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Eine Delle in der Psyche: DDR und Hierarchie-Organisationen im Vergleich (Teil 2)

„Eine Delle im Universum hinterlassen“ – das wollte Steve Jobs. Und so manch hochmotivierter Mitarbeiter will das im neuen Job auch. Stattdessen endet er mit einer Delle in der Psyche. Zum Beispiel, wenn er mit der falschen Persönlichkeitsstruktur (oder der richtigen?) in einer Hierarchie-Organisation (von mir HORG genannt) landet.

HORG bedeutet: Stabilität, etablierte Strukturen, eine gewisse Arbeitsplatzsicherheit. Im Gegenzug ist sie vor allem mit sich selbst beschäftigt und auf Hierarchien, Prozesse und Formalitäten fixiert. Man kennt das aus Konzernen, Behörden oder Institutionen.

Jedenfalls hatte ich irgendwann festgestellt, dass der Alltag in meiner Ex-HORG mich immer mehr an die DDR erinnerte. Nachzulesen sind die Symptome in diesem Artikel: 11 Dinge, die große Unternehmen mit der DDR gemein haben.

Fakt ist: Neben den Menschen, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur in HORGs gut aufgehoben sind (sicher, warm und trocken 😉 ), gibt es eine Menge Menschen, die an den verkrusteten Strukturen verzweifeln, dagegen anrennen und schlimmstenfalls einen Burnout oder andere psychische Krankheiten bekommen. Die steigenden Zahlen sprechen für sich.

Dies und die Anregung eines Lesers (Danke, F.!) brachten ich dazu, das Buch „Der Gefühlsstau – Ein Psychogramm der DDR“* von Hans-Joachim Maaz noch mal zu lesen. Denn was der ehemalige DDR-Psychotherapeut Maaz über die psychische Deformation der DDR-Bürger durch „das System“ schreibt, dürfte ja dann auch auf Mitarbeiter in HORGs zutreffen. Und was soll ich Euch sagen?

BINGO!
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Folgende Aussagen konnte ich sehr gut nachvollziehen und auf meine Erfahrungen in einer Hierarchie-Organisation (und in der DDR, haha) anwenden:

Totale Anpassung

„In diesem System konnte nur halbwegs unbehelligt leben, wer sich anpasste und das heißt, wer seine spontane Lebendigkeit, seine Offenheit und Ehrlichkeit, seine Kritikfähigkeit dem öden und einengenden, aber relativ ungefährlichen Leben eines Untertanen opferte.“ (S. 17)

Wie gesagt: Maaz redet hier über das System der DDR. Aber manch ein HORG-Mitarbeiter fühlt sich ebenfalls wie ein Untertan. Und spontane Lebendigkeit, Ehrlichkeit, Kritikfähigkeit? Das versuchen die meisten nur ein, zwei Mal. 😀

…bis der Arzt kommt

„In diesem System konnte man nur mit einer charakterlichen Deformierung halbwegs überleben, gesundes Verhalten wäre unweigerlich bestraft worden; Gesundheit meint in diesem Zusammenhang: Offenheit, Ehrlichkeit, Eigenständigkeit, Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung, Mut zu eigenen Positionen und zu kreativen Leistungen, auch gegen den Strom der Mehrheit – also alles Eigenschaften, die in der DDR als subversiv galten und mit Nachdruck jedem einzelnen ausgetrieben wurden.“ (S. 59/60)

Aha! Das System (oder eben die HORG) führt zu charakterlichen Deformierungen. Es macht im wahrsten Sinne des Wortes krank. Das habe ich am eigenen Leib kennengelernt und auch bei Kollegen beobachten können. Ist ja auch kein Wunder, wenn gesundes Verhalten nicht erwünscht ist … Man muss quasi krank werden als Gesunder. Wobei sich natürlich die Frage stellt: Wer sind hier eigentlich die Kranken und wer die Gesunden?
Wie sagte schon der indische Philosoph Krishnamurti:

Gesundheit Krishnamurti

Verlust der Innenorientierung

Maaz beschreibt, wie durch die Entfremdung von sich selbst peu à peu die Innenorientierung des Menschen verloren geht: „Es ist schließlich besser, der eigenen Wahrnehmung und den inneren Signalen nicht mehr zu vertrauen, denn will man ihnen folgen, ist das Ergebnis Enttäuschung. So ist es besser, sich von seiner Innenwelt abzuschirmen und entsprechende Impulse zu unterdrücken und die äußeren Forderungen und Angebote … anzunehmen und zu erfüllen. … Und was angeboten wird, ist Anpassung, Kontrolle, Ordnung, Disziplin, Anstrengung und Leistung.“ (S. 68/69)

Ja, das kennen wir doch im Westen auch – z. B. aus den HORGs. 😉 Und auch unser staatliches Schulsystem setzt leider immernoch weitgehend auf Anpassung und Kontrolle, während z. B. die Montessori-Pädagogik einen ganz anderen Weg geht. Aber das ist ein neues Thema …

Was mich an dem Aspekt Innenorientierung fasziniert, ist: Gerade als Führungskraft (oder als selbständig entscheidender Mitarbeiter) bin ich doch absolut auf meinen „inneren Kompass“ angewiesen, auf mein Bauchgefühl, meine Intuition. Das System einer HORG tut aber alles, um diesen Kompass zu übertönen: Du fühlst Dich unwohl mit einer Entscheidung von oben? Du hast das Gefühl, hier läuft etwas gewaltig schief? Du bist völlig anderer Meinung? Egal! Renn los und kommuniziere den Beschluss an Deine Mitarbeiter. Verleugne Deine Werte und alles, wofür Du stehst – mach schon! So etwas macht Menschen krank. Und auch dem Unternehmen tut das letztlich nicht gut.

Unterdrückung von Gefühlen

Wenn Gefühle und Gedöns permanent unterdrückt werden, bekommen auch Kreativität und Innovation keinen Raum. Und vor allem ist es gefährlich: Denn Führungskräfte und Mitarbeiter ohne Innenorientierung treffen mit höherer Wahrscheinlichkeit falsche Entscheidungen. (Weshalb es absolut Sinn macht, ihre Intuition zu schulen und die Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit zu fördern.)

Womit wir beim nächsten Punkt wären: Wenn Routinearbeiten immer mehr von Computern übernommen werden und alles, was übrig bleibt, vor allem das (oft anstrengende) Projekt- und Beziehungsmanagement mit Kunden, Dienstleistern und Kollegen ist – müsste dann nicht die Entwicklung der Persönlichkeit für die Unternehmen allerhöchste Priorität haben?

Aber wie soll sich jemand weiterentwickeln, der seine Empfindsamkeit täglich an der Garderobe abgibt und so abgestumpft ist, dass er kaum noch etwas mitkriegt auf der Gefühlsebene? Jeder, der auf dem spirituellen Weg ist (oder nennt es von mir aus persönliche Entwicklung 😉 ), weiß, dass die Verbindung zu sich selbst, zum inneren Kompass, ganz entscheidend für die Weiterenwicklung ist. Sich selbst wieder zu spüren ist die Voraussetzung, um dem eigenen Weg zu folgen. Stattdessen herrschen:

Extremes Leistungsdenken und andere Süchte

„Ein Leistungsträger unterscheidet sich von einem Alkoholiker nur in der sozialen Bewertung“, schreibt Maaz auf S. 71. Denn beiden geht es um die suchtartige Befriedigung vernachlässigter Bedürfnisse. Mit „lebenseinschränkender und selbstzerstörerischer Wirkung“.

Stirbt der Alkoholiker 15 Jahre früher an Leberversagen, so trifft den Leistungsträger 15 Jahre früher der Tod durch Herzinfarkt, so Maaz. „Die „Droge“ Arbeit oder Erfolg sollte den Schmerz der Entfremdung in Schach halten.“ (S. 72) Es geht immer noch um die DDR, wohlgemerkt. Aber merkt Ihr was?

Spaltung der Persönlichkeit

Wenn es zu gefährlich (oder einfach nur unerwünscht) ist, sein wahres Gesicht zu zeigen, wird die Maske, das „aufgenötigte zweite Gesicht“ (S. 77), zur Gewohnheit. Der Mensch ist komplett kopfgesteuert und rationalisiert, wo eigentlich authentische Gefühle (Wut, Angst, Trauer, Freude) angezeigt wären.

„Sachliche Argumente“, die das Bauchgefühl übertönen – wer kennt das nicht … Nur eine so gespaltene Persönlichkeit kann ihre eigenen Werte auf Dauer verleugnen, im schlimmsten Fall Betrug und Verbrechen gutheißen oder gar begehen – ob in der DDR, im Konzern oder einer anderen Hierarchie-Organisation.

Ich fasse zusammen: HORGs produzieren angepasste, gehemmte, leistungssüchtige, von ihren Gefühlen abgespaltene Zombies ohne Innenorientierung, die langsam aber sicher krank werden.

Wann kommt die Revolution? Der Aufstand der Anständigen? Wann kommt die Unternehmensdemokratie, die Andreas Zeuch in seinem Buch Alle Macht für niemand beschreibt?* Ich hoffe, ich kann mit Büronymus einen kleinen Teil dazu beitragen.

*Support your local dealer! Kauf Bücher am besten bei der Buchhändlerin um die Ecke.

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7 Kommentare

  1. […] das Spiel einschlägt wie eine Bombe und dass viele der Büronymus-Fans und jede Menge gebeutelter HORG-Angestellter sofort bestellen. Ist nicht passiert. […]

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