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Interview mit Silke Luinstra: „Unternehmen brauchen Lebendigkeit“

Als Silke Luinstra, Mitglied des AUGENHÖHE-Teams, in einem Gespräch den Satz „Unternehmen brauchen Lebendigkeit statt Menschlichkeit“ erwähnte, war ich sofort getriggert. Schließlich habe ich oft genug über tote HORGs, tote Sprache und tote Gefühle geschrieben. Und auch Menschlichkeit am Arbeitsplatz ist ja mein Thema. Das war also ein guter Anlass, uns mal länger darüber zu unterhalten.

Büronymus: Mein Blog hat den Untertitel „Die menschliche Seite der Arbeit“. Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Ich hatte oft das Gefühl, dass Menschlichkeit in Unternehmen zu kurz kommt, vor allem unter Stress und Druck. Vor kurzem hast du mir erzählt, dass du mit dem Begriff „Menschlichkeit“ nicht so happy bist – warum nicht?

Silke Luinstra: Ich mag nicht, wenn das so einen Aufrufcharakter bekommt: „Jetzt bitte mal mehr Menschlichkeit!“ Oft steckt für mich dahinter: Wir lassen das ganze System so, wie es ist, und fügen da mal eine Teamentwicklung oder ein paar Coachings hinzu. Das sind zwar sinnvolle Maßnahmen, aber dadurch ändert sich nichts Grundsätzliches. Eher wird die Diskrepanz zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was getan wird, noch offensichtlicher.

Ich denke, man braucht keine Extra-Aktion für Menschlichkeit, sondern muss Lebendigkeit im Unternehmen ermöglichen, Räume für Austausch schaffen, statt sich an tote Prozesse zu klammern. Ein Unternehmen, das Lebendigkeit zulässt, ist automatisch menschlich.

B: Was verhindert denn deiner Meinung nach Lebendigkeit?

SL: Überregulierung. Ich erkläre das immer gern am Beispiel von Reisekostenrichtlinien. Man könnte stattdessen ja einfach die Devise ausgeben: „Reise intelligent!“ Wenn die Hotels in Köln zur Messe superteuer sind – macht es dann Sinn, in einem 150 Kilometer entfernten Kaff ein Hotel für 79 Euro zu buchen? Nur, weil laut Richtlinien die Grenze bei 80 Euro liegt?

B: An dieser Stelle kommt bei traditionellen Unternehmen gern der Einwand: „Naja, das kann man vielleicht mit einigen Leuten machen. Mit denjenigen, die so schlau und ehrlich sind wie wir. Aber die anderen, die werden das ausnutzen…“

SL: Ja, viele Unternehmen sind mit so einem Menschenbild unterwegs.

Ich war mal in der Pharmabranche angestellt. Da hatten wir Leute, die Millionendeals eingefädelt haben. Das hat man denen zugetraut, dass sie einen Vertrag über 55 Millionen Euro eintüten. Aber ihr Hotel durften sie nicht selbst aussuchen.

Ganz ehrlich, wenn ich einem Mitarbeiter sowas nicht zutraue, muss ich mich doch fragen: „Wer hat die Schnarchnase eingestellt?“

Es gibt natürlich immer ein paar wenige Leute, die das ausnutzen. Die wird es aber immer geben. Dagegen hilft, die Reisekosten transparent zu machen. Dadurch entsteht eine soziale Kontrolle. Wenn die Kollegen dann sehen: „Aha, die ist erster Klasse geflogen und hat 300 Euro fürs Hotelzimmer ausgegeben“, fragen sie garantiert nach. Und vielleicht gab es ja einen guten Grund. Ich würde immer erst mal eine gute Absicht unterstellen.

Wenn das wirklich jemand ausnutzt, dann gehört das eben auch zu unserem Mensch Sein dazu. Grenzen testen, das kennt man ja auch von Kindern. Dann muss es Feedback geben.

B: Das klingt anstrengend. Wird vielleicht deshalb so viel reguliert, weil man sich vor der Auseinandersetzung drücken will? Ersetzen Regeln Gespräche?

SL: Klar, Kommunikation kann anstrengend sein. Die Frage ist auch: Wenn man keine Regeln mehr hat, die man durchsetzen muss, ist man dann noch Führungskraft? Im AUGENHÖHEWege-Film wird das sehr deutlich. Die Führungskräfte eines Automobilzulieferers hatten Angst, das nicht hinzukriegen oder keine Berechtigung als Führungskraft mehr zu haben. Regeln abzuschaffen, birgt also auch ein lebendiges Potenzial zur eigenen Entwicklung.

B: Ist es einfacher, sich an Regeln und Prozessen festzuhalten?

SL: Manchen fehlt die Vorstellung, wie es anders gehen könnte. Deshalb haben wir ja auch die beiden Augenhöhe-Filme gedreht – um das zu zeigen am Beispiel von Unternehmen, die es bereits tun. Andere scheuen den Aufwand, wirklich etwas zu verändern. Das ist ja auch ein Wagnis, es entsteht zeitweise ein Vakuum. Und wenn es schwierig wird, tendieren wir Menschen stark zum Gewohnten. Bei den Unternehmen, die sich transformiert haben, gab es immer so einen Moment, wo es darum ging, durchzuhalten und nicht aufzugeben.

B: Du hast die beiden legendären AUGENHÖHE-Filme schon erwähnt. Du bist ja Teil der Augenhöhe-Crew und von Anfang an dabei. Was war deine Motivation?

SL: Ich war 2013 an einem Punkt in meinem Leben, wo ich beruflich aufhören wollte, um ein Jahr lang ein Learnical zu machen. Also, kein Sabbatical, sondern eine Zeit zum Lernen. Ich wollte viel lesen, interessante Gespräche führen, an Barcamps teilnehmen. Dann war ich beim Wevent [Barcamp-Reihe des ThinkTanks für neue Wirtschaft intrinsify.me, Anm. d. Red.] in Berlin und während der Veranstaltung entstand die Idee zu AUGENHÖHE.

Sagen wir es so: Ich habe 2014 sehr viel gelernt. Es war viel weniger Hängematte, als ich mir vorgestellt hatte, aber eine wahnsinnig bereichernde Zeit, in der ich viele spannende Menschen und Organisationen kennengelernt habe.

Die Resonanz hat uns immer weiter getragen. Schon der erste Filmtrailer hatte auf Facebook nach zwei Tagen vierstellige Zugriffszahlen. Da wussten wir, wir sind an etwas dran. Später haben wir eine der zehn erfolgreichsten Crowdfunding-Kampagnen Deutschlands gemacht. Das zeigt, wie groß die Sehnsucht danach ist, anders zu arbeiten. Und mit den Filmen haben wir diese Sehnsucht wiederum befeuert.

B: Wenn man in so einem traditionellen Unternehmen oder einer HORG arbeitet, hat man vor lauter Tagesgeschäft gar keine Zeit, über Neue Arbeit nachzudenken. Das ist wie ein Paralleluniversum. Wie kommt man an die Menschen in solchen Unternehmen ran?

SL: Tatsächlich hat sich das Medium Film da als sehr geeignet erwiesen. So einen Film sieht man schneller, als dass man ein Buch liest. Und er triggert einen emotional, jedenfalls mehr als ein trockenes Fachbuch.
Heute ist die Zahl derjenigen, die den Film auf Veranstaltungen gesehen haben, fünfstellig. Es sind auch sechs, sieben DAX-Unternehmen dabei. Und einige Zuschauer sind hinterher zu uns gekommen und hatten Tränen in den Augen: „Das es so etwas gibt! Jetzt weiß ich, dass ich nicht allein bin mit meinen Ideen, dass ich nicht falsch bin.“

In jeder Organisation gibt es Leute, die Antennen für das Thema haben. Nur kennen die einander oft nicht, nicht einmal im selben Unternehmen. Deshalb haben wir irgendwann die AUGENHÖHECamps angefangen – um einen Raum zu schaffen, in dem solche Menschen sich begegnen können.

B: Warum sollte jemand zu einem AUGENHÖHEcamp, z. B. am 5. Juli 2017 in Hamburg, kommen?

SL: Es ist eine gute Gelegenheit für Leute, die in der Arbeitswelt etwas bewegen wollen, und diejenigen, die schon auf dem Weg sind, sich zu treffen und auszutauschen. Das ist ein Geben und Nehmen. Egal, ob man selbst eine Session anbietet oder daran teilnimmt: Die Camps motivieren und elektrisieren. Man lernt Sparringspartner aus der Praxis kennen. Unsere Ticketstruktur ist so gestaltet, dass 90 Prozent der Teilnehmer aus Unternehmen kommen, 10 Prozent sind Berater. Man findet also Gleichgesinnte, das stärkt einen.

Für viele ist es aber auch erhellend, am eigenen Leib zu erleben, dass Selbstorganisation funktioniert: Dass niemand ein Thema vorgeben muss, niemand wird gezwungen, sich irgendwas anzuhören, was ihn nicht interessiert. Also, ich finde das wahnsinnig lebendig.

B: Letzte Frage: Wo geht die Reise hin? Mir scheint, dass die Schere zwischen HORGs, die mit ihrer Unternehmenskultur in den 50er Jahren stecken geblieben sind, und den Pionieren der neuen Arbeitswelt immer weiter aufgeht. Wie siehst du die Chancen, dass sich Unternehmen wirklich transformieren?

SL: Ich bin Berufsoptimistin.

Was in den Fünfzigern super funktioniert hat, passt einfach nicht mehr in unsere Zeit. Und diese Art von Unternehmen ist auch nicht das, was Menschen sich für ihr berufliches Leben heutzutage vorstellen. Zumindest in unserer westlichen Welt.

Ich mag daran glauben und meinen Beitrag dazu leisten, dass Unternehmen nachhaltig ökonomisch erfolgreich sein können in einem dynamischen Umfeld. Und dass Menschen selbstbestimmt und mit Freude arbeiten dürfen.

Silke Luinstra
Silke Luinstra, Foto: privat

Silke Luinstra hat Bankkauffrau gelernt und BWL studiert, war dann in der Personal- und Organisationsentwicklung eines Pharmakonzerns. Als Gründungsmitglied des AUGENHÖHE-Teams war sie an der Entstehung beider Filme beteiligt. Ein dritter Film mit dem Titel „AUGENHÖHE macht Schule“ ist in Vorbereitung. Silke organisiert und moderiert AUGENHÖHEcamps. Außerdem gibt es die AUGENHÖHEwegbegleiter-Ausbildung, bei der Personal- und Organisationsentwicklung Hand in Hand gehen.


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Büronymus verlost ein Ticket für das nächste AUGENHÖHECamp am 5.7. in Hamburg im Wert von 169 Euro. Schreib mir einfach bis zum 23.6. eine Mail an lydia [at] bueronymus.de mit ein paar Sätzen, warum Du gern teilnehmen würdest. Aus allen Teilnehmern lose ich dann aus. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Übrigens werde ich auch dort sein und dann für Euch über den Tag bloggen und twittern.


Interview, Ticketverlosung und Nachberichterstattung sind Teil einer Medienpartnerschaft zwischen Büronymus und AUGENHÖHECamps.

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2 Kommentare

  1. […] und gehen kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. (Hier könnt Ihr übrigens ein Ticket gewinnen für das nächste AUGENHÖHEcamp am 5.7. in […]

  2. […] Veranstaltung erklärt). Das macht frei, selbstbewusst und auf gesunde Weise egoistisch. Oder wie Silke Luinstra es formulierte: „Wenn ich weder etwas lerne noch etwas beitragen kann, dann gehe ich.“ […]

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