willkürlichen Maßnahmen sind, die sich irgendwer spontan ausgedacht hat, sondern die gängigen Tools aus dem Baukasten der Epidemiologen (s. auch Pandemie-Szenario von 2013).

Insofern mutet es fast schon fahrlässig an, wenn jetzt Front gemacht wird für eine vorzeitige Aufweichung dieser Maßnahmen. Abgesehen davon: So sehr ich es auch verstehen kann, dass z. B. Restaurantbesitzer wieder öffnen wollen – wer würde sich denn jetzt freiwillig in ein Restaurant setzen, selbst mit genügend Abstand?

Auch die geheimnisvoll „Heinsberg-Protokoll“ getaufte Studie scheint für politische Zwecke missbraucht werden zu sollen. Sie wird in den sozialen Medien vermarktet durch Kai Diekmanns PR-Agentur Storymachine – allein dies ist dubios genug. Wenn ein Kommunikationsteam von 10 Leuten auf unbestimmte Zeit daran arbeitet, fragt man sich schon, wer das bezahlt (angeblich die Landesregierung NRW). Und vor allem: Cui bono? Sieht für mich so aus, als hätte Laschet sich einen Virologen gekauft, um sich durch beherztes Ankurbeln der Wirtschaft als Kanzlerkandidat zu profilieren. Zum Kotzen.

Finde die Berichterstattung in Deutschland sowieso merkwürdig steril. Ein paar Zahlen, das war’s. Aus den Kliniken bekommt man sehr wenig mit. Über Einzelschicksale wird kaum berichtet. Dann liest man auf Twitter, dass Menschen wirklich an COVID-19 sterben, also ein Onkel oder eine Schwester, und wie Familien daran fast zerbrechen.

Vielleicht hilft es, sich daran zu erinnern, dass es darum geht: um Menschenleben. In diesem Video schildert eine sichtlich schockierte P!nk, wie sie selbst und ihr dreijähriger Sohn schwer an COVID-19 erkrankten. „Sie haben uns gesagt, Kinder können es nicht bekommen“, ist nur ein Schlüsselsatz. Auch die Symptome waren höchst unterschiedlich.

In diesem Artikel berichtet der kanadische Notfallmediziner Dr. Brett Belchetz über die Vielfalt der Symptome: “Erschreckend ist, dass wir anfangs eine klare Falldiagnose hatten: Reisen, Husten, Kurzatmigkeit, Fieber. Aber wir haben herausgefunden, dass fast alles ein Anzeichen von COVID-19 sein kann. Wir hatten Patienten mit Kopf- oder Bauchschmerzen als einziges Symptom. Dann machen wir einen Abstrich und sie sind positiv.“

Fakt ist, dass wir einfach noch nicht genug über das Coronavirus und seine Übertragungswege wissen.

Übern Gartenzaun erzählte ich der Nachbarin, dass ich dem Schornsteinfeger abgesagt habe wegen Corona. Weil der ja, falls er asymptomatisch und infektiös sei, die Viren im ganzen Haus hätte verteilen können. Sie schüttelt den Kopf: „Da müsste er jemanden schon küssen und vergewaltigen.“ Tja, so sieht es aus mit dem Wissen in der Bevölkerung. Dabei reicht schon ein Huster, um die Viren weiträumig über mehrere Supermarktgänge zu verbreiten. Oder eine feuchte Aussprache im Gespräch.

Nicht zu vergessen: Einige Corona-Überlebende haben Lungen- und Herzschäden beibehalten. Und Südkorea meldet, dass 91 Genesene offenbar aufs Neue erkrankt sind. Es ist also viel zu früh für Experimente. Ich würde mir hier wirklich mehr Geduld und Vernunft wünschen.

Tipps, wie man die Iso aushält, kommen aus allen Ecken, von Mönchen, Schriftsteller*innen und Gefangenen. Im Guardian beschreibt Ex-Häftling Jennifer Toon, was sie in 20 Jahren Gefängnis gelernt hat:

„Vor der Haft war meine Weltsicht ziemlich beschränkt und egoistisch. Ich war dafür bekannt, schreckliche Wutanfälle zu bekommen, weil ich versuchte, die Realität meinem Willen zu unterwerfen. Dabei hing mein Frieden davon ab, dass ich mich der Realität beuge. Das Leben drehte sich nicht um mich. Ich musste lernen, was unter meiner Kontrolle war und was nicht. Ich entdeckte auch, dass die Zeit im Bezug zu einer Emotion oder einem Erlebnis steht und dass sie sich verlangsamt oder beschleunigt, je nachdem wie präsent ich sein kann. Also lernte ich, im Fluss zu sein, nicht zu eilen oder aufzuschieben, sondern mich voll auf das einzulassen, was vor mir lag.“

In diesem Sinne: Frohe Ostern.

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4 Kommentare

  1. Hallo Lydia, auch ich bin entsetzt, dass allenthalben zum fröhlichen Halali geblasen wird und die Presse außerdem schwadroniert, dass die Bevölkerung Anzeichen erkennen lässt, dass sie demnächst morden und brandschatzen wird, wenn sie nicht bald wieder im Pulk an die frische Luft darf. Ich selbst erkenne nichts dergleichen, aber irgendwas wird zur Orchestrierung von Laschets Ambitionen herbeigeschrieben – ich denke immer „Aha, soso, ihr wisst aber schon, dass ein Virus per se keine Kinderstube hat?“
    Ich bleib daheim. Besser ist das.

  2. Carrie

    Gut, dass du es schreibst. Mein Eindruck war auch, dass der Streeck gekauft ist.

  3. Ardalan

    „Viren integrieren sich in die Genome ihrer Viren“ sollte heißen „Viren integrieren sich in die Genome ihrer Wirte“, oder?

    Kannst den Kommentar gerne löschen, nur mein innerer ausgprägter Korinthenkacker zwingt mich (mit vorgehaltener Pistole), Dir das zu schreiben.

    LG und Danke für den schönen Artikel wieder mal! Und viel Kraft und liebe Menschen für Dich wegen dem Privaten! <3
    Ardalan

    • Lydia

      Jaaa, richtig! Danke. Meine Birne ist auch schon etwas matschig. 😁

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