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Barcamps, das echte Leben und ich

Es soll ja richtige Open-Space-Junkies geben, also Menschen, die von einer solchen Veranstaltung (Barcamps und Open Spaces*) zur nächsten reisen. Happy Barcamper, sozusagen. Was soll ich sagen: Langsam werde ich auch zu einem.

Und damit bin ich nicht allein. Eine Menge Leute verbringen freiwillig einen oder mehrere Tage zusammen – ohne Agenda und vor allem: ohne Aussicht auf ein konkretes Ergebnis – und zahlen oft sogar dafür. So war es auch beim AUGENHÖHEcamp in Hamburg: Es gibt kein Programm, Teilnehmer schlagen spontan Themen vor und andere Teilnehmer entscheiden, ob sie hingehen.

Augenhöhe Camp Hamburg 2017
AUGENHÖHEcamp in Hamburg: So ein Sessionplan ist nie wirklich fertig.

Das Ganze ist also Selbstorganisation pur. Aber natürlich funktioniert sie nur, weil es ein paar Prinzipien als Rahmen gibt. Und ein engagiertes Orga-Team, dass die Bedingungen schafft, damit alles funktioniert.

Mittlerweile glaube ich, dass diese Prinzipien sogar fürs echte Leben taugen. Open Space 4 life, sozusagen.

Die Open-Space-Prinzipien

  1. Wer auch immer kommt, es sind die richtigen Leute.
    Überträgt man das aufs Leben, dann weiß man, dass auch die herausforderndsten Begegnungen einen Sinn haben. Wie oft kommt man irgendwohin und denkt sich: „Ach, wie schade, dass Dingenskirchen nicht da ist. Aber dafür sülzt wieder Müller-Lüdenscheidt hier rum, die alte Nervbacke.“ Das kann man sich sparen, wenn man Prinzip 1 kennt. Für den Notfall hat man immer noch Prinzip 6. 😉
    Es bedeutet übrigens auch: Wenn zu einer angebotenen Session keiner kommt oder nur eine Person, dann ist auch das richtig. Dann hat man entweder frei, kann woanders mitmachen oder eine sehr intensive Zweier-Session genießen.
  2. Was auch immer geschieht, es ist das Einzige, was geschehen konnte.
    Diese Maxime nimmt viel Druck von den Veranstaltern. Ich muss gerade an Woodstock denken. Die sind da fast abgesoffen im Schlamm – und herausgekommen ist das legendärste Festival aller Zeiten.
    Auch für diejenigen, die eine Session anbieten, entspannt sich vieles: Die Diskussion entwickelt sich in eine völlig andere Richtung? Die Hälfte der Teilnehmer geht? Einer der Teilnehmer übernimmt die Session, weil er viel mehr über das Thema weiß? Alles OK. Es gibt kein Scheitern.
    Wie sagte schon der Dalai Lama:

    Nichts ist entspannender, als das anzunehmen, was kommt.

    Das sagte sich wohl auch die Lego-Serious-Play-Trainerin beim AUGENHÖHEcamp in Hamburg, die spontan eine Session anbot, weil das Material halt da war. (Auf „normalen“ Veranstaltungen ist es wohl eher umgekehrt.)

    Augenhöhe Camp Hamburg 2017
    Wir sagen das Gleiche, meinen aber nicht dasselbe. Lego Serious Play bringt Begriffe und Ideen aus dem Kopf in die 3D-Welt.
  3. Es beginnt, wenn die Zeit reif ist.
    Interessanterweise beginnen trotzdem die meisten Sessions ziemlich pünktlich. Steckt wohl so in uns allen drin. Aber gerade am Anfang verschiebt sich der ganze Sessionplan oft, weil sich die Energie im Raum erst mal sortieren muss.
    Ich finde das einen sehr spannenden Punkt, denn in unserer durchgetakteten Zeit verlieren wir immer mehr das natürliche Gefühl dafür, wann etwas „dran“ ist. Hier kann man’s wieder lernen. Ich bin dafür, viel mehr Dinge im Leben dann zu machen, wenn sie dran sind. Das fängt bei einfachen Körperfunktionen an und hört beim Verabschieden auf.
  4. Vorbei ist vorbei – nicht vorbei ist nicht vorbei.
    Nichts ist schlimmer, als wenn etwas, das offensichtlich vorbei ist, noch weiter hingezogen oder zerredet wird. Hier kann man, wenn alles gesagt ist, einfach aufhören. Oder man macht länger, weil die Teilnehmer so drin sind im Thema. Auch dies eigentlich ein Affront gegen unser durchgetimetes Leben. Den Dingen genau die Zeit zu geben, die sie brauchen, ist eine entspannende Erfahrung.
  5. Das Hummel-Schmetterling-Prinzip
    Herumhummeln ist erlaubt! Soll heißen: Wenn ich merke, dass das Thema doch nicht meins ist oder die Diskussion an mir vorbeigeht oder mich ein anderes Thema mehr interessiert, darf ich – wie die Hummel (an dieser Stelle einfach mal ein Link auf mein Lieblingsgedicht „Ode an die Hummeln“) – wegfliegen.
    Oder ich werde zum Schmetterling, hänge irgendwo rum und bin einfach nur schön. 🙂 Schließlich wurde die Unkonferenz als verlängerte Kaffeepause erfunden, warum also nicht mal mit jemandem nen Kaffee trinken? Ich war beim AUGENHÖHECamp in Hamburg zum ersten Mal auch Schmetterling und habe sehr intensive Gespräche geführt.
  6. Das Gesetz der zwei Füße
    Hier geht’s um Freiheit und Selbstverantwortung. Ich darf autonom handeln – und zwar ohne Scham (denn die Regeln werden vor der Veranstaltung erklärt). Das macht frei, selbstbewusst und auf gesunde Weise egoistisch. Oder wie Silke Luinstra es formulierte: „Wenn ich weder etwas lerne noch etwas beitragen kann, dann gehe ich.“ Was für ein schönes Motto – auch fürs Leben, für Jobs, für Partys, für Beziehungen!

Und was bringt’s?

Eine Frage, die ich mir immer wieder gestellt habe: Und was soll jetzt der ganze Zirkus? Was bringt es mir? Und den anderen? Inspiration, na schön. (Ist nicht so, dass es mir daran mangelt, aber man kann wohl nie genug davon haben.) Kontakte, OK. In der Tat ist es gerade für Nichtnetzwerker wie mich ein sehr angenehmes Format, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Gute Energie tanken, auch hilfreich.

Aber Fakt ist: Wenn man nicht gerade mit einem klaren Problem in so ein Camp gekommen ist und das Glück hatte, dieses Problem gemeinsam mit anderen Teilnehmern in einer Session lösen zu können, dann geht man ohne Ergebnis nach Hause.

Ich fand das oft unbefriedigend. Oder wie es eine Teilnehmerin formulierte: „Man geht mit demselben Gedankenchaos raus, wie man reingegangen ist.“ Oder mit noch mehr. 🙂

Neulich, nach dem AUGENHÖHECamp in Hamburg, wurde mir klar, was es bringt: Ich bin nicht mehr dieselbe. Diese Art der Arbeit macht was mit mir. Oder etwas pathetischer: Barcamps can change your life. Und genau das ist der Mehrwert: Er ist unsichtbar, aber unendlich wertvoll.

Der Mehrwert

Barcamps haben dazu beigetragen, dass ich mehr Sicherheit bekommen habe, spontan und frei zu sprechen. (Es gibt mehrere Gründe, warum das für mich schwierig ist – einer davon ist eine unzuverlässige Stimme.)
Ich halte weitgehend unvorbereitet Sessions ab. OK, ich improvisiere sowieso gern – ich mag den Kick. 😉

Augenhöhe Camp Hamburg 2017
Augenhöhe geht auch mit Augenringen: Meine Session „Tun statt Zerreden – mit Spielprinzipien Muster brechen“

Dass mir endlich einmal zugehört wird und ich Feedback auf meine Ideen bekomme, hat für mich eine fast therapeutische Wirkung. Ist dann auch egal, was davon ich später umsetze und wie.

Ich empfinde Barcamps und Open Spaces auch als sehr geschlechtergerecht. Das ist so angenehm.
Überhaupt staune ich jedes mal über den hohen Frauenanteil (ganz ohne Quote) – genau wie über den hohen Anteil von Frauen, die sich vorne hinstellen und Sessions anbieten. Das, was man sonst oft beobachtet, dass Männer schnell eine Veranstaltung oder Diskussion dominieren und die Frauen sich zurückhalten, findet nicht statt.

Die allgemeine Akzeptanz, die psychologische Sicherheit, so sein zu dürfen, wie man ist, scheint Frauen und der Art, wie sie arbeiten, sehr entgegenzukommen. Ich vermute, es liegt an Faktoren wie: Stuhlkreis statt Podium, Workshop-Gruppen von höchstens 30 Leuten statt Publikum mit 150 Köpfen und der allgemeinen Übereinkunft, einander Raum zu geben und zuzuhören.

Es liegt sehr wenig Konkurrenz und sehr viel Miteinander in der Luft, eine Akzeptanz. Augenhöhe eben. Dazu trägt vielleicht auch der permanente Rollentausch bei: Mal leite ich eine Session, mal bin ich Teilnehmerin, mal nur stille Zuhörerin oder ziehe mich ganz raus. Was nicht heißt, dass nicht auch schon die Fetzen geflogen sind in einigen Sessions. Und ja, es liegt wohl auch ein bisschen an der Art von Mensch, die zu solchen Veranstaltungen geht.

Fridtjof Bergmann, der Erfinder der New Work, spricht von „Arbeit, die uns stärkt“. Barcamps stärken mich. Das wird wohl diese Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit sein, die ich auch als Gründerin am eigenen Leib erfahre.
Open Space und Barcamp bedeutet: einfach machen. Und darauf kommt es an.


Stimmen vom AUGENHÖHEcamp in Hamburg:

„Die Regeln hier sind eigentlich gar keine Regeln, sondern Regelbrecher.“
Elena, FFG Finanzportale

„Oft höre ich: Das Unternehmen will das nicht. Aber das Unternehmen sind wir. Veränderung muss von unten kommen.“
Bastian, Airbus

„Enorm fand ich die Bereitschaft, Wissen zu teilen. Aber auch wer eine Session leitet, macht sich Notizen, lernt dazu. Es ist eine herrliche Phrase, aber es stimmt: Es sind Begegnungen auf Augenhöhe.“
Vivian, Budnikowsky


Ticketverlosung

Am 28. September 2017 findet wieder ein AUGENHÖHEcamp in Berlin statt. Büronymus verlost ein Ticket im Wert von 179,99 Euro. So könnt Ihr teilnehmen: Bitte schreibt bis zum 8. September 2017 eine Mail an lydia[at]bueronymus.de mit ein paar Zeilen, warum Ihr gern teilnehmen möchtet. Es entscheidet das Los. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Ach ja, und ich werde auch wieder dabei sein. Ick freu ma.

*Ich benutze die Begriffe Open Space und Barcamp heute synonym, da sie in der Praxis oft verschwimmen. Methodisch gibt es jedoch Unterschiede.

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Fotos vom AUGENHÖHEcamp in Hamburg am 5.7.17: Alexander Krause

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7 Kommentare

  1. […] Riegel auf dem AugenhöheCamp in Berlin. (Das ist übrigens ein guter Tipp, falls Ihr mal auf ein Barcamp geht und selbst ein Thema anbietet: Überlegt Euch einen coolen Titel und schon ist die Hütte […]

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