Da musste ich doch eben tatsächlich bei mir selber nachlesen, was mein Jahresmotto für 2024 war: Mehr Spaß! 😀 Naja, da ist definitiv noch Luft nach oben. Aber ich muss feststellen, dass ich nach einigen schwierigen Jahren langsam meinen Humor wiederfinde. Was bleibt einem auch übrig … 😛 Also, 2024 war nicht ganz so heftig wie das Jahr davor. Aber wie gesagt, es darf gern noch besser werden.
Anfang des Jahres stand ich kurz vor dem 3. Burnout. Unerklärliche Schmerzen jagten mich von Arzt zu Ärztin und nichts kam dabei raus. Mit letzter Kraft buchte ich einen Flug nach Thailand und siehe da: Kaum landete ich in der Wärme, waren die Schmerzen weg. Das bestätigt meine These, dass es vielleicht der heftige Berliner Winter ist, der mir nicht gut tut. Früher bin ich ja öfters abgehauen, aber es ist nicht besonders klimafreundlich.
Rettung
Im Nachhinein muss ich zugeben, dass Thailand mich vor einem weiteren Burnout gerettet hat. Sonne, Meer, Strand statt Stress, Kälte und Probleme. Und noch etwas hat mich gerettet: Trash-TV. Ich kenne ja die Hintergründe von Reality TV, zwar nicht aus eigenem Erleben, aber von einigen Kolleginnen, die an solchen Sendungen beteiligt waren. Das war allerdings vor vielen Jahren, als noch unschuldige Normalos vor die Kamera gezerrt wurden.
Durch ein für dunkle Winterabende abgeschlossenes RTL+-Abo (jaaaaaa …) wurde mir klar, dass es mittlerweile eine ganze Kaste von professionellen Reality-Darsteller*innen gibt, die durch alle RTL-Formate touren und sich dort, in tiefer Hassliebe verbunden, immer wieder begegnen. Ein eigener Kosmos!
Erst kannte ich keine*n, jetzt kenne ich alle. Claudia „Schampus bitte“ Obert! Eric „Enkel des Volkskammerpräsidenten“ Sindermann! Kader Loth, die ich schon zu meiner Fernsehzeit persönlich traf, gilt mittlerweile altersbedingt als ehrwürdige „Trash-Queen“. Sie und ihr Gatte führen öffentlich ihre insgesamt 3 Gehirnzellen spazieren – das ist sehr unterhaltsam und irgendwie auch liebenswert.
Oft denkt man ja, einfach gestrickte Menschen haben es leichter im Leben: Die machen sich keine Gedanken, sondern leben halt einfach. Wenn man dann aber sieht, wie sie strugglen und an einfachsten Problemen scheitern, können sie einem fast ein bisschen leid tun. In meiner Situation hat mir Trash-TV jedenfalls viele lustige Abende beschert. Ich habe mir erst das Dschungelcamp reingezogen und dann alle Staffeln Sommerhaus rückwärts. Danach ging’s mir besser. Bei aller Kritik muss ich also eingestehen, dass diese Formate wohl doch ihre Berechtigung und ein Publikum haben – mich inklusive.
Haus
Ich habe einen guten Heimplatz gefunden, was aber nicht sofort alle Probleme löste. Mittlerweile geht es. Daraus entstand aber ein neues Problem: Was tun mit dem Haus am Stadtrand? Mein Plan war, das Haus aufzuräumen und zeitweise möbliert zu vermieten, um das Heim mitzufinanzieren. An dieser Stelle muss ich mal wieder feststellen, dass ich gern Pläne mache, ohne mir deren Ausmaß zu vergegenwärtigen. Hätte ich gewusst, wie viel Arbeit auf mich zukommt, hätte ich vielleicht anders entschieden.
Es folgten 5 (!) Monate Entrümpelung, Renovierung, Räumerei. Wie aus dem Nichts materialisierte sich ein Freund, der zufällig ein begnadeter Inneneinrichter ist und zufällig Zeit und Lust hatte, mir zu helfen. Ohne ihn hätte ich es nicht geschafft. <3 Zwischendurch habe ich immer wieder fast die Hoffnung verloren, dass dieses Projekt je ein Ende findet, aber er hat mich aufgebaut. Es war nicht ganz einfach für mich, diese Hilfe anzunehmen und mich nicht die ganze Zeit verpflichtet zu fühlen, mich zu revanchieren (was ich ab und zu versucht habe).
Das Haus ist jetzt online und ich hatte es mir nicht so schwierig vorgestellt, Mieter*innen zu finden. Also, nicht irgendwelche, sondern zu den Gegebenheiten des Hauses passende. So groß kann die Wohnungsnot in Berlin nicht sein. Scherz. Es ist jedenfalls interessant, mal auf der anderen Seite zu stehen.
Während der Arbeiten im Haus stellte ich fest, dass ich dazu neige, mich zu verzetteln. Das war jetzt nicht wirklich etwas Neues 😀 , aber es fiel mir extrem auf. Ich nahm immer die Dinge in Angriff, die mir ins Auge fielen oder auf die ich gerade Lust hatte.
Durch meine mittlerweile fast 10 Jahre Freiberuflichkeit bin ich es gewohnt, zu arbeiten, was, wann und wie ich will. Psychologisch kann ich mir das auch so erklären, dass der übermäßige Gebrauch von sozialen Medien 😛 meine Aufmerksamkeitssteuerung zerf…etzt hat. Bzw. habe ich mir dadurch antrainiert, auf äußere Reize zu reagieren, statt selbst den Fokus zu setzen.
Nachdem ich mehrere 12-teilige Porzellanservice in Seidenpapier eingewickelt hatte und im Schrank noch weitere fand, entwickelte ich eine starke Abneigung gegen Porzellanservice. 😀 Es hat wirklich ganz bis zum Schluss gedauert, bis ich mich dazu durchringen konnte, die auch noch einzuwickeln. Das ist eigentlich ein Fortschritt, denn ich wurde dazu erzogen, jede Aufgabe klaglos zu erfüllen. Dass ich mir erlaube, eine Arbeit nicht zu mögen, ist also etwas Gutes.
Ich habe auch gemerkt, dass ich Angst vor unwiederbringlichen Entscheidungen habe, wie z. B. Löcher in die Wand bohren. 😀 Da könnte ja was schiefgehen bzw. ist es das in der Vergangenheit schon. Ich habe die bröselige Wand in meinem Bad mal mit Löchern übersät – beim Versuch, einen Klorollenhalter anzubringen. Er hängt bis heute nicht. Das hat mich traumatisiert. 😉
Wein
Mein Wein ist wieder nichts geworden, weil ich mich nicht getraut habe, ihn rechtzeitig (wann ist das?!) abzufüllen. Irgendwie habe ich Angst vor solchen Entscheidungen. Aber ich hatte auch gar keine Zeit dafür. Als ich die 25 Liter (!) wegkippte, fand ich, dass er doch noch ganz lecker roch. Naja. Immerhin haben wir mitten im Renovierungsstress noch Traubensaft gepresst, der wieder köstlich geworden ist. Leider ist er immer so schnell weggetrunken. Vielleicht investiere ich doch mal in eine elektrische Presse – damit lässt sich noch mehr Saft rausholen. Saft ist der neue Wein.
Marseille
Nachdem ich einmal kurz in Marseille war, wollte ich mir die Stadt genauer anschauen. Was soll ich sagen – es war toll. Mir hat eigentlich alles gefallen: Die Leute, das Essen, die Häuser, der berühmte Hafen, die freundlichen Menschen. Am Alten Hafen hatte ich mich gefragt, wieso an einem Ufer ziemlich hässliche Neubauten stehen. Hatte die Stadt etwa das alte Hafenviertel abgerissen?!
Einen Museumsbesuch später war ich schlauer. Und erschüttert. Es waren die deutschen Besatzer, die 1943 das historische Altstadtviertel St. Jean gesprengt hatten. Sie hielten es für einen multikulturellen Sündenpfuhl, den es auszumerzen galt. Über 6.000 Juden, Flüchtlinge und Nordafrikaner*innen wurden verhaftet und ein Teil von ihnen in KZs deportiert.
Unsere Vorfahren haben auf dem gesamten Kontinent eine Blutspur hinterlassen. In Zukunft werde ich mich an jedem Urlaubsort vorher informieren, was die Deutschen da verbrochen haben. Einfach der Demut und des Respekts halber.
Umso bemerkenswerter, dass ich in Marseille von einer Künstlerfamilie sehr warmherzig aufgenommen wurde. Sie luden mich nicht nur zum Essen ein, sondern packten mich auch noch ins Auto und zeigten mir die unfassbar schönen Strände. Ich habe mich ein bisschen in Marseille verliebt: das Meer, die Leichtigkeit, die Straßenkunst. Leider kann es dort extrem windig sein, was ich nicht gut vertrage. Daher wird es wohl eine unerfüllte Liebe bleiben, seufz.
Schöffin
Meiner ersten Gerichtsverhandlung als Schöffin fiebere ich immer noch ungeduldig entgegen. Zwar bin ich nur Ersatzschöffin, aber ich würde trotzdem gern mal eingesetzt werden. In der Zwischenzeit habe ich immerhin Knasterfahrung gesammelt 😀 und bilde mich weiter, was man als Schöffin im Prozess tunlichst bleiben lassen sollte: z. B. aufs Handy schauen oder Einkaufslisten führen.
Podcasts
In dieser Hinsicht lehrreich und augenöffnend zugleich ist der Podcast von Amanda Knox (ja, der!). Ich habe mir die Miniserie „False Confessions“ angehört und kann sie nur empfehlen. Es ist erschreckend, wie einfach es ist, Menschen dazu zu bringen, Taten zu gestehen, die sie nicht begangen haben. Um es kurz zu machen: Psychische und manchmal sogar physische Gewalt im Verhör steht anscheinend nicht nur in den USA auf der Tagesordnung.
Reflexhaft würde wohl jede*r von uns erst mal sagen: „Ich geb doch nix zu, was ich nicht getan hab. Einen Teufel werde ich tun!“ Aber wenn Polizist*innen stundenlang (bis zu 15 Stunden!) auf einen einbrüllen, Suggestivfragen stellen oder gar Aussagen vorgeben, angebliche Beweise und belastende „Zeugenaussagen“ vorbringen, falsche Versprechungen wie „Unterschreib mal hier und dann darfst du nach Hause“ machen, dann gibt man irgendwann auf.
Mich würde man ja schon mit Schlaf- und Nahrungsentzug ganz schnell kleinkriegen. Das sind Foltermethoden, die es eigentlich in einem Rechtsstaat gar nicht geben dürfte. Aber der Druck auf die Polizei, schnell eine*n Täter*in zu liefern, ist offenbar sehr hoch. Und ein Geständnis ist der bequemste Weg dahin.
Am Ende will die beschuldigte Person nur noch raus aus dem Verhörraum und dieser Extremsituation – um jeden Preis. Also unterschreibt sie alles. Das Perfide: Gerade Unschuldige sind sich sicher, dass sie ihr Geständnis später widerrufen können und man ihnen glauben wird. Schließlich gibt es keine DNA-Beweise. Vielleicht haben sie sogar ein Alibi für den Tatzeitpunkt.
Psychologisch hat aber ein Geständnis für die Geschworenen (in Deutschland: Berufs- und ehrenamtliche Richter*innen) eine sehr große Beweiskraft. Außerdem wissen viele zu wenig darüber, wie anfällig das menschliche Gehirn für falsche Erinnerungen ist.
Viele der unschuldig Verurteilten sind in diese schlimme Lage geraten, als sie noch sehr jung waren (Amanda Knox war 20, als sie verhaftet wurde). Das machte es noch schwerer, sich gegen die Tricks der Polizei zu wehren. Außerdem wurde ihnen von klein auf eingeimpft, dass die Polizei ihr „Freund und Helfer“ sei.
Sie gehen also naiv in das Verhör, denn erstens sind sie ja unschuldig und zweitens können sie sich einfach nicht vorstellen, dass die Polizei ihnen ins Gesicht lügt. Häufig verzichten sie auf eine*n Anwält*in, denn sie sind ja unschuldig und glauben, keine*n zu brauchen. Großer Fehler! Auch in Deutschland gibt es berühmte Fälle von falschen Geständnissen. Jedenfalls hat mich der Podcast für das Thema sensibilisiert.
Nebenbei bemerkt war ich auch überrascht, wie intelligent und analytisch Amanda Knox ist. Unglaublich, dass sie selbst ein falsches Geständnis abgelegt hat und zwischenzeitlich sogar selbst davon überzeugt war, des Mordes schuldig zu sein. Internalisierte falsche Geständnisse kommen oft zustande, wenn die Polizei mit der „Blackout-These“ daherkommt. Nach dem Motto: „Wir haben Beweise und Sie können sich einfach nicht dran erinnern, weil Sie einen Blackout hatten.“ Das ist Bullshit, aber kann Menschen sehr verunsichern.
Ein weiterer beeindruckender Podcast ist „Avignon“ von der französischen SPIEGEL-Korrespondentin Britta Sandberg. Es geht um den Vergewaltigungsprozess gegen Dominique Pelicot und über 50 weitere Täter. Ich habe viele haarsträubende Details aus dem Gerichtssaal erfahren, die die Tat noch monströser machen, als ich den Presseberichten entnommen hatte.
Dieser Prozess ist eine Zäsur für alle Frauen, denn er zeigt: Als Frau bist du nie und nirgendwo sicher. Nicht mit 72 Jahren, nicht in einer Ehe von 50 Jahren mit 3 Kindern und 7 Enkeln, nicht in einem scheinbar perfekten Leben. Gisèle Pelicot hat sich geweigert, sich zu schämen für das, was ihr angetan wurde, und alle Details öffentlich gemacht. Ein unglaublich mutiger Schritt, für den sie in die Geschichte eingehen wird. Bleibt die Frage, wie Frauen überhaupt vor so etwas geschützt werden können. Vor Kurzem deckte eine Recherche von Strg F auf, dass sich Männer auf Telegram in riesigen Gruppen für solche Verbrechen verabreden.
Den Podcast „Unter Mördern“ über vier Inhaftierte der JVA Tegel habe ich schon in meinem Beitrag „Knasterfahrung“ gepriesen.
Familienforschung
Die Familienforschung hält mich immer noch auf Trab. Nach dem Gärtnern und der Außenpolitik ist wohl auch das Geschichtsinteresse meines Vaters plötzlich bei mir angekommen. Ich bin selbst überrascht, wie viel Spaß es mir macht. So eine Recherche ist eine wunderbar zweck-, druck- und folgenlose Beschäftigung. Ich bin intrinisch hochmotiviert, das große Puzzle zu vervollständigen und fahre demnächst sogar nach Schleswig (!) ins Landesarchiv Schleswig-Holstein, um mir dort ein paar Akten von 1795 über einen Pastor aus meiner Familie reinzuziehen. Es gab Beschwerden über ihn – da will ich natürlich wissen, was los war. 🙂
Mir kommt auch entgegen, dass ich nicht systematisch, sondern nach Gusto und Intuition wild herumrecherchieren kann. Manchmal kommt halt gar nix raus, so what. Dann springe ich zu einem anderen Familienzweig. Und plötzlich gibt es einen Treffer, der mich umhaut.
Manchmal befällt mich die Angst, was ich eigentlich mache, wenn ich alles herausgefunden habe, wenn der Stammbaum makellos und fertig ist? Was fange ich dann an, was mir die gleiche Freude bereitet? Aber dann fiel mir ein, dass ich wohl niemals den perfekten Status erreichen werde. Es öffnen sich ja immer neue Türen, das ist ja das Faszinierende. Allein das ganze Thema Osteuropa und Flucht könnte mich auf Jahre beschäftigen.
Studium
Das Studium dümpelt vor sich hin. Irgendwie habe ich das Interesse verloren – nicht an der Psychologie, aber am Studium. Mein Fokus verlagert sich weg von dem, weswegen ich das Studium urprünglich begonnen hatte (Arbeits- und Organisationspsychologie), hin zu aktuell Rechts- und Kommunikationspsychologie. Jetzt bin ich aber so weit gekommen, dass ich es wohl mit Ach und Krach beenden werde.
Tagebuch
Eigentlich war ich nie eine Tagebuchschreiberin. Immer wenn ich es versucht habe, war ich schnell gelangweilt von meinem eigenen Leben. 😀 Jetzt habe ich aber in Vorbereitung auf diese Bilanz die vom Vorjahr gelesen und dachte: Mensch, für jemand mit einem extrem schlechten Gedächtnis wäre es vielleicht doch ganz gut, mal ein paar Eckpunkte zu notieren. Dann kann ich das später im Altersheim nachlesen. 😀
Zu Weihnachten habe ich mir ein „Some lines a day“-Tagebuch gewünscht, wo man 5 Jahre lang ein paar Zeilen pro Tag aufschreibt. Witzig ist auch, dass man jedes Jahr wieder von vorn anfängt, also auf einen Blick sehen kann, was am selben Tag der Vorjahre passiert ist. Momentan finde ich fast, es gibt zu wenig Platz. Scheinbar ist mein Leben doch nicht so öde. 😛
Zur Familienforschung schreibe ich extra noch Tagebuch, so eine Art Making of. Aber dazu später mehr.
Motto 2025
Tja, eigentlich wollte ich mir für 2025 das Jahresmotto „Fokus“ geben. Aber wenn ich mein eigenes Blog so lese, kriege ich Zweifel, ob ich das durchhalte. Dafür habe ich zu viele unterschiedliche Interessen. Ich hab ja nicht mal das Buch „Stolen Focus – Why you cant pay attention“ zu Ende gelesen. Hahaha! Egal, sei’s drum. Ehrgeizige Ziele sind gefragt. Fokus it is. Worauf eigentlich – das wäre dann die nächste Frage.
Euch allen ein gutes Ankommen im neuen Jahr.
Titelfoto: Paul Skorupskas auf Unsplash
Fotos Marseille: Lydia Krüger