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Wider den Bullshit

Ich kann es nicht mehr hören. Da habe ich extra das System verlassen, um mir den täglichen Business Bullshit zu ersparen – und was muss ich lesen und hören? Business Bullshit! Und zwar von jenen Beratern, die vorgeben, das System verändern zu wollen.
Da redet jemand über Diversity, also Vielfalt – vor einem Publikum, dass zu 70 Prozent aus weißen Männern besteht. Die alle in graue und schwarze Anzüge gekleidet sind. Und was trägt der Typ auf der Bühne? Einen grauen Anzug. Mann, vielleicht hätte das dem Publikum mal ganz gut getan, einen orangefarbenen Strickpulli zu sehen. Oder einen Iro. Oder einen kreativen Schnauzer. (Ihr wisst, wen ich meine. 😉 ) Oder gar eine Frau.

Das ist ein anderes Thema, auf das ich demnächst zurückkomme. All-male panels (also reine Männerrunden, vulgo: Salami-Party) auf Kongressen und Podiumsdiskussionen werden weniger, aber es gibt sie noch. Die Male Feminists Europe, die ich sehr bewundere, haben ja vereinbart, dass sie nicht mehr auftreten, wenn keine Frau mit auf der Bühne steht. So läuft der Hase.
Wie hat schon Gandhi gesagt?
Gandhi Veränderung.001
Wenn ich Unternehmen erzählen will, dass sie etwas Grundlegendes (ihre Kultur, ihre Strukturen, ihre Arbeitsweise) ändern sollen, dann tauche ich doch dort nicht auf als Verkörperung dessen, was ich eigentlich verändern will? Und ich sondere verdammt noch mal nicht denselben Bullshit ab, den die Leute dort eh schon den ganzen Tag zu hören bekommen. Oder selbst produzieren.

Sorry, aber das kommt mir vor wie der Kokser, der den Alki zum Entzug überreden will.
Wenn wir (damit meine ich im weitesten Sinne Menschen, die die Arbeitswelt verändern wollen in Richtung mehr Augenhöhe) es ernst meinen, müssen wir bei uns selbst anfangen.

Man sollte meinen, dass es am leichtesten sei, bei der Sprache anzufangen. Aber weit gefehlt. Unter den 200 – 300 Twitter-Nachrichten und vielleicht 20 – 30 Artikeln, die ich jeden Tag lese, werden mittlerweile mindestens die Hälfte von meinem Hirn wegen akuten Business Bullshits ausgeblendet. Ich klinke mich aus. Mein Verstand weigert sich, diesen Mist aufzunehmen.

Hier mal ein paar Beispiele aus einem Interview mit einem Berater:
„Mitarbeitergespräche müssen regelmäßiger geführt und effektiver gestaltet werden.“
Man zeige mir mal, wie man ein Gespräch „effektiver gestaltet“. Effektivität heißt ja, dass man ein Ziel hat und versucht, das so gut wie möglich zu erreichen. Das setzt also voraus, dass man mit einem Ziel in so ein Gespräch geht. Und das Gespräch ist dann nur noch dazu da, dieses Ziel zu erreichen. („Ich will den Mitarbeiter da hinbekommen, dass er endlich…“) Offenheit ade! Wer auf Effektivität aus ist, will einen Effekt erzielen, Menschen steuern. Um nicht zu sagen: über den Tisch ziehen.

Wer auf Effektivität aus ist, ist ungeduldig. Und „wer ungeduldig ist, liebt nicht“, sagt mein spiritueller Lehrer. Das lässt sich jeden Tag an der Supermarktkasse beobachten, wenn die kranke Oma ihr Geld zu langsam herauskramt oder die verpeilte Bloggerin ihre Ware nicht schnell genug einpackt. Und hinter ihnen werden die Leute in der Schlange langsam aggressiv. Das ist doch alles nicht effektiv hier! Sie haben nämlich ein Ziel, müssen ganz dringend die Kinder abholen, was kochen oder aufs Sofa.

Und was heißt überhaupt „ein Gespräch gestalten“? Tanzt man da seinen Namen? Stellt man ein Blumengesteck auf den Tisch? Neuerdings sind alle unter die bildenden Künstler gegangen oder was? Wie wäre es, wenn man, statt „ein Gespräch zu gestalten“, einfach miteinander reden würde? Und noch wichtiger: mal zuhören. (Mal abgesehen davon, dass der Sinn von systematischen Mitarbeitergesprächen mittlerweile stark angezweifelt wird. Besser ist es, ständig im Gespräch zu sein.)
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Wie wär’s, wenn all die Bullshitter sich mal selber zuhören würden?
Es wäre auch schön, wenn all die menschlichen Generatoren mal aufhören würden, ständig irgendwas zu generieren: Profit, Innovationen oder gar Mitarbeiterzufriedenheit. Macht einfach Euren Job und jut is.

Ein weiterer Satz:
„Führungskräfte müssen hierin besser befähigt werden.“
Ach, diese armen Führungskräfte! Manchmal tun sie mir echt leid. Oder wie ein befreundeter Coach letztens sagte: „Was machen die Unternehmen immer mit diesen Führungskräften? Ich höre immer nur Führung, Führung, Führung! Ich versteh das gar nicht.“

Ja, alle zuppeln an ihnen herum. Weil man in Umfragen festgestellt hat, dass Führungskräfte in einem hohen Maß für Unzufriedenheit, innere Kündigung und die beschissene Gesundheitsquote verantwortlich sind. Führungskräfte sind an allem schuld!!!!
Und deshalb müssen sie befähigt werden. (Man beachte den Passiv. Die können sich nicht etwa selbst befähigen – unfähig wie sie sind, diese Versager. Dafür braucht es den Befähiger, äh, Berater.) Dabei wirken diese ominösen Führungskräfte, jeder für sich betrachtet, eigentlich wie normale, einigermaßen clevere Menschen. Also, die meisten.

Das sind alles keine Kleinigkeiten. Wir sagen hier denjenigen, denen wir eigentlich zutrauen, im Sinne des Unternehmens andere Menschen zu führen (also zu steuern und zu manipulieren), dass sie unfähig sind – oder zumindest defizitär, und dass sie dringend Hilfe brauchen. All das mit einem einzigen Wort. Das bewirkt etwas.

Überhaupt, führen. Führer sind in Deutschland aus gutem Grund out, aber Führen ist immer noch sehr beliebt. Außer bei den Geführten. Es war Nico Rose, der folgenden legendären Spruch auf eine Powerpoint-Folie brachte:
Kein Mensch geht am Freitag nach Hause und sagt: „Mensch, was bin ich diese Woche wieder geil geführt worden.“

Ja, Führung ist nicht geil. Jedenfalls nicht für die Geführten, wenn man den oben erwähnten Umfragen glauben darf. Und für die Führungskräfte schon gar nicht. Das dachten wahrscheinlich viele, als sie in Führungspositionen gekommen sind: „Cool, jetzt bin ich am Ruder und kann mal locker durchregieren!“ Aber nein, da sind dann diese widerspenstigen Mitarbeiter, die selbst denken, herumzweifeln und womöglich sogar eigene Ziele haben. An-stren-gend! Dabei sah diese Führerei von außen so einfach aus…

Sollte man also als Berater, der wirklich, wirklich etwas verändern will, nicht das Konzept der Führung an sich hinterfragen? Wollen wir überhaupt geführt werden? Wer will das? Ich nicht, andere vielleicht schon. Wie können wir uns selbst führen?

Wäre mal so ’ne Idee. Aber nein, das tägliche Brot verdient sich viel leichter, indem man das 100. „Gesund führen“-Seminar veranstaltet:
Immer ordentlich Feedback geben, aktiv zuhören und ganz wichtig: Entspannen, entspannen, entspannen!!!!

[Update: In einer früheren Version dieses Beitrags hatte ich den Spruch von Nico Rose fälschlicherweise Niels Pfläging zugeschrieben. Pardon und ist korrigiert.]

Foto und Grafik: Pixabay

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10 Kommentare

  1. Hach ja… Mein reden! Schönes weiteres Beispiel übrigens:
    „Wir machen Ihr Unternehmen fit für die Digitale Revolution! Wir machen Sie flexibler, agiler und mindestens innovativer. Zu diesem Zweck bearbeiten Sie einfach unsere 2.000 Excel Tapeten“
    Herzlichen Glückwunsch… Vielleicht geht man mal mit gutem Beispiel voran?

    • Oder auch (gestern bei Gründerszene.de gelesen): „Und dann haben wir den Mitarbeitern die neue agile Struktur präsentiert.“ Agilität einführen ohne einen Hauch Beteiligung – muss man auch erst mal bringen. ?

  2. Yeah?Weg frei für die Antis! Anti-Berater oder Anti-Headhunter wie wir 😉 Manchmal macht es Sinn etwas gegen den Mainstream zu tun. Jeder und Alles ist irgendwann und irgendwo zum ersten Mal da und wird erstmal als störend empfunden. Aber genau dieses Anders-Sein bringt Authentizität erst auf. Wir sind eben nicht alle gleich, nur eines – und das ist gesellschaftsrelevant: gleichwertig! In diesem Sinne versucht der Mann mit dem lustigen Schnauzbart und im Pulli, genauso wie wir, die Anti-Head-Hunter ohne Anzug und Kostüm, aber dafür mit Kompetenz und Tattoos, die Welt nicht nur bunter zu machen, sondern sie so zu zeigen wie sie ist: vielfältig! In diesem Sinne: Weiter so! Mine

    • Aha aha aha, muss ich mir gleich mal angucken. ?

  3. Haha, sehr schön! 🙂
    Wobei ich ehrlich sagen muss, dass der Spruch „Mensch, heute bin ich mal wieder so richtig geil geführt worden!“ durchaus positives Feedback für eine Theaterpädagogin ist, den ich ähnlich schon manchmal gehört habe.:D
    lg,
    Sarah

    • Im Dunkelrestaurant wär der Spruch wohl auch OK. ?

  4. Genauso isses! Denke, da ist auch einfach viel Nachplapperei dabei, vermischt mit Halbwissen. Und so lange keiner hinterfragt, was mit den Platitüden denn gemeint ist, fällt es ja nicht auf.

  5. aray

    „Ja, Führung ist nicht geil. (…) Und für die Führungskräfte schon gar nicht. Das dachten wahrscheinlich viele, als sie in Führungspositionen gekommen sind: „Cool, jetzt bin ich am Ruder und kann mal locker durchregieren!“

    Pech gehabt: wenn sie nicht ganz gaaanz oben stehen, können sie nicht selbst entscheiden, wohin sie ihre Schäfchen führen möchten oder ob diese vielleicht gar keine Führung bräuchten.
    Das ist mir klargeworden, als ich fast schon zugesagt hatte für einen Job, den ich lange gewollt habe; und dann von einem auf derselben Ebene eins über mir – in die ich „aufgestiegen“ wäre – Druck von weiter oben bekommen habe. Und es war diesem Menschen merkbar unangenehm.
    Ich habe mich geschüttelt und abgesagt.

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